Wer kennt ihn nicht, den Zuckerhut, das Wahrzeichen von Rio de Janeiro. Und der Felsen trägt seinen Namen zu Recht: Brasilien war und ist eines der wichtigsten Produktionsländer für Zuckerrohr. Heute erzeugt das Land über 20 Millionen Tonnen raffinierten Zucker - mehr als die gesamte EU. Weltweit gibt es nur zwei bedeutende Quellen aus denen Zucker gewonnen werden kann: zum einen das Zuckerrohr, zum anderen die Zuckerrübe. Das Zuckerrohr wird in Afrika, Asien, Südamerika und Australien angebaut, die Zuckerrübe vorwiegend in Europa, aber auch in den USA, Kanada und in China.

Zuckerrohr wächst am besten in feuchtwarmem, tropischem Klima. Je nach Sorte und Klima kann das bis zu 6 Meter hohe und 5 cm dicke Rohr nach einer Reifezeit von 9 bis 13 Monaten geschnitten werden. Sein Saft enthält durchschnittlich 12 bis 14 Prozent kristallisationsfähigen Zucker. Als Heimat des wilden Zuckerrohrs wird Melanesien, also ein Teil der Südsee, angenommen. Zuckerrohr ist jedoch in einer ganzen Reihe von Wildformen von Afrika bis zu den Salomoninseln, von Japan bis Indien verbreitet. Obwohl die Pflanze leicht zu vermehren ist - man braucht nur ein Stück in den Boden stecken, das dann von selber wurzelt - ist sie doch anspruchsvoll: Zuckerrohr braucht gute Böden und viel Feuchtigkeit, verträgt aber kein im Boden aufgestautes Wasser.

Die Ernte des Zuckerrohrs ist mühsam und geschieht in Entwicklungsländern auch heute noch von Hand. Sind die dicken Stengel einmal geschnitten, muss alles sehr schnell gehen, denn der gespeicherte Zucker wird sehr schnell wieder abgebaut. Wegen der damit verbundenen logistischen Probleme und der nötigen Transportkapazitäten ist die erfolgreiche Vermarktung des Rohrs von Kleinbauern nicht ohne weiteres zu bewältigen. Daher kennzeichnet Lohnarbeit den Sektor in der Dritten Welt und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter sind hart und oft unmenschlich.

Derzeit umfasst die Weltzuckerproduktion 136 Millionen Tonnen im Jahr. Rund ein Drittel davon wird aus Zuckerrüben gewonnen. Dem steht ein Verbrauch von 132 Millionen Tonnen gegenüber. Nach Brasilien ist Indien mit 18 Mio. Tonnen der zweitgrößte Produzent, exportiert aber so gut wie keinen Kristallzucker, da alles vor Ort gebraucht wird. Ähnliches gilt für die Ukraine, Mexiko, und auch China benötigt seine acht Mio. Tonnen selbst. Weitere wichtige Produzenten sind Thailand, Australien, Kuba und die USA. Importieren müssen vor allem Russland, viele afrikanische Länder sowie der Nahe und Mittlere Osten. Weltweit werden 69 Prozent des Zuckers in den Herstellerländern verbraucht. Neun Mio. der verbleibenden rund 40 Mio. Tonnen werden jedoch über regulierte Märkte verteilt, so dass letztlich 25 % des weltweit erzeugten Zuckers auf den "freien" Weltmarkt gelangt.

Zwar sind 30 Mio. Tonnen Kristallzucker eine fast unüberschaubare Menge, dennoch gilt der Weltzuckermarkt als "Restmarkt": Denn die Herstellerländer exportieren lediglich ihre Überschüsse - die Versorgung der eigenen Bevölkerung hat Vorrang. Das führt zu extremen Preisschwankungen auf dem Weltmarkt und schafft erhebliche Probleme für jene Staaten, die mit Zuckerexporten Exporterlöse erwirtschaften wollen. In den 70er und 80er Jahren war Zucker der Rohstoff, der den heftigsten Preisschwankungen ausgesetzt war. Heute hat sich die Situation beruhigt und die Preise fallen nur noch langsam, da das Angebot in den meisten Jahren über der stagnierenden Nachfrage liegt.

Schon wieder Negros

Mehr als 20.000 Familien - also mindesten 100.000 Menschen - auf der philippinischen Zuckerinsel Negros waren im Sommer 2002 von akuter Unterernährung bedroht. Grund dafür ist nach Angaben von FIAN International (Food First Action Network) die Tatsache, dass für die Zuckerarbeiter immer noch keine staatlichen Mindestlöhne gezahlt werden. Auch die geplante Landreform kommt nicht voran. In ihrer Not stürmten 500 Zuckerarbeiter das staatliche Nahrungsmittellager und forderten die Provinzregierung auf, den Notstand auszurufen. Insgesamt beschäftigt die Zuckerindustrie auf den Philippinen noch heute über eine halbe Million Bauern und Landarbeiter für den Anbau und die Ernte von Zuckerrohr und weitere 25.000 Arbeiter in den Zuckermühlen. Die Situation auf Negros hatte sich derart zugespitzt, dass FIAN die internationale Öffentlichkeit aufrief, Protestschreiben an die philippinische Regierung zu senden.

Die Insel, die schon seit 1860 Zucker exportiert, gelangte bereits in den 70er und 80er Jahren zu trauriger Berühmtheit. Damals begannen die großen Hersteller von Erfrischungsgetränken in den USA einen Teil ihrer Produktion mit Süßstoffen anstatt mit Zucker zu versehen und die EU fing an, subventioniertem Zucker zu exportieren. Diese Situation führte zu einem Preisverfall von 60 US-Cent pro Pfund in Jahr 1974 auf noch ganze 3 Cent in 1985 und zu einer Hungerkatastrophe auf Negros. 85 Prozent der Inselbewohner rutschten damals unter die Armutsgrenze.

Haitianische Zuckerarbeiter in der Dominikanischen Republik

Schon seit rund 100 Jahren wandern immer wieder landlose Haitianer - fast immer illegal - über die Grenze in die benachbarte Dominikanische Republik, denn beide Staaten liegen auf der Karibikinsel Hispaniola. Schon längst machen organisierte Schlepperbanden, die meist gute Beziehungen zum Militär auf beiden Seiten pflegen glänzende Geschäfte mit den Hoffnungen auf ein besseres Leben. Diese Form der Arbeitsmigration hat bereits eine so lange Tradition, dass die Bezeichnung "Haitianer" in der Dominikanischen Republik zu einem Schimpfwort geworden ist.

Im Nachbarland angekommen, fristen die Haitianer ein erbärmliches Leben in den "Batayes", wie die Barackensiedlungen genannt werden. Sie müssen sich mit 40 Personen eine Toilette teilen und 12 bis 15 Stunden täglich arbeiten. Dafür wird den "Braceros" wie die Zuckerrohrschneider genannt werden, natürlich nicht der staatliche Mindestlohn gezahlt. Wer die Plantage verlassen will, riskiert aufgegriffen und nach Haiti deportiert zu werden.

Die Gewinne, die die CEA, die staatliche Zuckergesellschaft der Dominikanischen Republik auf dem Rücken der Braceros macht, kommen nur einer kleinen Gruppe von Familien zugute, die das Land regiert: Besitzer von Raffinerien, Regierungsbamte, Großgrundbesitzer und Angehörigen des Sicherheitsapparates. 33 Prozent der Anteile der CEA hält der US-amerikanische Multi Gulf & Western.

Was macht die Europäische Union?

Seit Zuckerrohr und Zuckerrübe im Wettstreit liegen, hat es noch nie einen freien Markt gegeben. Immer wieder musste die Rübe wettbewerbsfähig gemacht werden. So kam es zur permanenten Verzerrung des Wettbewerbs zwischen Rohr und Rübe durch staatlich regulierte Preise, Steuern, Importzölle, Anbauquoten und Exportsubventionen.

Die heutige EU-Regelung besteht seit nahezu 35 Jahren. Immer noch werden Garantiepreise für Weißzucker gezahlt, die etwa dreimal so hoch sind wie der Weltmarktpreis. Um den Markt vor dem billigeren Importzucker zu schützen, wird ein Zollsatz von gut 190 Prozent erhoben. Diese Situation führt dazu, dass in der EU 14 bis 16 Mio. Tonnen Kristallzucker pro Jahr erzeugt, aber nur 12,5 Mio. Tonnen verbraucht werden. Damit nun die Produktion von Zuckerrüben nicht unbegrenzt weiter wächst, wurden für die einzelnen EU-Staaten Quoten eingeführt. Die deutsche Quote teilen sich zu 89 Prozent drei Konzerne: Südzucker AG (49%), Nordzucker AG (31%) sowie Pfeifer & Langen (18 %). Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten (NGG) liegt die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Zuckerindustrie derzeit bei rund 6.300 Menschen. 1985 waren es noch über 8000 gewesen.

Das besondere an der EU-Zuckermarktordnung ist die Tatsache, dass sie im wesentlichen von der Zuckerwirtschaft selbst getragen wird. Die Kosten dafür werden jedoch auf die Produktpreise aufgeschlagen und so doch wieder auf die Bürger abgewälzt. Der Europäische Rechnungshof gibt die zusätzlichen Belastungen für die Europäischen Verbraucher mit über sechs Mrd. Euro an. Insgesamt importiert die EU rund 2,5 Millionen Tonnen Zucker und exportiert 3,4 Mio. Tonnen. Allein die Exportsubventionen kosten die Verbraucher rund 400 Millionen Euro pro Jahr.

Von der EU direkt finanziert wird dagegen der quotierte Import von rund 1,7 Millionen Tonnen Zucker zu subventionierten Preisen aus einer Reihe von AKP-Staaten (Afrika, Pazifik, Karibik), die über spezielle Abkommen vom Handel mit EU besonders profitieren. Für diese - oft sehr kleinen - Staaten ist diese Exportmöglichkeit sehr wichtig: Sie erzielen einen beachtlichen Teil ihrer Exporterlöse damit. Allerdings wären einige von ihnen nicht in der Lage, zu Weltmarkpreisen zu produzieren.

Trotz der hohen Kosten schlägt derzeit niemand ernsthaft vor, die europäische Zuckermarktordnung mit einem Schlage abzuschaffen. Selbst Greenpeace befürchtet, dass vom plötzlichen Zugang zum europäischen Markt nur wenige Länder profitieren würden, die große Mengen Zucker zu gleichbleibender Qualität liefern können. Die Umweltschützer wollen statt dessen Modelle, die "einen extensiven Zuckerrohr- wie auch Rübenanbau fördern - in Europa ebenso wie in den Entwicklungsländern". Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie schlägt in seinem Wirtschaftsbericht 2002 vor, die Zuckermarktordnung zunächst so zu verändern, dass zumindest die Exportsubventionen vollständig entfallen und die Einfuhrzölle gesenkt werden.

Zudem hat die EU gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO) zugesichert, dass sie ihre Handelsbeziehungen für Agrargüter in den nächsten Jahren liberalisiert und mit den WTO-Regeln in Einklang bringt. Vor diesem Hintergrund hat Brasilien unlängst ein Verfahren vor der WTO eingeleitet, dass die subventionierten Exporte von Zucker beenden soll.

EU-Agrarkommissar Franz Fischler geht dagegen davon aus, dass die Zuckermarktordnung insgesamt nicht zu halten ist. Denn die EU hat den 40 am wenigsten entwickelten Ländern der Erde freien Marktzugang für alle Produkte außer Waffen (Everything but Arms Initiative; EBA) zugesichert. Sollten diese Pläne Wirklichkeit werden, wird die EU nach Auffassung Fischlers künftig ein Drittel ihres Zuckerverbrauchs aus Entwicklungsländern importieren müssen.

Die süße Verführung hat viele Formen

Puderzucker, Kandiszucker, Würfelzucker, Zuckerhüte, Einmachzucker: So heißen die wichtigsten Formen, in denen Zucker bei uns in Deutschland in den Handel kommt. Chemisch jedoch verbirgt sich hinter all diesen Bezeichnungen ein und dieselbe Substanz, die aus sechs Kohlenstoff-, zwölf Wasserstoff- und sechs Sauerstoffatomen zusammengesetzt ist.

Wer schon einmal Zucker in der Pfanne zu Bonbonmasse karamellisiert oder eine Feuerzangenbowle veranstaltet hat, weiß dass Zucker sehr ausgiebig brennen kann. Deshalb ist die Substanz auch so beliebt: Sie liefert unserem Körper Energie. Letztlich besteht auch Mehl und sogar Holz zum überwiegenden Teil aus aneinander geketteten Zuckerbausteinen.

Im Geschäftsjahr 2001/2002 wurden genau 3.072.600 Tonnen Weißzucker in Deutschland verbraucht. 26.000 Tonnen gingen an die chemische Industrie und 2.000 Tonnen wurden an Tiere verfüttert. Mehr als 30 Zuckerfabriken verarbeiten dafür jedes Jahr rund 25 Millionen Tonnen Rüben zu rund vier Mio. Tonnen Weißzucker. Ungefähr ein Viertel des süßen Rohstoffs wird exportiert.

Rund 100 Gramm Zucker nimmt jeder Bundesbürger pro Tag zu sich - das entspricht etwa 400 (Kilo)Kalorien. Allerdings gelangen nur 16 Prozent des hierzulande verbrauchten Zuckers als Kristallzucker in die Küche. Weitere 22 % sind vor dem Verzehr in Schokolade oder zu Süßigkeiten verarbeitet worden. Rund 14 % nehmen wir in Form von Brot, Back- und Konditoreiwaren sowie 6,5 % als Marmelade zu uns. Speiseeis und Milcherzeugnisse schlagen mit 6,5 % zu Buche und über 20 % unseres Zuckerkonsums findet in flüssiger Form statt. Dabei darf man allerdings nicht nur an gesüßte Fruchtsäfte und Erfrischungsgetränke denken. Auch zur Herstellung von Sekt, Wein, Bier und Schnäpsen wird Zucker benötigt, den wir dann allerdings in Form von Alkohol genießen. Die restlichen 15 Prozent tauchen in Produkten wie Kakaopulver wieder auf, das in der Regel zur Hälfte aus Zucker besteht.

Doch wie wirkt sich der hohe Zuckerkonsum auf die menschliche Ernährung aus? Bei vielen ökologisch denkenden oder gesundheitsbewusst lebenden Menschen gilt Kristallzucker als "weißes Gift", dem nachgesagt wird, es mache süchtig, greife den Vitamin- und Kalziumhaushalt des Körpers an und verursache Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes.

Tatsache ist: Viele dieser Behauptungen sind nach wissenschaftlichen Kriterien derzeit nicht belegbar. Dass Ratten bei übermäßigem Zuckerkonsum fett werden, ist auf Menschen nur bedingt übertragbar, weil die Tiere offensichtlich einen wesentlich höheren Anteil des aufgenommenen Zuckers in körpereigenes Fett umwandeln können als Menschen. Und neuere Untersuchungen weisen sogar darauf hin, dass Menschen, die ihren Bedarf an Kohlenhydraten über Zucker decken, es mit dem Schlankbleiben leichter haben als diejenigen, die dafür mehr Fettes essen. Und obwohl sich herausgestellt hat, dass schlechte Zähne weniger durch hohen Zuckerkonsum sondern vielmehr durch schlechte Mundhygiene verursacht wird, ist dies kein Freispruch für das vor allem bei Kindern so beliebte Nahrungsmittel.

Denn Tatsache ist auch, dass der Zuckerverbrauch in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen ist und andere - stärkehaltige - Nahrungsmittel wie Kartoffeln vom Speiseplan verdrängt hat. Und so ist es vor allem die Kombination aus viel Süßem und Fettigem bei viel zu wenig Bewegung, die krank macht. Neuere Studien weisen zudem darauf hin, dass vor allem stark gesüßte Getränke einen hohen Blutzucker- und Insulinspiegel im Blut verursachen können. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass übermäßiger Zuckerkonsum an der Entstehung von Stoffwechselstörungen beteiligt sein könnte.

Die Weltgesundheitsorganisation und viele nationale Gesundheitsbehörden empfehlen den Verbrauchern, im Durchschnitt zehn Prozent ihres Kalorienbedarfs mit Zucker zu decken. An diesem Maßstab gemessen, ist der Zuckerkonsum in Deutschland allerdings wesentlich zu hoch: Nur körperlich schwer arbeitende Menschen brauchen 4000 oder mehr Kalorien täglich; meist reichen 2500 Kalorien. Um der Empfehlung zu entsprechen, müssten die Bundesbürger ihren Konsum an Kristallzucker um rund 30 Prozent einschränken. Denn zusätzlich zum "indischen Salz" essen wir auch einiges an natürlichen Zuckern, die vor allem im Obst enthalten sind.

Uwe Kerkow


Weitere Infos:

Dossier: Kleine Geschichte des Zuckers

Deutsches Zucker-Museum:
Amrumer Straße 32, 13353 Berlin;
Website: http://www.dtmb.de/Zucker-Museum/

"Süßes ohne Reue" von Heidrun Fronek, Südwest Verlag, 96 S., ISBN 3-517-07684-8
"Zuckerfrei und süß" von Heidrun Fronek und Norbert Müller, Südwest Verlag, 128 S., ISBN 3-517-08084-5

Eine etwa 45 Minuten lange filmische Dokumentation mit dem Titel "Suesshunger" kann man als VHS-Kassette bei der DOKUFAKTUR bestellen: Sternstr. 5, D-24103 Kiel, Tel.: 0431 - 97 09 309, Fax: +49 - 431 - 98 28 547, E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!