Die Politik hört nicht auf sie, doch sie versuchen es weiter. Wissenschaftler unter der Beteiligung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben eine, nach ihren Worten „bahnbrechende Szenarien-Studie“ im Journal „Nature“ veröffentlicht. Sie setzen auf die Einhaltung des (längst überschrittenen) 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens, eine Umstellung auf eine gesündere Ernährung, verbesserte Lebensmittel und einen effizienteren Wasser- und Nährstoffverbrauch. So wollen sie erreichen, dass die „planetarischen Grenzen“ bis zum Jahr 2100, salopp gesprochen, mehr oder weniger eingehalten werden können. Während die Welt des 21. Jahrhunderts sich in Kriegen zerfleischt und auf die Klimakatastrophen pfeift, entwickelt die Wissenschaft Szenarien, wie alles ganz anders sein könnte, wenn der politische Wille da wäre.
In der Studie Exploring pathways for world development within planetary boundaries heißt es, die Fähigkeit, Trends über einen gewissen Zeitraum zu bewerten, könne der Menschheit dabei helfen, die Folgen alternativer politischer Entscheidungen zu untersuchen und Wege zu identifizieren, um innerhalb der planetarischen Grenzen zu leben. Laut PIK „bleibt das Thema Nachhaltigkeit noch auf Jahrzehnte kritisch, doch mit ambitionierten Maßnahmen lässt sich für 2050 zumindest ein Zustand wie 2015 erreichen und bis 2100 deutlich verbessern.“
Die Ergebnisse der Studie zeigen nach Darstellung der Autoren, „dass sich die Situation mit den aktuellen Trends und Richtlinien bis 2050 für alle planetarischen Grenzen verschlechtern wird, mit Ausnahme des Ozonabbaus“. Und weiter: „Gezielte Interventionen, wie die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, eine Umstellung auf eine gesündere Ernährung, verbesserte Lebensmittel und die Effizienz des Wasser- und Nährstoffverbrauchs können den Grad der Übertretung der planetarischen Grenzen effektiv verringern und die Menschheit auf einen nachhaltigeren Verlauf lenken (d. h. wenn sie hinsichtlich sozialer und institutioneller Machbarkeitsüberlegungen umgesetzt werden können).“
Das klingt wie das Pfeifen im Walde. Die Europäische Kommission hat soeben den „Green New Deal“ mehr oder weniger ad acta gelegt, die deutsche Bundesregierung setzt auf Gaskraftwerke und wider alle Vernunft auf Verbrenner-Motoren, die Trump-Administration in den USA ist zumindest in der Spitze der Ansicht, die Klimakrise existiere nicht und forciert die Exploration von Erdölvorkommen. Die Warnungen vieler Klimaforscher werden immer dringlicher. Eine Studie, die einen wissenschaftlich fundierten, aber lahmen Appell an die Vernunft der Politiker enthält, ist nicht „bahnbrechend“, sondern abgehoben von der realen Entwicklung.
Die Realität sieht in vielen der am meisten von Umweltzerstörung, fortschreitender Wüstenbildung und Klimakatastrophen betroffenen Länder düster aus. Die Weltbank schätzt, dass bis zum Jahr 2050 bis zu 143 Millionen Menschen nichts anderes übrig bleibt, als ihre Heimat zu verlassen und zu Klimaflüchtlingen zu werden. Überall auf der Welt passieren jeden Tag Klimakatastrophen, die an Stärke und Ausmaß ständig zunehmen.
In vielen Staaten wird etwas getan, um das Schlimmste zu verhindern, etwa im Vorreiterland für Solar- und Windkraft, China. Doch das genügt nicht, und es geschieht zu langsam. Jedes der letzten Jahre war das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wir Deutschen hatten die Ressourcen, die uns rechnerisch zustehen, am 3. Mai verbraucht. Weltweit gesehen liegt der „Erdüberlastungstag“ (World Overshoot Day) im August.
„Die menschliche Zivilisation steht an einem kritischen Punkt – und wir zeigen mit einer neuartigen Methodik, wie sie sich weiterentwickeln kann, ohne ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu ruinieren„, sagt PIK-Direktor Johan Rockström, Co-Autor der Studie. „Dies ist die bislang umfassendste Verknüpfung des Konzept der planetaren Grenzen, das ursprünglich auf die aktuelle Bestandsaufnahme ausgerichtet war, mit Daten aus modellgestützten Zukunftsszenarien. Das Ergebnis ist ein wertvolles Navigationssystem für die Politik. Wir können klar beziffern, wie gefährlich ein Weiter-so ist, und zeigen, dass sich ambitioniertes Umsteuern auszahlt.„
Was sagen unsere Politiker und die „Leitmedien“? Die Klimakrise war im vergangenen Bundestags-Wahlkampf kaum ein Thema in den Talkshows. Stattdessen: Migration, Migration, Migration, Aufrüstung, Aufrüstung, Wirtschaftswachstum, Wirtschaftswachstum. Wie ständiges Wachstum, das Lebenselixier des Kapitalismus, mit einer ambitionierten Klimapolitik in Übereinstimmung gebracht werden könnte, verbirgt sich dem Betrachter.
Das PIK resümiert: „Die neue Studie zeigt für ein Weiter-so-Szenario ohne zusätzliche Politikmaßnahmen bis 2100 eine kontinuierliche Verschlechterung in fast allen Bereichen, mit Ausnahme der Ozonschicht in der Stratosphäre und der Luftverschmutzung. Schon 2050 sind die Klima- und die Stickstoff-Belastung weit im Hochrisikobereich. Und: Um wenigstens bis zum Ende des Jahrhunderts überall aus dem Hochrisikobereich herauszukommen, dafür reicht für sich genommen nicht einmal eine ambitionierte, an maximal 1,5 Grad Erderhitzung ausgerichtete Klimapolitik.“
=> Studie: van Vuuren, D., Doelman, J., Schmidt Tagomori, I., Beusen, A., Cornell, S., Rockström, J., Schipper, A., Stehfest, E., Ambrosio, G., van den Berg, M., Bouwman, L., Daioglou, V., Harmsen, M., Lucas, P., van der Wijst, K., (2025): Exploring pathways for world development within planetary boundaries. – Nature. [DOI: 10.1038/s41586-025-08928-w]