Foto: Jutta Sundermann (c) AttacBerlin (epo.de). - Manchmal steht das Wichtigste in einem Nebensatz. “Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang Marktwirtschaft sinnvoll oder notwendig ist...”. Der Rest ist klar auf dem Kapitalismus-Kongress von Attac in Berlin. Alle sind für die demokratische Regulierung der Märkte und des Finanzkapitals. Doch ist das Ziel eine “globale ökosoziale Marktwirtschaft” wie Attac-Mitglied Heiner Geißler (CDU) sie will? Oder geht es um einen “Systemwechsel”? Für die jüngeren unter den Attac-Bewegten scheint der Weg das Ziel. “Wir haben kein fertiges Konzept - und das ist auch richtig so”, sagt Attac-Mitgründerin Jutta Sundermann.

Vom Reförmchen bis zum radikalen Systemwandel - das politische Spektrum beim Attac-Kongress “Kapitalismus am Ende?” an der Berliner TU ist breit gefächert. Gewerkschafter, Kirchen, Linkspartei, SPD-Linke, Grüne, NGOs, Gentechnik-Feldbefreier, Marxisten, Trotzkisten, die “Sozialistische Alternative”, die Emanzipationsbewegung, NATO-Gegner, Anhänger der Lehren des “Meisters der zeitlosen Weisheit Maitreya” wollen den Raubtier-Kapitalismus Geschichte werden lassen. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, findet einen Begriff dafür, der ein zustimmendes Echo findet: “Mosaik-Linke”.

RATLOS IM RECHT

Hans-Jürgen Urban (c) AttacUrban ist es auch, der den Ist-Zustand nach einem halben Jahr virulenter Finanz- und Wirtschaftskrise am treffendsten beschreibt: “Die Linke hat Recht bekommen - und jetzt stehen wir ratlos da!” Der alle vereinende gesellschaftliche Gegenentwurf zum Kapitalismus fehlt. Auch Jutta Sundermann findet: “Recht haben allein reicht nicht.”

Für den Übergang empfiehlt Urban, einen “historischen Block von progressiven Kräften” zu bilden, der ein “Weiter so” durch die alten Eliten verhindert. Dafür erhält er donnernden Beifall, im Gegensatz zu ver.di-Chef Frank Bsirske, der nicht einmal zur geplanten Großdemonstration am 28. März mit aufrufen will.

Urban macht klar: “Weder ein roter noch ein grüner Keynesianismus” ist die Lösung, und deshalb erteilt er Heiner Geißlers globaler sozialer Marktwirtschaft eine Absage. “Wir schmeißen die Illusion der sozialen Marktwirtschaft über Bord”, sagt der Metaller. “Der Kapitalismus muss immer wachsen - oder er ist in der Krise.”

DER MARKT AN UND FÜR SICH

Heiner Geißler kritisiert die neoliberale “Ideologie der Marktgläubigkeit” ebenso vehement. Die Attac-Gemeinde ist ihm sogar zu lasch, wenn es um Propaganda (“da verstehe ich etwas davon”) für die gemeinsame Sache geht. “Man kann das auch zu Tode analysieren”, schimpft er über das Forschen in Dutzenden von Seminaren und Foren nach den Ursachen der Krise.

Heiner Geißler (c) AttacFür den ehemaligen CDU-Generalsekretär steht fest: “Der Kapitalismus als Ideologie ist falsch, nicht der Markt oder das Kapital an sich.” Er fordert eine “Renaissance der Ethik”, die den Menschen wieder in das Zentrum des Wirtschaftens stellt, nicht die Kapitalrendite. Ein historischer Ausflug in die Gründungsphase der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland endet in Pfiffen und Buhrufen.

Geißler will, dass der Kongress zumindest mit klaren Forderungen für die Schließung der Steueroasen und für eine internationale Börsenumsatzsteuer an die Öffentlichkeit geht. Schon eine Abgabe von 0,2 Prozent auf jede Finanztransaktion an der Börse würde 300 Milliarden US-Dollar bringen, rechnet er vor.

GEWERKSCHAFTLICHES UMDENKEN

Brisanter ist da schon Urbans Eingeständnis, die Gewerkschaften seien zu wenig kapitalismuskritisch gewesen und müssten nun erkennen, dass ein radikales Umdenken erforderlich sei. Er fasst sich an die eigene Nase: Eine massenhafte Arbeitslosigkeit in der Automobilindustrie sei nicht die Lösung, aber man müsse einen Weg in eine gesellschafts- und umweltverträgliche globale Zukunft finden. Deshalb gelte es, die Debatte “Vom Automobilkonzern zum Mobilitätskonzern” wiederzubeleben.

Ihr Kerngeschäft, so Urbans Analyse, haben die Autokonzerne “an die Wand gefahren”. Wie man die Wirtschaft demokratisch umformen, politisch regulieren und letztlich in eine Art “mixed economy mit unterschiedlichen Formen des Eigentums” überführen könne - da sei man noch ganz am Anfang der Debatte.

Wenn der Attac-Kongress an der TU Berlin zum Maßstab genommen werden würde, sähe die Zukunft nach dem real existierenden Kapitalismus allerdings so aus: lange Schlangen an Essensausgabe und Kaffeestand, schlechte Mikrofonanlagen und kein Internet-Zugang für die breite Masse der Bevölkerung. Zumindest an revolutionären Zeitschriften und am passenden T-Shirt für das postkapitalistische Outfit würde es aber nicht mangeln.

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