WTOHongkong/Berlin (epo). - Wenn sich am heutigen Dienstag Delegierte aus 149 Ländern zur Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong versammeln, scheint der Ausgang ungewiss. Nach Seattle (1999) und Canc?n (2003) könnte der WTO Gipfel zum dritten Mal scheitern. Oder ein wackliger Kompromiss dreht die Schraube der Liberalisierung im Welthandel ein wenig weniger weiter als erhofft. Äußerst unwahrscheinlich ist, dass die Konferenz eine völlige Liberalisierung des Welthandels beschließt. Aber auch dieses Szenario ist es wert, einmal durchdacht zu werden.

Im Vorfeld des Hongkong Gipfels sind die Fronten abgesteckt. Die Befürworter einer weiteren Liberalisierungsrunde im Welthandel verweisen auf die Vorteile, die ein Öffnen der Märkte global wie national nach Auffassung der "Freihändler" unweigerlich mit sich bringt. Freier Handel nützt allen, lautet das Credo, zwar in unterschiedlichem Ausmaß, aber letztlich eben allen. Per "trickle down" sickern die zusätzlichen Vorteile in Form von Veräußerungserlösen, die das Wachstum des Welthandels generiert, irgendwann auch bis zum letzten Kleinbauern in Burkina Faso durch.

Die reformorientierten WTO-Kritiker argumentieren: wenn schon Liberalisierung, dann aber sozial und ökologisch verträglich. Die WTO benötigt "ökologische und soziale Leitplanken", lautet der immer wieder kolportierte Slogan der WTO-Reformisten. Ein Scheitern der "Entwicklungsrunde" würde eine Chance zunichte machen, das Weltwirtschaftssystem gerechter zu gestalten. Eine Alternative zur WTO und zum Trend der Handelsliberalisierung existiere eben nicht. (Siehe auch epo Interview mit Barbara Unmüßig, Vorstandsvorsitzende der Heinrich Böll Stiftung).

Die Radikaleren unter den Globalisierungskritikern, darunter viele NGOs aus dem Süden und Teile des globalisierungskritischen Netzwerks "Attac", wollen "Hongkong platzen" oder "entgleisen" lassen. Lieber kein Ergebnis als ein für die Menschen in den ärmeren Entwicklungsländern - und die Unterprivilegierten in den Industriestaaten - schlechtes Ergebnis, lautet ihr Credo.

WAS BRINGT DIE GLOBALISIERUNG?

Martin KhorDie "Doha Entwicklungs-Agenda" (Doha Development Agenda, DDA), schreibt Martin Khor (Foto) vom Third World Network in Malaysia, einer der einflussreichsten Vordenker aus dem Süden, "got its nickname when the developed countries pressurised the developing countries to accept a new Work Programme at the Doha Ministerial in November 2001. To cover the fact that the programme was really aimed at opening the markets of the South, the WTO secretariat leadership and the major developed countries dubbed it the DDA."

Während einer Auftakt-Demonstration am 11. Dezember in Hongkong sagte Khor vor rund 4.000 Protestierenden zu den Inhalten der Ministerkonferenz: "Das könnte eine Katastrophe werden. Die Doha-Runde enthält nichts mehr zu Entwicklung. Es geht einfach nur um Marktzugang."

Und dafür müssen die Zölle gesenkt werden. Die führenden westlichen Industrienationen argumentieren, von niedrigeren Zollschranken könnten alle Länder profitieren, ob bereits industrialisiert oder nicht.

Das ist ein Mythos. Zwei neue Studien von Ha Joon Chang (Cambridge University) und dem früheren Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Yilmaz Akyuz, weisen nach, dass sich die heute führenden westlichen Industrienationen mitnichten an dieses Rezept hielten. Auch die erfolgreichen asiatischen Ökonomien Taiwan, Südkorea und Japan schützten mit hohen Zöllen ihre wachsende Industrie während der Aufbauphase.

Die USA, so die Studie von Chang, behielten in der Zeit zwischen 1820 und 1931 durchschnittliche Industriezölle von 40 bis 50 Prozent bei. Frankreichs Durchschnittszölle lagen zwischen 1913 und 1931 um die 20 bis 30%. Deutschlands Zölle im Industriebereich lagen zwischen 1925 und 1931 bei 20 bis 21% und bei 26% im Jahr 1950.

Nach den Untersuchungen von Akyuz lagen die Zölle in den USA bei 44%, als das Land im Jahr 1913 ein durchschnittliches Pro Kopf Einkommen von 5.301 US-Dollar (zu Preisen von 1990) aufweisen konnte. Deutschland hatte 1950 durchschnittliche Zölle von 26% und das Pro Kopf Einkommen lag bei 3.881 Dollar. Derart gegen ausländische Konkurrenz geschützt, konnten sich die heimischen Industrien prächtig entwickeln.

Die ärmsten Entwicklungsländer hatten ihre Zölle im Jahr 2001 aber bereits auf 13,6% senken müssen - bei einem Pro Kopf Einkommen von nur 898 Dollar. Alle Entwicklungsländer wiesen 2001 laut Akyuz Industriezölle von durchschnittlich 8,1% auf - bei einem Einkommen von 3.260 Dollar pro Kopf.

"Die Aufforderung der Industriestaaten an die Entwicklungsländer, ihre Zölle auf ein sehr niedriges Niveau oder den Null-Level zu senken, gleicht dem Kletterer, der das Dach erreicht hat und die Leiter wegtritt, auf der andere emporsteigen", kommentiert Martin Khor vom Dritte Welt Netzwerk in Malaysia.

Ein anderer, selten berücksichtigter Aspekt ist die Tatsache, dass Zolleinnahmen für arme Länder häufig 20 bis 30% der Staatseinnahmen ausmachen, in Industrieländern dagegen weniger als ein Prozent.

FREIHANDEL ÜBER ALLES?

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Kleinbauer in Burkina Faso. Ihre Familie müssen Sie mit einem US-Dollar pro Tag ernähren. Sie setzen auf eine völlige Liberalisierung des Welthandels. Die ist unwahrscheinlich, denn die Staaten und Konzerne, die im globalen Geschäft das sagen haben, wissen die freie Marktwirtschaft überall dort zu verhindern, wo sie ihren Interessen schadet.

Aber gesetzt den Fall, eine völlige Handelsliberalisierung wäre erreicht. Sagen wir im Jahr 2015. Nach einer neuen Studie der Weltbank würde das weltweit 287 Milliarden US-Dollar zusätzliches Einkommen bringen. Ein riesige Summe, gewiss. Aber doch nur 0,7 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts, das die Bank für das Jahr 2015 erwartet.

Konkret bedeutet dies Einkommensvorteile für jeden Erdenbürger von drei bis 20 Dollar im Jahr 2015. Natürlich profitieren die Reichen ein bisschen mehr: Zwei Drittel der Einkommenszuwächse würden die reichen Staaten für sich verbuchen. Davon würden wiederum vor allem die Reichen in den reichen Staaten profitieren.

Ihnen als Kleinbauer in Burkina Faso bringt die völlige Liberalisierung aber auch etwas. Statt nur einen Dollar pro Tag haben Sie 2015 einen Dollar und 0,7 Cent in der Tasche, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Es könnte aber auch etwas weniger sein, weil die Reichen in Burkina Faso etwas mehr als arme Schlucker wie Sie auf ihr Konto buchen würden.

WER HAT DEN SCHWARZEN PETER?

Deborah JamesWie der Gipfel auch ausgeht - der Schwarze Peter ist schon im Vorfeld ausgeteilt. Deborah James, Global Economy Director der NGO "Global Exchange" in San Francisco, erwartet in den US-Medien das übliche Geschrei über das mangelnde Streben nach einem Durchbruch in den Verhandlungen auf Seiten der Europäer und von Schwellenländern wie Brasilien oder China. Die europäischen Beobachter werden den Schwarzen Peter wie üblich der sturen US-Administration zuschieben.

Die eigentlichen "Kartenleger" beim globalen Spiel um Handels- und Marktanteile, die multinationalen Konzerne, die im Rahmen der Globalisierung die Spielregeln permanent zu ihren Gunsten ändern, gehen bei der Austeilung des Schwarzen Peters meist leer aus. Das soll sich ändern, meint Deborah James. Statt das Spiel mit vornehmen Etiketten wie "Freihandel" oder "Liberalisierung" zu versehen oder es beim neutralen Begriff "Globalisierung" zu belassen, plädiert sie dafür, es beim Namen zu nennen: "Globale Konzern-Herrschaft" (global corporate rule).

Kann die Herrschaft der Aktiensammler und Profitjäger dem Gemeinwohl dienen, Wachstum erzeugen, Arbeitsplätze schaffen, die Welt demokratischer gestalten? Für James ist klar: "The radical experiment of instituting a global corporate government has failed to deliver economic growth, development, or democracy, and never will."

James sieht die WTO in der Krise, "because the model of corporate globalization has failed to produce economic growth, its supposed mandate. For 10 years, the WTO has helped to promote a surge in global trade -- and yet this increase in trade has failed to raise economic growth, even to the levels achieved during the pre-1980 era. It has also failed to alleviate poverty. According to the United Nations, we still live in a world where 24,000 people die worldwide every day from hunger and poverty-related diseases."

Third World Network
Global Exchange

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