Protestaktion in Hongkong. Foto: AttacHongkong (dpa). - Am letzten Tag des Gipfeltreffens der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong konnte nach zähen Verhandlungen eine Einigung auf einen Kompromiss hinsichtlich der Öffnung der Märkte erzielt werden. Das von WTO Generalsekretär Pascal Lamy vorgelegte Abschlussdokument löste sowohl bei der EU als auch bei den Schwellenländern (G20) und den ärmeren Entwicklungsländer vorsichtig geäußerte positive Reaktionen aus. Dem Lamy-Papier zufolge sollen die Agrarexportsubventionen der reichen Länder spätestens im Jahr 2013 auslaufen. Die von Deutschland unterstützten Erleichterungen bei den Industriezöllen wurden nicht in das Dokument aufgenommen.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson erklärte, das Kompromisspapier sei "annehmbar". Mandelson verspürte offenbar mehr Verhandlungsspielraum, nach dem EU sich auf einen Etat geeinigt hat - und aufgrund der Tatsache, dass der Agraretat der EU bis 2013 ohnehin neu geordnet werden muss.

Die in der Gruppe G20 zusammengeschlossenen Schwellenländer erklärte sich mit der Terminierung des Auslaufens der Agrarsubventionen auf das Jahr 2013 einverstanden. Sie hatten zuvor das Jahr 2010 als Frist angestrebt. Brasiliens Außenminister Celso Amorim sprach von einem "fairen Kompromiss" und nannte den Entwurf der Abschlusserklärung "vernünftig".

Die ärmsten Entwicklungsländer (Least Developed Countries - LDC) werden den "Deal" nach Ansicht von Experten nicht platzen lassen, zumal ihnen im Rahmen des sogenannten "Entwicklungspakets" der Welthandelsrunde von 2008 an ein zoll- und quotenfreier Zugang zu den Märkten der Industriestaaten eingeräumt werden soll.

Um den von Baumwolle als Exportprodukt abhängigen Ländern entgegen zu kommen, sollen die Exportsubventionen für dieses Produkt ab 2006 eingestellt werden. Die USA weigerten sich jedoch strikt, ein Datum für ein Auslaufen der Unterstützung der heimischen Baumwollproduzenten zu akzeptieren. Die US-Regierung unterstützt ihre Baumwoll-Farmer mit milliardenschweren Hilfen. Die afrikanischen Baumwollproduzenten können mit der Kompromißlösung nicht zufrieden sein, da der Text keine konkreten Regelungen für die inländischen Subventionen enthält.

Die Industriestaaten konnten sich hingegen hinsichtlich der Senkung von Industriezöllen nicht durchsezen. Offenbar ist eine Senkung nach der "Schweizer Formel" geplant, die vorsieht, dass hohe Zölle stärker gekürzt werden sollen als niedrige Zölle. Damit würden die Entwicklungsländer ihre Zölle stärker senken müssen als die Industrienationen, da sie derzeit versuchen, ihre Märkte vor der Billig-Konkurrenz aus Industrie- und Schwellenländern zu schützen. Das Kompromißpapier enthält aber keine konkreten Zahlen.

Auch am Sonntag gingen in Hongkong tausende Globalisierungskritiker gegen die WTO-Politik der Marktöffnung auf die Straße. Die Proteste am Sonntag verliefen zunächst friedlich. In der Nacht zuvor hatten die Behörden Hongkongs  rund 900 radikale Demonstranten verfolgt und viele von ihnen vorübergehend festgenommen. Vor allem südkoreanische Bauernvertreter lieferten sich Scharmützel mit der Polizei, bei denen nach Polzeiangaben 97 Menschen verletzt wurden, darunter 39 Polizisten.

"FRUST IM NGO-ZENTRUM"

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac berichtete aus Hongkong von "Frust im "NGO-Zentrum". "Einzelne Länder scheinen einzuknicken und beurteilen den neu vorgelegten Entwurf einer Abschlusserklärung weitgehend positiv. Kuba, die LDCs und Venezuela stehen allerdings auch weiterhin diesem nur leicht modifizierten Entwurf äußerst kritisch gegenüber."

Südafrika, so Attac, das "sich gestern noch sehr kritisch über der Verhandlungsverlauf erklärt und das 'Our World is not for Sale' Netzwerk zu einem gemeinsamen Treffen eingeladen hatte, ist mittlerweile umgekippt". Die Haltung Indonesiens sei noch immer unklar. "Auf jeden Fall wird es nicht zu einem großen Durchbruch für die reichen Länder in der WTO kommen - das ist ein kleiner Erfolg. Getrübt wird er allerdings mit der Aussicht, dass höchstwahrscheinlich schon innerhalb der nächsten drei Monate eine erneute Ministerkonferenz stattfinden wird", berichtete Attac im Weblog.

"Angesichts der ursprünglichen Pläne ist es positiv, dass nur wenig beschlossen wurde - aber das Wenige ist äußerst negativ", sagte Oliver Moldenhauer vom Attac-Koordinierungskreis in Hongkong. "Das längst überfällige Ende der Agrar-Exportsubventionen ist weit in Zukunft verschoben worden, doch im Gegenzug mussten die Entwicklungsländer gefährliche Weichenstellungen bei Zöllen und Dienstleistungen hinnehmen."

Als "schädlich" bewertete Attac die Rolle, die die deutsche Bundesregierung in Hongkong gespielt hat. Ohne Rücksicht auf die Interessen der Länder des Südens habe etwa Wirtschaftsminister Glos von diesen immer wieder massive Zollsenkungen für Industriegüter und Liberalisierungen im Dienstleistungsbereich gefordert. "Es ist erfreulich, dass diese aggressive Agenda in Hongkong nur zu einem Teil umgesetzt worden ist", sagte Johannes Lauterbach von der Attac-AG Welthandel. Allerdings enthalte die Abschlusserklärung überaus gefährliche Formulierungen: So seien beim Dienstleistungabkommen GATS neue Verhandlungsmodalitäten geplant, was sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer unter Druck setze. Lauterbachs Fazit: "Der Druck auf die Entwicklungsländer führte dazu, dass sie am Ende nur die von den Industriestaaten hingeworfenen Brosamen akzeptieren konnten."

GERMANWATCH: VON ENTWICKLUNG KEINE SPUR

Die deutsche NRO Germanwatch berichtete, am Nachmittag des Abschlusstages der 6. WTO-Ministerkonferenz sei "von Entwicklung in den Entwürfen zur Abschlusserklärung noch keine Spur zu finden. Dabei sollte Entwicklung das Thema der Konferenz sein." Im Streit um die Baumwoll-Subventionen sei "außer dem Abbau der Exportsubventionen, die ohnehin verboten sind, (...) keine Forderung der Afrikaner richtig aufgenommen" worden.

"Das können wir so nicht akzeptieren! So können wir nicht nach Hause kommen. Wir haben nichts erreicht. Einer solchen Erklärung werden wir nicht zustimmen!", sagte laut Germanwatch Senanon Boureima, Mitglied der burkinischen Delegation und selbst Baumwollbauer. Einige Minister der westafrikanischen Länder erklärten sich vor der Presse jedoch resigniert einverstanden. Sie hoffen auf eine Fortsetzung der Diskussion nach Hongkong.

"In den Paragraphen zur Sonder- und Vorzugsbehandlung für Entwicklungsländer wird lediglich über die allerärmsten Entwicklungsländer gesprochen, die so genannten LDCs, die anderen Entwicklungsländer bleiben unberücksichtigt", kritisierte Germanwatch. "Es bleibt unberücksichtigt, dass es Arme und Hungernde in vielen Ländern gibt, unabhängig davon, ob sie zu den LDCs gehören oder nicht."

Akubar Ali, Nelkenanbauer aus Tansania, erklärte zum voraussichtlichen Verhandlungsergebnis, es "bringt für uns Kleinbauern gar nichts. Es ist nicht fair, wir können nicht mit den Industrieländern konkurrieren. Die Armen werden ärmer, die reichen Länder reicher."

Germanwatch sieht die Industriestaaten mit ihrer Verhandlungsmacht im Vorteil: "Statt besonders über die Interessen der Entwicklungsländer zu verhandeln, hat man viel über Dienstleistungen und Industriegüter geredet. Hier hat besonders die EU ein großes Interesse an weiterem Marktzugang. Im Entwurf der Ministererklärung steht nun die 'Schweizer Formel' als Grundlage für die Reduktion der Zölle. Die EU will diese sogar im Austausch für das Ende der Exportsubventionen weiter verschärfen. Dies kann für die Entwicklungsländer bedeuten, dass sie ihre Märkte für Industriegüter weit öffnen müssen. Ihre eigenen Industrien geraten dabei in Gefahr, wenn sie überhaupt schon vorhanden sind."

Tobias Reichert, Kerstin Lanje und Sarah Kahnert, die in Hongkong anwesenden Handelsexperten von Germanwatch, bewerteten die Konferenz als Endpunkt einer "Entwicklungsrunde" der WTO negativ: "Eine Ministerkonferenz, bei der die Entwicklungsländer vorwiegend damit beschäftigt sind, sich gegen die Marktöffnungsagenda der Industrieländer zu verteidigen, hat mit einer Entwicklungsrunde nichts zu tun."

Die zeitweise stockende Welthandelsrunde in Hongkong darf nach Ansicht von Attac "nicht darüber hinwegtäuschen, dass die WTO-Verträge als mächtiges Instrument neoliberaler Globalisierung bestehen bleiben", sagte Moldenhauer. "Die bestehenden WTO-Verträge wirken sich weiter negativ aus für Umwelt, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit. Und diese Wirkungen werden zunehmen, weil Übergangsfristen auslaufen und die WTO weiter wächst."

Die entscheidenden Fragen hätten in Hongkong gar nicht auf der Tagesordnung gestanden, erklärte Lauterbach: "Wir brauchen eine grundlegend andere Welthandelspolitik. Dazu gehören ganz andere Handelsregeln, die sich an Umwelt und Entwicklung, an Arbeits- und Menschenrechten ausrichten, und ein alternatives Forum für die Verhandlungen zum Welthandel."

WEICHEN ZU LASTEN DER ARMEN LÄNDER GESTELLT

"In Hongkong sind die WTO-Träume von Konzernen und Industrieländern zum wiederholten Male geplatzt. Aber: Die Weichen für eine weitere Verschärfung der WTO-Abkommen zu Lasten der armen Länder sind gestellt. Der Freihandelsschnellzug kriecht zwar langsam, aber er rollt weiter. Und dabei überfährt er soziale Rechte und die Umwelt", erklärte Handelsexperte Peter Fuchs von der entwicklungspolitischen NGO Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong.

Seine Kollegin Christina Deckwirth ergänzte: "Deutschland und die EU waren als treibende Kräfte dabei, in einem intransparenten und fragwürdigen Prozess eine entwicklungsfeindliche Agenda durchzusetzen. Die Verhandlungstaktik der EU kam Erpressungsversuchen gleich. Es ist eine Unverschämtheit, wenn sich die EU nun zwei Mal dafür feiern lässt, dass sie die Exportsubventionen abschaffen werden."

"Dies ist ein zutiefst enttäuschender Text und ein Verrat an den Entwicklungsversprechen", so Phil Bloomer, Leiter der Oxfam-Kampagne "Make Trade Fair". "Wieder einmal haben sich die Interessen der reichen Länder durchgesetzt. Die Entwicklungsländer mussten in einem Rückzugsgefecht versuchen, wenigstens einige ihrer Themen zu retten. Kleine Fortschritte bei den Agrarverhandlungen werden durch äußerst schädliche Vereinbarungen bei den Dienstleistungen und Industriegütern mehr als konterkariert."

[Foto: Protestaktion gegen die WTO  Attac]

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