ai orgBerlin. - Nach jahrelanger Belagerung und Aushungerung sowie ständiger Bombardements sah sich die Zivilbevölkerung Syriens in verschiedenen Orten vor die Wahl gestellt, ihre Heimat zu verlassen oder zu sterben. Die Zwangsvertreibung der gesamten Zivilbevölkerung war und ist Teil der so genannten Friedensabkommen zwischen dem Regime und bewaffneten Oppositionsgruppen. Mit einem umfassenden Bericht hat Amnesty diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert.

Im Bericht “We leave or we die”: Forced displacement under Syria’s ‘reconciliation’ agreements" zeigt Amnesty International Abkommen zwischen dem syrischen Regime und bewaffneten Oppositionsgruppen, die zwischen August 2016 und März 2017 zur zwangsweisen Evakuierung der gesamten Zivilbevölkerung verschiedener Städte geführt haben. Es geht dabei um die vom Regime belagerten Städte Daraya, Ost-Aleppo und al-Waer bei Homs, andererseits um die gegenseitigen Belagerungen der Kleinstädte Kefraya und Foua (durch Oppositionsgruppen) sowie Zabadani und Madaya (durch das Regime). Amnesty hat für den Bericht zwischen April und September 2017 ausführliche Interviews mit 134 Personen, unter ihnen zahlreiche Überlebende der teilweise jahrelangen Belagerungen, geführt und zur Validierung der Aussagen zahlreiche Satellitenbilder und Videos ausgewertet. 

JAHRELANGER FELDZUG GEGEN DIE ZIVILBEVÖLKERUNG 

Die Belagerung, Aushungerung und Bombardierung der Zivilbevölkerung stellt ein Kriegsverbrechen dar. Von dieser Taktik machen das syrische Regime und in geringerem Umfang bewaffnete Oppositionsgruppen wie Hay’at Tahrir al Sha, und Ahrar al-Sham systematisch und unter völliger Straflosigkeit Gebrauch. Am Ende der seit 2012 bzw. 2016 dauernden Belagerungen von Daraya und Al Waer bzw. Ost-Aleppos stand jeweils eine weitere Intensivierung der Bombardierungen von Wohngebieten und auch Spitälern durch Luftwaffe und Artillerie, um die Kapitulation zu erzwingen. Auch die Wohngebiete von Foua und Kefraya wurden von Hay’at Tahrir al Sha, und Ahrar al-Sham wahllos beschossen. Satellitenbilder von Daraya zeigen eine eigentliche tote Zone um die Stadt herum; Regierungstruppen und der Hizbollah haben dort und auch um Madaya offensichtlich gezielt sämtliche Felder niedergebrannt und die Lage der ausgehungerten Bevölkerung damit weiter verschärft. 

FAKTISCHE ZWANGSVERTREIBUNG

Die Evakuierung der gesamten Zivilbevölkerung war zwar nicht in jedem der dokumentierten Fälle formell Bestandteil der Abkommen. Die Zivilbevölkerung war indes aufgrund der militärischen Drohungen und der gezielten Zerstörung der gesamten Infrastruktur faktisch gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Diese in Zwangsvertreibungen endenden Aushungerungs- und Zerstörungstaktiken stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. 

Insgesamt sind rund 37‘000 Menschen aus Aleppo, 20‘000 aus Al Waer, einige Tausend aus Daraya und mehrere Zehntausende im «Tauschhandel» um die Orte Foua/Kefraya und Madani/Zabadani gebracht worden. Während die BewohnerInnen von Foua und Kefraya in Gebiete unter Regierungskontrolle transportiert wurden, fuhren die Konvois mit den von den Regimetruppen belagerten Städten zumeist in Gebiete um Idlib und im Norden von Aleppo, wo diverse Oppositionskräfte die Kontrolle ausüben. Einige von ihnen wurden auch in Evakuierungslager der Regierung verbracht, wo die Zwangsrekrutierung ins Militär und willkürliche Verhaftungen drohen. 

DÜSTERE ZUKUNFTSPROGNOSEN FÜR DIE VERTRIEBENEN 

Die meisten Vertriebenen leben unter sehr schwierigen Umständen in Flüchtlingslagern. Die Perspektiven auf eine Rückkehr resp. Wiedererlangung ihres vormaligen Besitzes sind düster: Die weitreichenden Zerstörungen machen es einerseits grundsätzlich schwierig, Eigentumsansprüche geltend zu machen. Andererseits erwecken die ohne jeden Einbezug der Vertriebenen stattfindenden Wiederaufbaupläne und Projekte wie die Digitalisierung der Grundbesitzregister die Befürchtung, dass es dem Regime um die dauerhafte Vertreibung der Bevölkerung der vormaligen Oppositionsgebiete geht. 

FORDERUNGEN VON AMNESTY 

Das syrische Regime und bewaffnete Oppositionsgruppen wie Ahrar al-Sham und Hay’at Tahrir al-Sham müssen den völkerrechtswidrigen Praktiken der Belagerung, Aushungerung und anschliessender Zwangsvertreibung der Zivilbevölkerung umverzüglich ein Ende setzen.  Die internationale Gemeinschaft steht in der Verantwortung, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch die aktive Unterstützung des von der Uno geschaffenen Mechanismus zu ahnden.  Länder, die sich am Wiederaufbau in Syrien beteiligen, darunter namentlich auch Russland, China und Iran, müssen sicherstellen, dass die Rechte der Vertriebenen auf Rückkehr, Wiedererlangung ihres Besitzes oder Entschädigung gewahrt bleiben. 

 Quelle: amnesty.ch


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