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Wir wären auf einem anderen Weg 

Blog | 07. März 2024 | #30 Jahre #Cairo Conference #Frauenrechte #SRGR

Vor 30 Jahren wurde auf der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo ein Aktionsprogramm verabschiedet, das einen Paradigmenwechsel einleitete: weg von der zahlengetriebenen Geburtenkontrolle, hin zum individuellen Recht auf körperliche Selbstbestimmung, insbesondere der Frauen. Evelyn Samba ist in Kenia geboren und gehörte vor 30 Jahren, wie sie selbst sagt, zu den wenigen privilegierten Frauen, die dort studieren durften. Heute leitet sie das Länderbüro der DSW in Kenia. Wir sprachen mit Ihr über die aktuelle Situation in ihrem Heimatland, wie sich dort die sexuellen und reproduktiven Rechte in den vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt haben und wo sie die Herausforderungen für die Zukunft sieht.  

Evelyn Samba, Head of DSW Kenya

Wie ist die aktuelle Lage in Kenia? 

Fakt ist heute in Kenia, dass junge Frauen immer wieder schwanger werden und die Schule abbrechen, dass die HIV-Infektionen unter jungen Menschen derzeit am höchsten sind und dass geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere unter jungen Menschen, zunimmt. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Regierung Maßnahmen ergreift, um diese Probleme anzugehen und umzusetzen.  

Und zurzeit gibt es keine Maßnahmen? 

Die Politik ist nicht mutig genug, um sich gegen die „moralischen“ Kräfte im Land durchzusetzen. Wir haben also ein Problem mit Teenagerschwangerschaften. Es ist klar, dass junge Menschen nicht schwanger werden würden, wenn sie Informationen und Zugang zu Dienstleistungen hätten. Aber man traut sich nicht zu sagen: „Gebt ihnen Verhütungsmittel“, denn das Problem wird aus einer moralischen Perspektive betrachtet. Man schaut auf die Glaubensgemeinschaften und auf die Wähler, die sagen: „Nein, wir wollen nicht, dass unsere Kinder Zugang zu Verhütungsmitteln haben.“ Die Politiker sind also egoistisch und denken: Wenn ich sage, dass sie Verhütungsmittel bekommen sollten, werde ich beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr gewählt. In der Konsequenz wurde das Kindergesetz dahingehend geändert, dass Jugendliche nur mit Zustimmung ihrer Eltern verhüten dürfen. Der Gesundheitsberater, der sich mit einem jungen Menschen unter 18 Jahren konfrontiert sieht, hat also Schwierigkeiten zu entscheiden, ob er ihm die Medikamente geben soll oder nicht. Er könnte von den Eltern deswegen verklagt werden. 

Findet eine Rückwärtsbewegung statt, die sich sogar noch verstärken könnte, wenn Trump wiedergewählt werden sollte? 

Das Besorgniserregende ist für mich das Hin und Her. Wenn Trump zurückkommt, dann verlieren wir wieder zehn Jahre und den Fortschritt, den wir gemacht haben. Dieses Hin und Her ist frustrierend, wie auch der wachsende Widerstand gegen Gespräche über Rechte auf der ganzen Welt. Und dabei geht es um Rechte und ihre Bedeutung für jeden Aspekt unseres Lebens, nicht nur um das Recht auf Bildung oder die Rechte von Minderheiten. Es geht um alle Rechte, denn sie sind unteilbar. Wir brauchen neue Strategien, wobei ich noch nicht weiß, wie sie aussehen werden. Die Opposition in Kenia ist jetzt still und eingeschüchtert ist, weil sie infiltriert wurde, denke ich, wie auch unser Raum infiltriert wurde. 

Was heißt das? 

Es kommen Menschen, die unsere Themen besetzen, aber dabei unsere Argumente kontern und widerlegen. Wenn sie kommen, um eine Agenda vorzuschlagen, wissen sie, wie wir reagieren werden, denn sie haben Insiderwissen, zumindest einige von ihnen. Sie nehmen also die Argumente vorweg. Dafür haben sie die Fachleute und Experten aus den verschiedenen Bereichen. Wenn sie also aus medizinischer Sicht argumentieren, haben sie einen Arzt, der weiß, welche Gegenargumente sie vorbringen müssen. Wenn es um rechtliche Fragen geht, haben sie Anwälte und Richter, wenn es um Bildung geht, ist es dasselbe. Wenn es von der Kirche kommt, ist es dasselbe. Es ist also eine Frage des Geldes. Sie haben viel Geld und sie haben eine große Auswahl an Experten. Es sind unsere Themenräume, die von diesen Menschen kolonialisiert werden. Ich finde es wirklich erstaunlich, wie sehr die Menschen in Fehlinformationen investieren. Und welchen Schaden das anrichten kann. Das muss uns als Organisationen, die für diesen wichtigen Rechte arbeiten, große Sorgen machen. 

Wenn wir auf Kairo und den Weltbevölkerungsgipfel 1994 zurückblicken: Wie war damals die Situation in Kenia? 

Es gab bei uns viele Mädchen, die nie eine Highschool besucht haben und schon gar nicht das College.  Das lag zum einen an den fehlenden Ressourcen, aber vor allem auch an der Vorstellung, dass Bildung für ein Mädchen nicht unbedingt das ist, was man vorantreiben möchte, insbesondere wenn die Mittel fehlten. Dann wurde im Gegenteil die Verheiratung der Tochter zu einer Einkommensquelle. Aber wenn ich mir heute die Eltern in meiner Umgebung ansehe, selbst wenn ihre Kinder nicht bestanden haben, würden sie alles tun, um sicherzustellen, dass sie diese Herausforderung meistern.  

Eine andere Frage war die nach den Karrieremöglichkeiten. Der ideale Beruf für ein Mädchen dieser Zeit war Lehrerin oder Krankenschwester. Warum das? Ein Mädchen ist fürsorglich, also wird es eine gute Krankenschwester abgeben – so war die allgemein vorherrschende Meinung Warum haben wir den Mädchen nicht gesagt, sie sollen Ärztin werden? Es war eine Frage der Sozialisation. Wenn es um Medizin und Gesundheit geht, ist es am besten, Arzt zu werden, nicht Krankenschwester, aber die Schwelle war zu hoch. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist mir klar, dass die Erwartungen der Gesellschaft den Ausschlag gegeben haben. 

Und wie stand es vor 30 Jahren um die körperliche Selbstbestimmung oder die Entscheidung zu Heiraten im Vergleich zu heute? 

Ich glaube, es gibt eine große Veränderung. Immer mehr junge Frauen heiraten nicht mehr. Mit meinen Töchtern habe ich noch nicht einmal über die Ehe gesprochen. Wir sprechen darüber, was sie nach ihrem Abschluss machen wollen. Vielleicht einen Doktortitel? Damals war es so, dass viele junge Frauen, mich eingeschlossen, in dem Moment, in dem sie mit der Universität fertig waren, geheiratet haben. Und diejenigen, die nicht studiert haben, waren bereits verheiratet. Das sind die Veränderungen, die ich sehe. 

Finden diese Veränderungen auch in ländlicheren Gegenden statt? 

Ich glaube, auch die ländlichen Gebiete holen langsam auf. Man hört von Kindern, die die Schule abgeschlossen haben und aufs College gehen wollen. Dennoch sind Teenagerschwangerschaft und Arbeitslosigkeit ein großes Thema. Mädchen schließen zwar vielleicht die Schule ab, werden dann aber schwanger und müssen zu Hause bleiben. Aber was sich jetzt dort ändert, ist, dass auch immer mehr Mädchen, selbst in den Dörfern, nach ihren Möglichkeiten suchen. Natürlich ist ihr Spektrum begrenzt. Sie arbeiten in einem Laden oder in einem Internetcafé, oder sie arbeiten in einem kleinen Unternehmen. Viele von ihnen gründen auch kleine Unternehmen wie Friseursalons oder Schneiderein. Denn das ist die Wirtschaft auf dieser Ebene. Aber zumindest spricht es auch für einen Sinneswandel. Entscheidend ist, dass sie ein Bewusstsein für ihre Möglichkeiten entwickeln. 

Allein die Zahlen zeigen eine positive Entwicklung, oder? 

Die Schulabschlussquote bei Mädchen ist heute viel höher als früher, was sehr wichtig ist. Denn damit hat auch die Entscheidungsfähigkeit zugenommen – und diese Entscheidungsfähigkeit geht einher mit einem deutlichen Rückgang der Schwangerschaftsraten. Wenn ein Mädchen, das seine Ausbildung bereits abgeschlossen hat, schwanger wird, dann nicht, weil sie es nicht besser wusste. Sie war vielleicht in einer Beziehung, sie hatte keinen Zugang zu Verhütungsmitteln. Aber sie sagt nicht: “Ich wusste nicht, dass Sex zu einer Schwangerschaft führen kann.“ Das hört man von zehn bis 16, vielleicht 17 Jahren, wenn sie versuchen, sich zu entdecken, aber nicht wissen, wozu diese Entdeckungen führen wird.  Und wenn man es aus dieser Perspektive betrachtet, dann wird einem klar, warum der Schwerpunkt auf der frühen Aufklärung liegt, denn wenn all diese Mädchen mit 15 Jahren wissen: ‚Ja, Sex führt zu einer Schwangerschaft, und ich kann eine Schwangerschaft verhindern, und das geht so‘, dann wird das Risiko erheblich verringert. Die DSW arbeitet mit Jugendlichen bis zum Alter von 24 Jahren. Wenn dann etwas passiert, dann war es vielleicht Ignoranz oder eine falsche Entscheidung, aber keine Unwissenheit.  

War Kairo ein wichtiger Meilenstein? 

Ich denke, damals wurde ein Umdenken eingeleitet. Ich erinnere mich an unseren Präsidenten, der sagte, das Erste, was gegen die Kenianer spricht, sei Krankheit und das Zweite Unwissenheit. Das heißt, er betrachtete die Sache aus einer Entwicklungsperspektive: Wir sollten die Menschen ausbilden, damit sie in der Industrie arbeiten können, damit sie in bestimmten Bereichen die Führung übernehmen können. Aber es wurde nie die Perspektive eingenommen, dass es auch ihr Recht ist, diese Ausbildung zu erhalten. Ich glaube, dass Kairo die Perspektive verändert hat, indem es hieß: Lasst uns die Mädchen zur Schule bringen.“ 

Ich erinnere mich, dass die ersten Gespräche, die wir über Frauenrechte führten, davon handelten, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Zu dieser Zeit wurde diese Diskussion gerade erst aktuell. Davor sprachen wir über Menschenrechte, und diese Frauen stellten sich vor, dass die Menschen Männer sind. Denn wie kann man sagen, dass man einem Mann Bildung gibt, aber wenn es um eine Frau geht, will man darüber diskutieren? Sind sie weniger menschlich? Ich denke, wenn wir Kairo nicht gehabt hätten, wären wir vielleicht auf einem anderen Weg. 

Vor fünf Jahren wurde auf der Weltbevölkerungskonferenz in Nairobi Bilanz gezogen und das Bekenntnis zum Kairoer Aktionsprogramm erneuert. Was ist seitdem passiert? 

Nehmen wir das Versprechen, das die kenianische Regierung in Bezug auf Informationen über sexuelle und reproduktive Gesundheit für Jugendliche gegeben hat. Selbst wenn wir jetzt all diese Fragen stellen, warum wir bei der Politik zaudern, verweisen wir immer wieder auf diese Zusage: Dass wir alles tun werden, um sicherzustellen, dass Jugendliche Informationen und Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit erhalten, und dass wir die Teenagerschwangerschaften auf eine bestimmte Zahl reduzieren werden. Und tatsächlich ist der Trend rückläufig. Die jungen Menschen sind sensibilisiert und wissen, dass sie Rechte haben Und wenn sie diese nicht bekommen, sagen sie, dass genau das das Problem ist. All diese Dinge, das sind für mich Fortschritte. Vieles davon lässt sich auf politische Erklärungen der Regierung zurückführen, auf Verpflichtungen, die wir auf internationaler Ebene eingehen, aber auch auf die Arbeit, die von den Menschenrechtsaktivisten und den Organisationen geleistet wird. 

Im Oktober wird in Genf die nächste Weltbevölkerungskonferenz stattfinden und auf 30 Jahre Kairoer Abkommen zurückblicke. Was sollte der Fokus der sein? Welche Zusagen brauchen wir? 

Wir müssen darauf aufmerksam machen, dass das, was als Priorität galt, inzwischen ignoriert wird und wir uns in eine völlig andere Richtung bewegen. Wir sind 17 Verpflichtungen eingegangen. Wir haben zum Beispiel gesagt, dass wir die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) bis 2022 beenden werden (lacht). Wir müssen fragen: Was machen wir mit dem Gesetz zum Verbot von FGM von 2015? Was machen wir damit, denn es ist sehr klar, was mit jemandem geschehen muss, der FGM an einem Kind oder einer Frau durchgeführt hat. Wir haben uns auch verpflichtet, Ressourcen für die Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt bereitzustellen. Wie viel haben wir bis jetzt bereitgestellt? Überprüfen wir überhaupt, ob das, was wir bereitgestellt haben, tatsächlich in diesen Kampf fließt? Ich denke also, dass es viele Dinge gibt, über die wir in Genf sprechen können, aber wir sollten diese Versprechen nicht aus den Augen verlieren. Wir haben gesagt, dass wir die geschlechtsspezifische Gewalt und andere Formen der Diskriminierung bis zum Jahr 2030 abschaffen wollen. Jetzt haben wir 2024, also noch sechs Jahre vor uns. Wie weit sind wir? 

Wir haben Fortschritte gemacht, aber wir haben das Ziel nicht erreicht. Und manchmal habe ich das Gefühl, wenn wir nicht aufpassen, dann verlieren wir unsere Prioritäten aus den Augen. Denn es ist eine Frage der Priorität. Wenn wir wirklich glauben, dass ein sicheres Umfeld für unsere Kinder wichtig ist, dann müssen wir die Investitionen, die wir in die Bildung tätigen, auch wirklich ihnen zugutekommen. Was hilft es uns als Land, ständig neue Universitäten zu eröffnen? Wir haben so viele Universitäten in Kenia. Aber wer geht schon dorthin, wenn alle unsere Kinder aus der Schule fallen? 

Nicole Langenbach

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Kampf gegen Genitalverstümmelung: „Jeder sollte wissen, wie wir ohne FGM leben können“

Blog | 05. Februar 2024 | #AntiFGM #FGM #Genitalverstümmelung #Geschlechtergerechtigkeit

Miriam Chebet lebt im West Pokot County in Kenia. Sie ist von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) ausgebildet worden und arbeitet nun in ihrer Gemeinde mit jungen Menschen, um sie für Aufklärung und Gesundheit zu sensibilisieren. Eines ihrer Hauptthemen ist dabei die weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM). Im Interview erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen und über Lösungen im Kampf gegen diese menschenverachtende Praxis, unter der weltweit immer noch Millionen von Frauen und Mädchen leiden müssen.

Wie verbreitet ist weibliche Genitalverstümmelung in Deiner Heimat?
Miriam Chebet: Die Praxis ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Grund dafür sind vor allem Kampagnen der Regierung, aber auch von NGOs wie etwa der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.

Welche Folgen hat eine Genitalverstümmelung für Frauen und Mädchen?
Miriam Chebet:
Es kommt natürlich zu heftigen Schmerzen, da der Eingriff oft ohne Betäubung durchgeführt wird. Starke Blutungen sind eine häufige Folge  Einige Mädchen sterben sogar nach FGM-Eingriffen. Die Überlebenden leiden an gesundheitlichen Folgen wie Geburtsfisteln und Schmerzen beim Sex.

Gibt es keine Gesetze, die diese Praxis verbieten oder halten sich die Menschen einfach nicht daran? Wie kann für mehr Sicherheit für Frauen und Mädchen gesorgt werden?
Miriam Chebet: Kenia hat im Jahr 2011 das Gesetz zum Verbot von FGM erlassen. Bei uns hat die Politik das Ziel der Weltgesundheitsorganisation zur Beendigung von FGM übernommen, das auch unter Punkt 5 „Geschlechtergleichheit“ bei den Nachhaltigen Entwicklungszielen aufgeführt wird. Doch trotz dieses Gesetzes ist FGM immer noch verbreitet, und viele Frauen und Mädchen werden zu Hause von traditionellen Beschneiderinnen operiert.

In einem früheren Interview aus dem Jahr 2021 hast Du erzählt, dass die Beschneidungen bei Euch teilweise am helllichten Tage durchgeführt werden. Ist das das immer noch der Fall?
Miriam Chebet: Das Verbot durch das kenianische Gesetz hat es für die Täter schwerer gemacht. Allerdings führt dies nun teilweise dazu, dass Mädchen einfach sehr früh verheiratet werden und die Beschneidung schließlich in den Häusern ihrer Ehemänner erfolgt.

Wie kann es gelingen, FGM vollständig zu eliminieren?
Miriam Chebet: Wir müssen weiter daran arbeiten, Mädchen und Frauen über ihr Recht aufzuklären, dass sie – und nur sie – über ihren Körper entscheiden. Darüber hinaus müssen wir versuchen, die Traditionen aufzubrechen und dabei auf die Unterstützung der älteren Generation bauen. Bildung ist natürlich extrem wichtig, die Kinder müssen zur Schule gehen. Dort können auch Projekte helfen, um über FGM aufzuklären.

Was tut Ihr vor Ort, um die Menschen über FGM aufzuklären? An wen genau richtet Ihr Euch und gibt es auch neue Ideen und Ansätze?
Miriam Chebet:
Ich bin Mitglied des sogenannten Community Action Committee. Als Frau, die die Beschneidung selbst durchmachen musste, sorge ich nun dafür, dass Informationen über die Auswirkungen von FGM meine Leute in ihren Dörfern und Kirchen erreichen. Wir versuchen, mit jeder Person ins Gespräch zu kommen. Wir machen keine Unterschiede, denn wirklich jeder sollte wissen, wie wir künftig ohne FGM normal leben können. Es ist eine Sache der Gemeinschaft und wir sollten es auch als Gemeinschaft angehen.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

Internationale NGO seit 1991

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Hörauf zum World NTD Day: „Die NTDs sind eigentlich immer die ersten, die vernachlässigt werden“

Blog | 26. Januar 2024 | #Achim Hörauf #Forschung #Gesundheit #Gesundheitsforschung #Globale Gesundheit #Neglected Tropical Diseases #NTD

Neglected Tropical Diseases (NTDs), sogenannte vernachlässigte Tropenkrankheiten, ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten, deren Zahl die Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit mit insgesamt 21 Krankheiten beziffert. Sie können durch Viren, Bakterien, Parasiten oder auch Pilze ausgelöst werden. Weltweit betroffen sind Millionen von Menschen, vor allem in wirtschaftlich schwächeren Ländern des sogenannten Globalen Südens. Schlechte Hygiene- und Gesundheitsbedingungen sorgen dafür, dass geschätzt eine Milliarde Menschen mit dem Risiko lebt, an einer NTD zu erkranken. Prof. Achim Hörauf ist Professor für Parasitologie an der Universität Bonn, ist Experte für NTDs, im Interview äußert er sich zum aktuellen Stand der Forschung und zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Ausbreitung der NTDs.

Am 30. Januar ist World NTD Day, der Tag der vernachlässigten Tropenkrankheiten. Wie aktuell ist die Vernachlässigung, die dem Tag seinen Namen gibt, heute noch?
Achim Hörauf:
Die ist aus meiner Sicht wieder aktueller geworden. Gerade durch die Corona-Pandemie wurden und werden die NTDs erneut vernachlässigt. Ein Beispiel: Durch den Lockdown ist die Kontrolle vor Ort in den Communities, etwa die Verteilung von Tabletten, ausgesetzt worden. Das wirft uns dann zwei bis vier Jahre zurück, wenn ein Jahr ausgesetzt wurde und zieht auch Ermüdungserscheinungen bei den Patienten im Hinblick auf die Behandlung nach sich. Außerdem haben sich die Prioritäten in der Forschung durch Corona wieder verändert und das, obwohl weltweit viele Millionen Menschen unter Behinderungen und Einschränkungen durch NTDs leben, Leprakranke sogar unter Verstümmelungen. Gerade hat die WHO die Krankheit Noma als 21. NTD festgelegt. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der Mundhöhle durch Mangelernährung, fürchterlich. Die NTDs sind wegen mangelnder Advocacy eigentlich immer die ersten, die vernachlässigt werden. Nach Corona gab es schon deutlich weniger Fördergelder aus den USA, Großbritannien ist sogar ganz ausgestiegen. Und auch in Deutschland muss das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung deutliche Einschränkungen, d. Red) ja wohl deutliche Einschränkungen hinnehmen.

Der World NTD Day am 30. Januar macht auf die vernachlässigten Tropenkrankheiten aufmerksam. Mehr als eine Milliarde Menschen sind weltweit in Gefahr, durch diese Erkrankungen arbeitsunfähig, blind und entstellt zu werden oder zu sterben. Flussblindheit, Bilharziose, Dengue-Fieber, Schlafkrankheit oder Lepra sind nur einige bekannte Beispiele für diese diverse Krankheitsgruppe. Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Inwieweit würde ein Priority Review Voucher (Programm, das Arzneimittelentwicklern einen Bonus für eine vorrangige Prüfung gewährt, um einen Anreiz für die Entwicklung zu geben, d. Red.) zur vermehrten Forschung und Entwicklung beitragen?
Hörauf: Das hat schon beigetragen und auch gut funktioniert. Wir wollen Europa überzeugen, dass die EMA (Europäische Arzneimittelagentur, d. Red.) dies auch zulässt. Das ist sicher nicht verkehrt, da ja auch über Europa Medikamente zugelassen werden. Doch der derzeitige Stand bei den Firmen ist eher: „Da gehen wir in die USA.“ Allein für frühere Stadien ist schon eine Förderung von zehn bis 20 Millionen Dollar bis zur klinischen Prüfung nötig und anschließend kommen noch einmal 50 bis 60 Millionen dazu, das ist schon eine andere finanzielle Liga. Dazu gewähren die USA den Unternehmen steuerliche Vorteile, die die Kosten deutlich senken können. Das wird dort ziemlich großzügig umgesetzt und ist in Europa leider so nicht durchsetzbar. Hier herrscht eine andere Philosophie, der Staat will mehr mitreden.

Wie sieht es mit den Plänen der „Roadmap“ der WHO aus, die Zahl der Menschen, die wegen vernachlässigter Tropenkrankheiten behandelt werden müssen, um 90 Prozent zu reduzieren und mindestens eine dieser Erkrankungen in 100 Ländern zu elimi­nieren? Das ist ja vor drei Jahren als Ziel für 2030 festgelegt worden…
Hörauf: Grundsätzlich ist das schon realistisch. Es gibt einen deutlichen Fortschritt im Vergleich zur Dekade vorher, zur Zeit der London Declaration von 2012. Heute heißt es nicht mehr: ‚Wir müssen fünf Krankheiten eliminieren‘, das ist ja mathematisch schon schwierig. Heute haben wir eine quantitative Benchmark, und wenn es am Ende 88 Prozent sind und es dann nicht ganz geschafft worden ist, ist trotzdem schon ein großer Erfolg da. Ganz wichtig ist dabei noch, dass wir am Ende der Road Map nicht fertig sind, sondern gerade dann die systematischen Kontrollen vor Ort brauchen, damit die Krankheiten nicht wiederkommen. Und das wird nicht ohne die Eigenbeteiligung der afrikanischen und asiatischen Staaten nachhaltig funktionieren.

Kap Verde hat gerade gemeldet, dass Malaria ausgerottet ist…
Hörauf: Ja, eine Insel ist da von Vorteil. Jetzt müssen sie dort nur aufpassen, dass durch Schiffs- und Flugverkehr die Erreger nicht wieder mitgebracht werden und wachsam sein wegen der Mücken. Denn: Wenn Patienten mit Malaria auf die Insel kommen und dort gestochen werden, können die Parasiten dabei aufgenommen und weiter übertragen werden, dann kann es auch wieder zu einem Malariaausbruch kommen. Deshalb müsste jeder solche Fall gemeldet und sofort behandelt werden, damit sich die Malaria nicht wieder ausbreitet.

Was tut die Bundesregierung, um die Forschung zu vernachlässigten und armutsassoziierten Tropenkrankheiten voranzutreiben? Was könnte außerdem getan werden?
Hörauf: Sie schreibt im Wesentlichen fort. Aber: Die derzeitige Regierung tut aus meiner Sicht eher ein bisschen weniger als ihre Vorgängerregierung. Es gibt heute ein stärkeres Interesse an globaler Gesundheit und mehr und mehr an soften Themen wie Klima und Gesundheit, planetary health. Wir sollten unsere Kernthemen bewahren, das wird derzeit etwas verwässert und es kommt viel Beiwerk mit herein. So verlieren wir den Drive, den wir bereits einmal hatten. Wir haben eigentlich einen guten Stand, wir waren zum Beispiel das erste westliche Land, das die Kigali-Declaration 2022 (zur Begleitung der WHO Roadmap zur Eliminierung der NTDs, d. Red.) unterschrieben hat. Das sollte erhalten bleiben. Ich würde aber gern wieder die Medizin im Fokus sehen, sonst verflacht das Kernanliegen. Wieder Beispiel Corona: Wer war einer derjenigen, der von Anfang an wirklich etwas zu sagen hatten? Christian Drosten, ein Virologe, der extrem tief in die Biologie und Dynamik der Coronaviren eingearbeitet war, bereits vor der Pandemie.

In den kommenden Tagen wird der neue G-Finder-Report veröffentlicht (Umfrage unter den Geldgebern und Entwicklern im Bereich globale Gesundheit, d. Red.). Was erhoffen Sie sich von dieser Studie im Hinblick auf ihre Forschung?
Hörauf: Eine Datenbank ist immer nur so gut wie die Eingaben. Die Bundesregierung hat wegen nicht existierender spezifischer Datenbanken z.B. selbst Schwierigkeiten, genau zu sagen, wieviel Gelder in die NTD-Forschung fließen, deshalb ist das aus meiner Sicht alles ein bisschen mit Vorsicht zu genießen. Ich vermute aber, der coronabedingte Rückgang wird sich auch hier spiegeln. Das bedeutet, es werden weniger neue Tools für NTDs entwickelt. Ein Beispiel aus der Praxis: Es gibt mittlerweile ein Medikament gegen die Schlafkrankheit, das ohne Spritze verabreicht werden kann. Das heißt, die Patienten müssen keine Klinik aufsuchen – gerade im ländlichen Raum ein enormer Vorteil. Denn viele, die sonst stundenlang bis zum nächsten Krankenhaus gehen müssen, verzichten dann auf eine Behandlung. Stattdessen ist eine orale Einnahme möglich, vor Ort, ganz simpel. Das ist ein Paradigmenwechsel und davon brauchen wir viel mehr. Aber dann sind wir wieder bei den Themen von vorhin: Finanzierung, Pull-Mechanismen. Wenn die Förderung reduziert wird, bleiben wir stecken. Dann reden wir bei der nächsten Declaration wieder von den nächsten zehn Jahren und 90 Prozent. Und das ist ermüdend für alle Beteiligten.

Was hat eigentlich der Klimawandel mit der Ausbreitung der NTDs zu tun? Kann man sich mit Krankheiten wie Chagas bald auch in Hamburg oder München infizieren?
Hörauf: In den Mittelmeerstaaten ist es heute schon möglich, dass es im Sommer lokale Übertragungen etwa von Dengue gibt. In Südeuropa wird Leishmaniose von Hunden übertragen, die dann auch Halter anstecken können. Die berühmt-berüchtigte Tigermücke wird sich in den nächsten 30 Jahren bis Stockholm ausbreiten. Dort wird es warm genug sein und sie hat den Vorteil, dass ihre Eier sehr umweltresistent sind, sie können auch den Winter überleben. Generell ist es so, dass man heute als Europa-Tourist Krankheiten mitbringen kann, die wir früher nur aus den Tropen kannten. Aber unsere Ärzte sind dementsprechend schon in Weiterbildung.

Nils Hartung

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Fatales Signal: Massive Kürzungen im BMZ-Haushalt geplant  

Blog | 15. Januar 2024 | #BMZ #Entwicklungspolitik #Entwicklungszusammenarbeit #Etat #Haushalt

Es steht schlecht um die Entwicklungszusammenarbeit. Der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) soll um weitere 400 Millionen Euro gekürzt werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023, das die nachträgliche Umschichtung von Mitteln aus dem Jahr 2021 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für verfassungswidrig erklärt hat, muss die Bundesregierung zusätzliche 17 Milliarden einsparen. In der Konsequenz wird der BMZ-Etat am stärksten zusammengestrichen: auf 11,23 Milliarden Euro – das bedeutet eine Kürzung um insgesamt 930 Millionen im Vergleich zum Vorjahr. Wenn diese Kürzungen am 2. Februar vom Bundestag und Bundesrat final beschlossen werden, sind das BMZ und das Auswärtige Amt die anteilmäßig am stärksten betroffenen Ministerien. Dabei wurde der Rotstift schon vor dem Gerichtsurteil kräftig beim BMZ-Etat angesetzt: Geplant waren Kürzungen in Höhe von 640 Millionen Euro, die durch Beschlüsse der Haushaltspolitiker*innen in der sogenannten Bereinigungssitzung am 16. November 2023 teileweise abgewendet wurden. Auch für 2025 ist keine Besserung in Sicht, im Gegenteil: Laut Finanzplanung droht in der verbleibenden Legislaturperiode die Entwicklungszusammenarbeit um knapp ein Viertel gekürzt zu werden.

Abkehr von der feministischen Entwicklungspolitik

„Dieses Sparprogramm steht im diametralen Gegensatz zur von der Ampelregierung proklamierten feministischen Entwicklungspolitik“, sagte Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). „Gerade in Zeiten sich zuspitzender multipler Krisen braucht es mehr Investitionen in die internationale Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland muss sich solidarisch zeigen und darf seine Partner*innen im Globalen Süden nicht im Stich lassen.” Besonders Frauen, Kinder und Jugendliche werden in Krisenzeiten oft zurückgelassen. Gendertransformative Projekte, wie sie die feministische Entwicklungspolitik der Bundesregierung vorantreiben will, gewinnen also an Bedeutung. Dazu zählen u.a. die Förderung von Globaler Gesundheit, Gesundheitsforschung sowie die Stärkung von sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte (SRGR). Noch immer stirbt alle zwei Minuten eine Frau durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt. Fast die Hälfte aller Schwangerschaften sind ungewollt und 257 Millionen Frauen, die eine Schwangerschaft vermeiden wollen, haben keinen Zugang zu sicheren und modernen Verhütungsmitteln.

Konservative Gegenwehr

Doch nicht nur die aktuellen Krisen machen diese Politik besonders virulent. Weltweit versuchen ultra-konservative und antifeministische Kräfte die hart erkämpften sexuellen und reproduktiven Rechte und die Geschlechtergleichstellung zurückzudrängen. Auch in Europa sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Immer weniger Länder unterstützen SRGR politisch und finanziell. Schweden beispielsweise kürzte den Kernbeitrag für die International Planned Parenthood Federation (IPPF) in 2023 um 60 Prozent. Wichtige Partnerländer fallen auf einmal weg. „In dieser Situation sollte die Bundesregierung im Rahmen der feministischen Entwicklungspolitik die SRGR-Fahne hochhalten“, fordert Jan Kreutzberg. Doch das Gegenteil scheint der Fall: Wie der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) erfahren hat, plant die Bundesregierung die Beiträge für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) um 7,5 Millionen Euro und für IPPF um 4,5 Millionen Euro gegenüber den Ergebnissen der Bereinigungssitzung vom 16. November zu kürzen. Beide Organisationen sind wichtige Kooperationspartner der Bundesregierung. Sie fördern etwa Sexualaufklärung, selbstbestimmte Familienplanung, Präventionsmaßnahmen gegen geschlechtsbasierte Gewalt und schädliche Praktiken wie weibliche Genitalverstümmelung sowie Früh- und Zwangsverheiratungen und wirken dem weltweiten Rückwärtstrend entgegen.

 Deutschland muss wichtiger Verbündeter bleiben

Mit der feministischen Entwicklungspolitik gilt Deutschland international als vertrauensvoller Verbündeter für die Förderung von SRGR. „Wenn die Bundesregierung ausgerechnet jetzt von ihrem Ziel ablässt, diese Organisationen mit hohen Beiträgen zu unterstützen, wäre dies ein fatales Signal“, warnt Jan Kreutzberg. „Damit UNFPA und IPPF effektiv ihren Kernaufgaben nachgehen können, ist eine substantiellere finanzielle Unterstützung unabdingbar. Die DSW appelliert deshalb an die Bundesregierung und den Bundestag, die geplanten Kürzungen für UNFPA und IPPF zurückzunehmen!“

(Quellen: Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe – VENRO (2024) Analyse. Haushalt 2024: Neue Kürzungen)

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

Internationale NGO seit 1991

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Konstante im Vorstand: Angela Bähr bleibt stellvertretende VENRO-Vorsitzende

Blog | 15. Januar 2024 | #Angela Bähr #Entwicklungspolitik #Entwicklungszusammenarbeit #VENRO

Ihre Beständigkeit und Konstanz zeichnen sie aus: Zum nunmehr vierten Mal ist Angela Bähr, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), in den Vorstand des Verbandes Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (VENRO) wiedergewählt worden. Bei der Mitgliederversammlung in Bonn kandidierte Angela Bähr gemeinsam mit Carsten Montag von der Kindernothilfe erfolgreich für das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden.

„Kürzung der finanziellen Mittel ist kurzsichtig“

„Gerade im Hinblick auf die weltpolitische Lage mit ihren aktuellen Krisenherden, etwa in Gaza und in der Ukraine, ist die Entwicklungszusammenarbeit von ganz entscheidender Bedeutung“, sagte Angela Bähr nach ihrer Wahl. „Eine Kürzung der finanziellen Mittel durch die Bundesregierung ist kurzsichtig. Deutschland darf sich im Sinne der von den Ministerinnen Annalena Baerbock und Svenja Schulze proklamierten feministischen Außen- und Entwicklungspolitik nicht aktiv zurückziehen. Denn gerade Frauen und Mädchen sind in besonderem Maße von den Folgen von Krieg, Konflikten und Naturkatastrophen betroffen. Sie sind allzu häufig die Leidtragenden im wörtlichen Sinn.“

Herbst und Schattschneider neue Vorstandsvorsitzende

An der Spitze von VENRO hat es derweil einen Wechsel gegeben: Michael Herbst von der Christoffel Blindenmission (CBM) und Gudrun Schattschneider von World Vision Deutschland wurden zu den neuen Vorstandsvorsitzenden des Verbandes gewählt. Herbst und Schattschneider bilden nun die Doppelspitze des Vorstands. Herbst, Leiter der politischen Arbeit bei CBM, gehört seit 2019 dem VENRO-Vorstand an. Schattschneider, Leiterin der Abteilung „Politik und Fachlichkeit“ bei World Vision Deutschland, ist dazu seit 2019 Schatzmeisterin im VENRO-Vorstand.

Das neue Vorstands-Duo löst Mathias Mogge und Martina Schaub ab. Mogge scheidet nach zehn Jahren Amtszeit aus dem Vorstand aus. Schaub, Mitglied seit 2016, wird dem VENRO-Vorstand weiterhin angehören.

Nils Hartung

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Ungedeckter Verhütungsbedarf in Afrika – Eine Frage der Selbstbestimmung

Blog | 12. Dezember 2023

Weltverhütungstag & Tag für das Recht auf sichere Abtreibung

Knapp jedes zehnte Mädchen in Afrika bekommt ihr erstes Kind im Alter zwischen 15 und 19 Jahren. Grund dafür ist auch, dass eine große Zahl von ihnen zwar nicht schwanger werden möchte, aber keine moderne Verhütungsmethode nutzen kann – etwa 7 Millionen junge Frauen in diesem Alter. Im Alter zwischen 20 und 49 Jahren betrifft dies 51 Millionen Frauen. Anlässlich einer Aktionswoche zum Weltverhütungstag (26. September) und zum Internationalen Tag für das Recht auf sichere Abtreibung (28. September) weisen die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) und das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung darauf hin, dass dieser ungedeckte Verhütungsbedarf allein in der Afrikanischen Union jedes Jahr geschätzt zu 27 Millionen unbeabsichtigten Schwangerschaften führt. Davon werden 8 Millionen unter medizinisch unsicheren Bedingungen abgebrochen, was jährlich für 15.000 Frauen tödlich endet.

Berlin, 25.9.2023. „Jede Frau muss selbstbestimmt entscheiden können, ob und wie sie verhütet und eine unbeabsichtigte Schwangerschaft sicher beenden können“, fordert Angela Bähr, stellvertretende Geschäftsführerin der DSW. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist ein Kernelement der Geschlechtergerechtigkeit. Die unbeabsichtigten und insbesondere auch die viel zu frühen Schwangerschaften haben meist zur Folge, dass die Mädchen die Schule abbrechen und auf lange Sicht kein selbstbestimmtes Leben führen können. „Es braucht altersgerechte Verhütungsmittel, in deren Erforschung und Weiterentwicklung dringend investiert werden muss“, erklärt Bähr. In Afrika südlich der Sahara, wo 40 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind, ist aber nicht nur der Bedarf an altersgerechten Verhütungsmethoden, sondern auch an Sexualaufklärung enorm hoch. Neben der entsprechenden, jugendfreundlichen Beratung bedarf es vor allem Gesundheitsdiensten zur Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten, zur Mütter- und Neugeborenenversorgung und zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.

„Wie sich die Region in Zukunft entwickelt, ist auch davon abhängig, wie selbstbestimmt Frauen und Mädchen Entscheidungen über ihre Familienplanung treffen können“, betont die Direktorin des Berlin-Instituts, Catherina Hinz. „Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass Geschlechtergerechtigkeit einer der Schlüsselfaktoren für die Entwicklung von Staaten ist.“ Im Sinne einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik ist nicht nur in Afrika ein stärkeres politisches und gesellschaftliches Engagement im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte dringend erforderlich. „Körperliche Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, das weltweit zunehmend wieder in Frage gestellt wird“, mahnt Hinz. Die verschärften Gesetzgebungen gegen die LGBTQIA-Community in mehreren afrikanischen Staaten weisen ebenso in diese Richtung, wie die Einschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in den USA und Entwicklungen bei europäischen Nachbarn wie Polen, Ungarn oder Malta. Nicht zuletzt geht es hier um ein Kernthema im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit, bei dem die Bundesregierung eine führende Rolle einnehmen sollte.

Weitere Informationen

↗ Fünf Fragen – 5 Antworten zum Thema Verhütung

↗ Beitrag: „Schwangerschaftsabbruch – das Recht auf Sicherheit, Selbstbestimmung und Entkriminalisierung weltweit“

Grafiken

↗ Ungedeckter Bedarf an Familienplanung bei verheirateten Frauen

↗ Geburtenrate bei Jugendlichen

 Aktuelle Zahlen und Fakten finden Sie in dem gemeinsam von Berlin Institut und DSW veröffentlichten ↗ Factsheet

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

Internationale NGO seit 1991

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5 Fragen – 5 Antworten zu Dengue

Blog | 20. November 2023

Irgendwie hat man den Namen schon mal gehört: Dengue. Das war doch auch eine dieser Krankheiten, die es in tropischen Ländern gibt. Nur da? Und kann man sich eigentlich davor schützen? Wir haben mit Dr. med. Thomas Jänisch von der Sektion Tropenmedizin, Department für Infektiologie, am Universitätsklinikum Heidelberg gesprochen.

  1. Was ist Dengue?
  2. Wo ist Dengue verbreitet?
  3. Ist Dengue eine Armutskrankheit?
  4. Wie kann man sich vor einer Ansteckung schützen und die Krankheit behandeln?
  5. Was kann und muss getan werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern?

1. Was ist Dengue?

Dr. Jänisch: Das Dengue-Fieber ist eine Viruserkrankung, die durch Moskitos übertragen wird. Die wichtigsten Überträger sind die sogenannte Gelbfiebermücke und die asiatische Tigermücke. Beide Moskitos können noch weitere Fieberkrankheiten wie Zika oder Chikungunya übertragen, allerdings ist Dengue die gefährlichste Krankheit mit einer nennenswerten Anzahl von schweren Verläufen im akuten Stadium.

Es kommt zu Symptomen wie bei einer schweren Grippe: hohes Fieber, starke Kopf- und Gliederschmerzen. Bei einem schweren Verlauf ist eine gute medizinische Versorgung besonders wichtig, damit Komplikationen aufgefangen werden, ansonsten kann die Krankheit sogar tödlich enden. Der Krankheitsverlauf ist schnell und es ist nicht einfach vorherzusehen, ob eine Dengue-Erkrankung schwer verläuft. Nach überstandener Krankheit sind im Allgemeinen keine Folgeschäden zu erwarten. Die Betroffenen fühlen sich jedoch teilweise noch über Wochen schlapp.

Fälle von Dengue-Fieber nehmen weltweit zu und die Infektionszahlen haben mittlerweile die von Malaria überholt. Schätzungsweise 400 Millionen Menschen infizieren sich jedes Jahr weltweit, von denen nur rund 100 Millionen Menschen einen Arzt aufsuchen.

2. Wo ist Dengue verbreitet?

Dr. Jänisch: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Regionen, in denen Dengue vorkommen kann. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist das Virus mittlerweile in mehr als 100 Ländern weltweit verbreitet. Die Regionen Nord- und Südamerika, Südostasien und Westpazifik sind am stärksten betroffen, wobei rund 70% der weltweiten Krankheitslast auf Asien entfällt.

Das Denguefieber breitet sich aber auch in neuen Gebieten aus, wie in Europa, und es kommt zu explosionsartigen Ausbrüchen. Lokale Übertragungen wurden 2010 zum ersten Mal in Frankreich und Kroatien gemeldet. In den Jahren 2012/13 gab es einen Dengue-Ausbruch auf der portugiesischen Ferieninsel Madeira, wo die Gelbfiebermücke seit 2007 vorkommt. Auf dem europäischen Festland gibt es die Gelbfiebermücke derzeit noch nicht – allerdings hat sich die asiatische Tigermücke seit den 1950er-Jahren ausgebreitet. Auch in Deutschland ist sie mittlerweile nachgewiesen worden – z. B. in Heidelberg, Freiburg und Jena. Durch regen Autoverkehr der Urlauber aus dem Süden über die Autobahn A5, aber auch durch Lastwagen- bzw. Containerverkehr über Zugstrecken konnte sie sich weiter ausbreiten und profitiert letztlich auch vom Klimawandel, da die höheren Temperaturen der wärmeliebenden Tigermücke die Ausbreitung vereinfachen. Zuletzt wurden im September 2023 einzelne Übertragungen von Dengue-Viren am Gardasee in Italien gemeldet.

3. Ist Dengue eine „Armutskrankheit“?

Dr. Jänisch: Interessanterweise Ja und Nein. Dengue ist eine typische Krankheit der Globalisierung. Überträger-Moskitos profitieren von der „Landflucht“ in vielen Ländern der Südhalbkugel, durch die Großstädte schnell wachsen und dabei Armenviertel, sogenannte Slums oder Favelas, entstehen. Fehlende Müllabfuhr, kaputte Straßen, Rohbauten und improvisierte Wasserreservoirs bieten gute Brutstätten für Stechmücken. Gerade in Schwellenländern wird Dengue zunehmend zu einem Problem der öffentlichen Gesundheit.

Auf der anderen Seite betrifft Dengue in den Megastädten des Südens in der Folge sowohl ärmere als auch reichere Menschen, deren Stadtviertel aneinander grenzen. Die infizierten Stechmücken bleiben ja nicht in den Slums, sondern schwirren auch auf den Märkten und in den Parks, die von allen benutzt werden.

4. Wie kann man sich vor einer Ansteckung schützen und die Krankheit behandeln?

Dr. Jänisch: Bislang gibt es keine spezifische Behandlung gegen Dengue. Die Behandlung ist symptomatisch. Das heißt, die Erkrankten bekommen Medizin, um die einzelnen Symptome zu bekämpfen, aber kein Präparat gegen die Krankheit insgesamt. Bei schweren Verläufen müssen Patienten intensivmedizinisch betreut werden.

Es gibt zwei Impfstoffe. Der erste – Dengvaxia von Sanofi – ist aufgrund von Komplikationen bei Gesunden, die noch nicht infiziert waren, mittlerweile auf Personen im Alter von 9 bis 45 Jahren beschränkt, die in einem Endemiegebiet leben und zuvor bereits eine Dengue-Infektion durchgemacht haben. Die verfügbaren Daten zeigen eine Schutzwirkung für solche Menschen – wenn auch keine optimale. Der zweite – Qdenga von Takeda – wurde erst im Dezember 2022 durch die EU-Kommission zugelassen; er hat weniger Nebenwirkungen und kann ab dem Alter von vier Jahren eingesetzt werden.

Der beste Schutz vor einer Ansteckung ist natürlich der Schutz vor Mückenstichen, was aber in der Praxis schwierig ist. Im Gegensatz zur Malariamücke stechen die Mücken, die Dengue übertragen, tagsüber.

5. Was kann und muss getan werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern?

Dr. Jänisch: Die weltweite Ausbreitung von Dengue und der Überträger-Moskitos muss unter Kontrolle gebracht werden. Das ist eng mit einer Reduzierung der Armut in den Megastädten des Südens verbunden. Denn mangelnde Wasserversorgung und schlechte Müllentsorgung führen zu einer Zunahme der Moskitos. Derzeit wird auch an manipulierten Moskitos im Labor geforscht, die sich weniger gut zur Übertragung eignen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Wenn erkrankt, müssen Patienten engmaschig betreut werden, damit der Arzt einschätzen kann, welchen Verlauf die Krankheit nimmt. Wir brauchen gut erprobte Warnhinweise, die dem Arzt helfen, Entscheidungen zu treffen. Dafür müssen wir auch die biologischen und immunologischen Grundlagen schwerer Verläufe noch besser verstehen lernen.

Wir brauchen ferner bessere Informationen über den Stand der Ausbreitung in Afrika und auf dem indischen Subkontinent, um überhaupt die Größe des Problems einzuschätzen. In dem Zusammenhang brauchen wir auch bessere diagnostische Tests für Dengue, um trennscharf zwischen eng verwandten Viren unterscheiden können – beispielsweise zwischen Dengue und Zika.

Und ganz grundlegend müssen wir gegen den Klimawandel ankämpfen, da dieser zur Verbreitung solcher Krankheiten beiträgt.

Leonie Müßig

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5 Fragen – 5 Antworten zu weiblicher Genitalverstümmelung

Blog | 02. November 2023 | #Pressemitteilung

Der 6. Februar ist der internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit 200 Millionen beschnittene Mädchen und Frauen leben. Jedes Jahr kommen drei Millionen hinzu. Was hat es mit der Praxis auf sich? Hat sie etwas mit Religion zu tun? Und was kann man dagegen tun? Hier sind fünf Fragen und fünf Antworten zu weiblicher Genitalverstümmelung.

1. Warum Verstümmelung und nicht Beschneidung?

Bis in die 80er Jahre hinein wurde noch häufig von weiblicher Beschneidung gesprochen. Entwicklungsorganisationen und Aktivist*innen drängten jedoch darauf, den Begriff durch „Genitalverstümmelung“ zu ersetzen. Die Verwendung des Begriffs Genitalverstümmelung soll klar zeigen, dass bei dem Eingriff das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird.

Wenn es nicht um die grausame Praktik selbst, sondern um die Betroffenen geht, sprechen wir aus Respekt von beschnittenen und nicht verstümmelten Frauen.

2. Was passiert bei der Genitalverstümmelung?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, denn es gibt viele Formen der Genitalverstümmelung (siehe Abbildung), die auch unterschiedlich durchgeführt werden. Die mit Abstand gefährlichste Form ist die pharaonische Genitalverstümmelung, die normalerweise von traditionellen Beschneiderinnen durchgeführt wird.

Meist sind die Mädchen jünger als 15 Jahre, wenn ihnen mit einem unsterilisierten Messer, einer Rasierklinge oder Glasscherbe der Genitalbereich amputiert wird. Eine Betäubung bekommen die meisten nicht. Nachdem die Wunde vernäht wurde, bleibt ihnen nur eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut. Für etwa einen Monat werden ihnen die Beine verbunden, damit die Wunde heilen kann. Viele Mädchen und Frauen verbluten dabei oder sterben später an den Folgen, wie beispielsweise Wundstarrkrampf oder Tetanus. Doch auch wer den Eingriff überlebt, leidet meist unter schweren körperlichen Folgen wie Fistelbildung, Inkontinenz, Schmerzen beim Wasserlassen, Infektion der Harnwege oder des Reproduktionstrakts und vieles mehr. Nicht zuletzt erhöht sich auch das Risiko einer HIV-Infektion.

In einigen Ländern wird die Genitalverstümmelung unter hygienischen Bedingungen von Gesundheitspersonal durchgeführt. Doch der Eingriff ist und bleibt eine Menschenrechtsverletzung, die von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen entschieden abgelehnt wird. Körperliche und psychische Beschwerden begleiten die Frauen oft ein Leben lang.

3. Ist Genitalverstümmelung eine islamische Praxis?

Häufig heißt es, Genitalverstümmelung komme aus dem Islam. Diese Behauptung stimmt jedoch nicht. Im Koran heißt es in Sure 95,4: „Wahrlich, wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.“ Im vorwiegend christlichen Äthiopien sind ca. 65 Prozent und in Sierra Leone sogar 86 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Religion wird zwar oft als Grund vorgeschoben, auch von den religiösen Meinungsführer*innen selbst, doch es ist vielmehr eine traditionelle Praktik, die vor allem in Ländern Afrikas und Asiens durchgeführt wird und älter ist als Islam oder Christentum. Dies belegen unter anderem mumifizierte Körper pharaonischer Prinzessinnen.

4. Warum wird die Genitalverstümmelung durchgeführt?

Weibliche Genitalverstümmelung ist Teil eines Übergangsrituals vom Mädchen zur Frau. Es passiert jedoch nicht immer im Jugendalter. Denn damit sich die Mäd­chen nicht dazu äußern können oder sogar von den vielerorts bestehenden Gesetzen Gebrauch machen, wer­den sie häu­fig schon in ganz jun­gen Jah­ren beschnitten.

Es ist eine Tradition, die tief in den Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verwurzelt ist. In der ostafrikanischen Volksgruppe Massai gelten unbeschnittene Frauen beispielsweise als unrein und damit für den Heiratsmarkt als wertlos. Und noch ein Aspekt spielt eine wichtige Rolle: Da der Geschlechtsverkehr für die meisten beschnittenen Frauen große Schmerzen mit sich bringt, soll es sie davor „schützen“ ihren Ehemann zu betrügen.

Wenn die Rolle der Ehefrau für ein Mädchen die einzige Perspektive ist, ist die Heiratsfähigkeit (und damit die Genitalverstümmelung) für Eltern auch eine Form der Absicherung ihrer Tochter. Für die Fortführung dieser Begründung spielen auch die Frauen in den Gemeinden eine wichtige Rolle: Der Eingriff wird unter Ausschluss von Männern durchgeführt und häufig von der eigenen Mutter forciert.

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5. Was kann man dagegen tun?

Aufklärung! Und außerdem: Frauen stärken, Frauen stärken und nochmals Frauen stärken. Denn wenn Frauen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen, ihr eigenes Einkommen verdienen und damit auch finanziell unabhängig sind, wird dieser Tradition eine wichtige Grundlage genommen. Wenn ihr Recht auf Unversehrtheit sowie körperliche und sexuelle Selbstbestimmung gewahrt wird, können sie sich entfalten und zu Fürsprecherinnen ihrer eigenen Bedürfnisse werden.

Auch Jungen und Männer müssen ausführlich über die Konsequenzen weiblicher Genitalverstümmelung aufgeklärt werden, denn als Freunde, Söhne, Ehemänner, Väter wird auch ihr Leben beeinflusst, wenn Mädchen und Frauen Infektionen, Schmerzen, Albträume und Angstzustände durchleben. Sex tut den Frauen oft weh oder ist gar nicht möglich. Auch das Kinderkriegen wird durch eine Genitalverstümmelung beeinträchtig oder unmöglich gemacht. Darüber hinaus fällt es Betroffenen häufig schwer, anderen Personen zu vertrauen. Kurzum: Wenngleich viele Männer den Eingriff befürworten und für eine Heirat voraussetzen – am Ende profitieren auch sie nicht davon. Da ihnen das möglicherweise gar nicht bewusst ist, müssen sie dringend in Aufklärungskampagnen mitgedacht und einbezogen werden. Und die Erfolgsquote ist hoch: In Äthiopien, Kenia und Tansania lehnen neun von zehn Jungen und Männern, die über weibliche Genitalverstümmelung informiert wurden, die Praktik ab.

Um eine Beendigung der Praktik zu erreichen, müssen sich außerdem die lokalen Autoritäten wie Dorfvorsteher, religiöse Meinungsführer*innen und Gesundheitspersonal stark machen. Informationen, Diskussionen und kritische Reflexion gehören also genauso dazu, wie der Erlass von Gesetzen. Das kann sich auch in alternativen Zeremonien für Mädchen ausdrücken, die zwar den Übergang zum Erwachsenwerden markieren, aber die Mädchen nicht verletzen.

Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist auch die Beschneiderin: Zum einen kann sie mit diesen Zeremonien ihren Lebensunterhalt sichern. Zum anderen ist sie hierdurch ein angesehenes Mitglied ihrer Gemeinschaft. Wenn sie Zugang zu anderer Arbeit sowie zu Informationen über Genitalverstümmelung bekommt, kann sie zu einer wirkungsvollen Advokatin gegen die Praktik werden.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)

Internationale NGO seit 1991

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Von Stille zu Stärke: der DSW-Medienpreis am Orange Day

Blog | 01. November 2023 | #Empowerment #Entwicklungspolitik #Geschlechtergerechtigkeit #Medienpreis #Orange Day

Nach drei langen Jahre Corona-Pause wurde die  Verleihung des DSW-Medienpreises „Weltbevölkerung“ mit vielen Gästen und einem abwechslungsreichen Programm im Pavillon Hannover gefeiert. Die Ehrung der Preisträger fand am Tag gegen Gewalt gegen Frauen, dem “Orange Day” statt und bot so auch den Anlass für eine Podiumsdiskussion sowie die Eröffnung von gleich zwei Ausstellungen zum Thema.

Moderiert wurde der Abend, zu dem neben der DSW auch die Christoffel-Blindenmission (CBM) geladen hatte, von Ninia LaGrande. Diese sorgte in ihrer Rolle als Poetry Slammerin dann auch für einen der Höhepunkte des Abends: Ihr sehr persönlicher Text zum Thema Gewalt gegen Frauen wurde gleich zu Beginn mit begeistertem Applaus bedacht. Im Anschluss führte sie souverän und einfühlsam durch die Podiumsdiskussion über geschlechtsspezifische Gewalt. Sehr differenziert debattierten Kirsten Böök (Justizministerium Niedersachsen), Lisanne Richter (Catcalls of Hannover), Aktivistin und Autorin Nujeen Mustafa mit Angela Bähr (stellvertretende Geschäftsführerin der DSW) und Anne Schrader (CBM) unter anderem über die Frage, ob Femizid ein eigener Straftatbestand werden sollte.

„Zusammenhang stärker in öffentliche Diskussion rücken“

Im zweiten Teil des Abends wurde dann der unter der Schirmherrschaft von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schultze stehende Medienpreis Weltbevölkerung verliehen. Ninia LaGrande stellte die ausgezeichneten Beiträge von Jana Gioia Baurmann, Nadija Drlic, Katrin Gänsler und Andrea Wojtkowiak, Lisa Rauschenberger und Jonas Reese sowie Rebecca Wolfer vor. Sie alle haben sich Themen gewidmet, die im Bereich globale Gesundheit und/oder Geschlechtergerechtigkeit beheimatet sind. „Wir wollen mit unserem Medienpreis den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung, Armut und Gesundheit in Afrika südlich der Sahara stärker in die öffentliche Diskussion rücken“, sagte Angela Bähr, die gemeinsam mit der stellvertretenden Stiftungsratsvorsitzenden, Renate Bähr, die Preisschalen überreichte. Musikalisch begleitet wurde das ganze Programm von den farbenfrohen und fröhlichen Auftritte der Band HIHEME aus Köln, die sowohl afrikanische als auch feministische Akzente setzte.

Noch bis Mitte Dezember sind im Pavillon die beiden Fotoausstellungen zu sehen: „Silent Tears“ des australischen Künstlerkollektivs um Belinda Mason, die sich eindrucksvoll der Thematik geschlechtsbasierter Gewalt und besonderen Vulnerabilität von Frauen mit Behinderung annähert, und “Von der Stille zur Stärke”, mit  Frauenportraits des kenianischen Fotografen Brian Otieno, der für die DSW in Ostafrika arbeitet Weitere Informationen zu den Ausstellungen gibt es auf der offiziellen Website des Pavillons Hannover.

Nils Hartung

Verhütung: Ein Recht für alle, ein Privileg für wenige.

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5 Fragen – 5 Antworten zur Verhütung

Blog | 23. September 2023

Wie steht es um die Verhütung in der Welt? Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen.

Am 26. September ist Weltverhütungstag. Auch bekannt als „World Contraception Day,“ wurde er erstmals im Jahr 2007 ins Leben gerufen. Dieser jährliche internationale Tag hat das Ziel, das Bewusstsein für Verhütungsmethoden zu schärfen und Informationen über sexuelle Gesundheit und reproduktive Rechte weltweit zu verbreiten. Der Weltverhütungstag zielt darauf ab, auf die Bedeutung der Verhütung hinzuweisen, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, die Gesundheit von Frauen zu schützen und die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Familienplanung zu fördern. Er soll den Blick darauf lenken, wie wichtig Sexualaufklärung und Verhütung für uns alle ist – und darauf, dass viele Frauen in Entwicklungsländern ihr Recht auf Verhütung noch immer nicht wahrnehmen können.

  1. Wie verhüten die meisten Menschen weltweit?
  2. Welche Verhütungsmethoden sind besonders wirksam?
  3. Ist Verhütung für jeden selbstverständlich?
  4. Welche Folgen hat fehlende Verhütung?
  5. Was ist zu tun, damit Verhütung selbstverständlich wird?

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1. Wie verhüten die meisten Menschen weltweit?

Während in Deutschland die Antibabypille unangefochten an der Spitze steht, ist die weltweit gängigste Verhütungsmethode mit 24 Prozent die Sterilisation der Frau, gefolgt von dem Kondom für den Mann mit 21 Prozent. Spiralen und die Pille landen im weltweiten Durchschnitt lediglich auf den Plätzen 3 und 4. Etwa 8 Prozent nutzen traditionelle Methoden – darunter der Coitus Interruptus oder die Zykluskontrolle.

Wenn Frauen die Wahl zwischen verschiedenen Verhütungsmethoden haben, gibt es mehrere Faktoren, die ihre Entscheidung beeinflussen. Dazu zählen gesundheitliche Nebenwirkungen, die einfache Anwendbarkeit und die Präferenz des Partners. In Entwicklungsländern, in denen Frauen häufig gesellschaftlich schwächer gestellt sind, können Frauen die Anwendung von Verhütung gegenüber ihrem Partner oft nicht durchsetzen. Daher sind „unsichtbare“ Methoden wie die Dreimonatsspritze besonders wichtig. Eine Übersicht über 17 Verhütungsmittel mit Hinweisen zur Anwendung und zu Vor- und Nachteilen bietet die Seite Your Life.

2. Welche Verhütungsmethoden sind besonders wirksam?

Die meisten modernen Verhütungsmethoden sind sehr wirksam, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Das setzt jedoch voraus, dass man sie korrekt und regelmäßig anwendet. Es genügt also nicht, Verhütungsmittel bereitzustellen. Vielmehr müssen auch Informationen darüber vermittelt werden, wie sie anzuwenden sind. Die Wirksamkeit der verschiedenen Verhütungsmethoden lässt sich daran messen, wie viele Schwangerschaften es pro 100 Frauen im ersten Jahr der Nutzung gibt. Die wenigsten Schwangerschaften (nämlich nicht einmal eine pro 100 Frauen) gibt es bei Implantaten, Spiralen und der weiblichen Sterilisierung, womit diese als die sichersten Verhütungsmethoden gelten. Die meisten Schwangerschaften gibt es bei den beiden traditionellen Methoden Coitus Interruptus (22) und Zyklusmethoden (24) sowie bei Spermiziden (28). Allerdings schützt selbst die am wenigsten wirksame Methode noch um ein Vielfaches besser vor einer Schwangerschaft als keine Methode. Denn: Von 100 sexuell aktiven Frauen, die auf Verhütung verzichten, werden innerhalb eines Jahres 85 schwanger.

3. Ist Verhütung für jeden selbstverständlich?

In Entwicklungsländern kann jede vierte Frau, die eine Schwangerschaft vermeiden möchte, nicht verhüten. Das sind 218 Millionen Frauen! Während Verhütung für die meisten Frauen in Industrieländern eine Selbstverständlichkeit und leicht zugänglich ist, können Frauen in Afrika südlich der Sahara davon nur träumen. Dort hat jede zweite Frau, die verhüten möchte, keine Möglichkeit dazu. Dabei ist Verhütung ein Menschenrecht. Ob jemand Verhütungsmittel verwendet oder nicht, ist unter anderem eine Frage der Bildung und des Einkommens. Wenn Frauen keine Verhütungsmittel verwenden, kann es aber auch daran liegen, dass sie mit den verfügbaren Verhütungsmethoden unzufrieden sind oder sie Angst vor den Nebenwirkungen haben. Sexualaufklärung, gute Beratungsangebote und ein hochwertigeres Verhütungsmittelangebot sind nötig, um dem entgegenzuwirken. Vor allem für junge Frauen in Entwicklungsländern ist der Zugang zu Verhütungsmethoden, die ihren Bedürfnissen entsprechen, (über-)lebenswichtig, denn sie sind besonders den Auswirkungen fehlender Familienplanungsmöglichkeiten und zugleich sehr hohen Risiken bei einer zu frühen Schwangerschaft ausgesetzt.

4. Welche Folgen hat fehlende Verhütung?

In Entwicklungsländern werden mehr als 300.000 Mädchen und Frauen ungewollt schwanger – jeden TagPro Jahr sind das 111 Millionen ungewollte Schwangerschaften. Was hinter diesen Zahlen steckt: Vor allem bei Mädchen und jungen Frauen und bei denjenigen, die einen unsachgemäßen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen, bedeutet eine ungewollte Schwangerschaft häufig gravierende, teilweise lebenslange gesundheitliche Einschränkungen oder sogar den Tod. So zählen Komplikationen infolge von Schwangerschaft oder Geburt für Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren zu den häufigsten Todesursachen. Hinzu kommt, dass Mädchen in Entwicklungsländern, die schon im Teenageralter schwanger werden, häufig die Schule oder Ausbildung abbrechen müssen. Ein Kreislauf aus Armut und Not beginnt. Gerade deshalb sind Aufklärung und Familienplanung so wichtig. Investitionen in Familienplanungsmöglichkeiten helfen nicht nur, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und Leben zu retten. Mit jedem zusätzlich in Familienplanung investierten US-Dollar können 3 US-Dollar für schwangerschaftsbezogene Gesundheitsdienste eingespart werden. Wenn alle Frauen verhüten könnten und Schwangere und Neugeborene eine gute medizinische Versorgung bekämen,

5. Was ist zu tun, damit Verhütung selbstverständlich wird?

Da ist ein ganzer Strauß von Maßnahmen zu nennen: von der Entwicklung neuer Verhütungsmethoden, die auf bessere Akzeptanz bei allen Zielgruppen stoßen und deren Bedürfnisse besser befriedigen, über den Ausbau an Aufklärungs- und Verhütungsangeboten – besonders auch für junge Menschen – bis hin zur Stärkung von Gesundheitssystemen allgemein. Das alles kostet Geld, aber der Rahmen ist überschaubar. Um den Bedarf an sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten in Entwicklungsländern zu decken, sind insgesamt 69 Mrd. US-Dollar notwendig. Das sind 31 Milliarden US-Dollar mehr, als gegenwärtig in Verhütungsmittel und Gesundheitssysteme investiert wird. Gefordert sind dabei sowohl die Entwicklungs- als auch die Industrieländer. Mehr Mittel für Verhütung ist gut investiertes Geld und zahlt sich mehrfach aus – sowohl aus menschenrechtlicher als auch aus wirtschaftlicher Sicht.

Und hier noch 5 Fragen – 5 Antworten der etwas anderen Art:

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen am 24.09.2015 und wird jährlich mit neuen Zahlen überarbeitet.

Elias Domsch

Referent Presse- & Öffentlichkeitsarbeit