Frau beim Unkraut jäten in Bolivien. Foto: GTZBerlin (epo.de). - Mit der Explosion der Lebensmittelpreise drängt sich immer mehr die Frage auf, was die internationale Staatengemeinschaft und die betroffenen Entwicklungs- und Schwellenländer unternehmen können. Für die Neoliberalen ist klar: Subventionen und niedrige Erzeugerpreise haben die Landwirtschaft unattraktiv gemacht und zu einer Vernachlässigung der ländlichen Infrastruktur geführt. Für die Kritiker der Globalisierung liegt der Fall genau anders herum: Hemmungslose Spekulation auf den Weltmärkten verteuert die Lebensmittel unnötigerweise. Darüber hinaus haben ungerechte Handelsstrukturen und subventionierte Agrarexporte seitens der Industrieländer die örtlichen Produktionsstrukturen – und damit die Wettbewerbschancen der Bauern - im Süden zerstört, argumentiert epo-Mitarbeiter Uwe Kerkow in seinem Kommentar zur aktuellen Ernährungskrise.

Damit Missernten nicht zu einem prima Geschäft auf Kosten der ärmsten zwei Milliarden Menschen geraten, muss einerseits also die Spekulation begrenzt werden. Das geeigneteste Instrument wäre eine Handels- oder Börsenumsatzsteuer zumindest auf Agrarrohstoffe. Dazu wird der politische Wille in den Industrieländern auf absehbare Zeit fehlen. Und auch in China ist die Handelssteuer auf Aktien de facto gerade abgeschafft worden. In Indien wird dagegen erwogen, den Handel mit Futures auf Agrarerzeugnisse gänzlich zu verbieten. Überfällig ist eine verbesserte staatliche Aufsicht über den Handel – und zwar nicht nur den auf dem Börsenparkett. Allein zwischen 2004 und 2006 ist das Volumen von außerbörslichen Rohstoffderivaten von knapp einer auf fast sechs Billionen US-Dollar explodiert.

Und welche Möglichkeiten haben die betroffenen Schwellen- und Entwicklungsländer, um Schaden von ihrer Bevölkerung abzuwenden? Die schlechteste Lösung scheinen Exportverbote und Erzeugerpreisbeschränkungen zu sein. Denn wenn die Bauern nur geringe Erlöse erzielen, werden sie ihre Produktion nicht ausdehnen, geschweige denn investieren. Wovon auch? Auch Politiken, die auf die Verbesserung des Lebensmittelangebots im Inland zielen, werden insgesamt nur sehr begrenzt wirksam sein um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern: Hunger ist und bleibt ein Einkommensproblem – keines des Nahrungsmittelangebotes. Das hat der indische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen nachgewiesen. Daher macht es wenig Sinn, Grundnahrungsmittel pauschal verbilligt anzubieten: Zu teuer sind Mitnahmeeffekte und Verschwendung durch Bevölkerungsgruppen, die der Unterstützung nicht bedürften. Am besten können Hunger und Unterernährung mittels Einkommenstransfers und Ernährungsprogrammen bekämpft werden. Dabei müssen Frauen und (Schul)Kinder sowie alte und kranke Menschen gezielt bedacht werden. Das Geld dafür kann letztlich nur durch Umverteilung – also eine erhöhte steuerliche Belastung der Wohlhabenden – beschafft werden.

Um darüber hinaus die landwirtschaftliche Produktion auszuweiten, bedarf es keiner gentechnik- und patentgestützten zweiten Grünen Revolution, die kleine Bauern ins Abseits drängt aber die Marktmacht von Agrarindustrie und Lebensmittelkonzernen stärkt. Derzeit werden vor allem Saatgut, Dünger und Traktoren gebraucht. Sogar Traktorreifen sind schwer zu bekommen, weil Gummi knapp ist. Immense Effizienzreserven  verspricht auch die Verbesserung der landwirtschaftlichen Infrastruktur: Dazu zählen vor allem Transport- und Lagerkapazitäten sowie die gezielte Versorgung vor allem von Kleinbauern mit preiswerten Krediten.

In vielen Ländern lohnt es sich, Nachernteverluste zu begrenzen: In Indien etwa verderben heute noch schätzungsweise 35 Prozent der Getreideernten. Neu zu entwickelnde Systeme passiver Bewässerung können neue Flächen erschließen helfen oder die Produktivität in Grenzlagen erhöhen. Kaum zu unterschätzen ist die Bedeutung von Landreformen. Letztlich muss jede Regierung ein Interesse daran haben, den Landbesitz so zu verteilen, dass so viele Menschen wie möglich ihre Ideen, ihre Arbeitskraft und ihr Geld in die Herstellung von Nahrungsmitteln investieren können. Nur so kann eine Diversität gewährleistet werden, die nachhaltige Landwirtschaft auf fast jedem Standort und unter mannigfachen Klimabedingungen ermöglicht. Und nur so können gesellschaftliche Verhältnisse herbeigeführt werden, die auch eine stabile wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen.

Foto: Typische Frauenarbeit in Bolivien: Unkraut jäten auf dem Feld. Copyright © gtz (www.gtz.de).

Der längjährige epo.de-Mitarbeiter Uwe Kerkow ist Agrarwissenschaftler und freier Journalist in Königswinter.

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