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Project Aurora: Wo die Welt kippt – und wer sich nicht schützen kann

Arm und Reich. Karikatur von Norman B. Isaac. Copyright © boldtpublishing.com

«Während Deutschland darüber debattiert, ob das geplante 2%-Ziel der NATO ausreicht und ob ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angemessen ist, gerät aus dem Blick, wo auf der Welt sich die tatsächlichen Brüche bereits öffnen.» Das konstatiert Karl Jochen Heinz vom «Project Aurora». Er hat einen Vorschlag zur Messung der Schutzlosigkeit gegenüber globalen Krisen vorgelegt. «In vielen Regionen kippt die Stabilität nicht in der Theorie, sondern in der Realität», so die Ausgangsthese vonHeinz. Die Stabilität kippe genau dort, «wo kein Frühwarnsystem, keine politischen Allianzen und keine Schutzkapazität vorhanden sind».

Project Aurora ist eine unabhängige, gemeinnützige Analyseplattform, die sich der Identifizierung globaler Systemrisiken widmet, bevor sie eskalieren. «Wir verbinden strukturelles Denken, interdisziplinäre Datenanalysen und klare Kommunikation, um zu beleuchten, wo die Stabilität der Welt still erodiert», heißt es in der Selbstdarstellung. «Unser Ziel ist es nicht, zu dramatisieren – sondern zu verstehen. Nicht um Schlagzeilen vorherzusagen – sondern um Brüche in Systemen zu antizipieren, bevor sie zu Krisen werden. Wir glauben, dass Daten dem Leben dienen sollten – nicht der Macht.»

Bei Aurora arbeiten Analysten wie Heinz, Systemdenker und Schriftsteller Disziplinen-übergreifend zusammen. In einer Welt, die gegenwärtig durch multiple Krisen ökologischer, ökonomischer und sozialer Art gekennzeichnet ist, will Aurora die Regionen, die zuerst betroffen sind, «sichtbar machen». Prävention beginne mit Sichtbarkeit. «Aber viele Regionen, die zuerst getroffen werden, bleiben im globalen Diskurs unsichtbar. Gerechtigkeit beginnt mit strukturellem Verständnis. Stabilität beginnt mit systemischer Einsicht.»

Im Projekt werden Tiefenanalysen zur globalen Krisendynamik, Strukturindizes zur Risikobelastung, Visualisierungen und Karten für eine systemische Einsicht erarbeitet, Artikel und Berichte über übersehene geopolitische Zonen und Bewertungen für Institutionen und Organisationen erstellt.

Auf der Basis struktureller Risikokombinationen hält Heinz die folgenden Regionen für besonders gefährdet:

  • Subsahara-Afrika
  • Süd- und Zentralasien
  • Teile Lateinamerikas
  • Naher Osten

«Hier treffen Kipppunkte auf Mittellosigkeit – während Staaten wie Deutschland aufrüsten, um mögliche Gefahren in Zukunft abwehren zu können», so Aurora. Als Vorschlag zur Messung der Schutzlosigkeit gegenüber globalen Krisen präsentiert das Projekt eine Gleichung:

Struktureller Ausgesetztheitsindex = Kipprichtung × Mittelschwäche × Unsichtbarkeit

Grafik Globale Realiltät. Project Aurora

Auf diese Weise wollen die Autoren deutlich machen, «wo Gefahr droht, wer keine Abwehrkapazität hat, und wohin bislang kaum ein politischer oder medialer Fokus gerichtet wurde.» Insbesondere die Länder Nigeria, Pakistan, Bangladesch, Äthiopien und Venezuela führt Aurora als «besonders gefährdet» an.

=> Die Vorstellung des Projekts durch die Aurora-Redaktion (PDF, 1,9 MB)

Zum Projekt schreibt die Aurora-Redaktion: Aurora wurde gegründet, „um einen strukturellen Resonanzraum zu schaffen, in dem Menschen unabhängig denken, schreiben und Verantwortung übernehmen können – ohne sich selbst in den Vordergrund stellen zu müssen“.

Anmerkungen der epo-Redaktion

Das «Project Aurora» ist spannend und liegt mit seiner Datenanalyse und wohl auch mit vielen Schlussfolgerungen richtig. Die Ursachen der multiplen Krisen sind vielfältig. Die ökonomischen Faktoren scheinen in dem Modell etwas unterbelichtet zu sein – falls die Ursachen überhaupt eine große Rolle spielen. Die Regionen, «wo die Stabilität der Welt still erodiert», sind eben nicht nur die «unsichtbaren», von Medien vernachlässigten Länder oder Gegenden. Die Welt erodiert mitten unter uns!

Ignorance reigns. Foto Copyright © Klaus Boldt, boldtpublishing.com
When Ignoance reigns, life is lost. Graffito auf einer Parkbank. Foto Copyright © Klaus Boldt

Die politische Ökonomie kommt nach Auffassung der epo-Redaktion in dem «Strukturellen Ausgesetztheitsindex» zu kurz. Die Welt im 21. Jahrhundert ist geprägt von einem entfesselten Finanzkapitalismus, der – wie in den USA – zunehmend nach der politischen Macht ergreift. Milliardäre plündern die öffentlichen Kassen, Tech-Konzerne greifen die bisherige politische Elite an, die ein Club der globalisierten Konzerne, Investoren und Börsenspekulanten ist, bisher aber eher im Hintergrund blieb.

Eines haben Tech-Giganten und Investoren («die Märkte») gemeinsam. Die fieberhafte Suche nach Möglichkeiten, Profite und Dividenden zu erwirtschaften, gestaltet sich immer schwieriger auf einer Erde, die bereits bis zur Erschöpfung ausgebeutet ist. Manche Länder oder ganze Regionen, wie Subsahara-Afrika, Somalia, Eritrea, haben die «Märkte» längst abgeschrieben.

Doch die Krisen greifen nicht nur nach der Peripherie, sie rücken immer näher. Symptome sind, auch in den Metropolen von Nordamerika und Europa:

  • die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm
  • der ständige Ruf nach mehr Wirtschaftswachstum – trotz immer mehr und stärkerer Klimakatastrophen
  • politische Polarisierung
  • die Erosion etablierter «Volksparteien»
  • Entsolidarisierung, Individualisierung und Vereinsamung in der Gesellschaft, Konsumismus
  • die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen
  • Amokläufe, zunehmende politische Gewalt
  • Zukunftsängste auch in der Mittelschicht angesichts von Automatisierung und KI-Revolution
  • nicht zuletzt: neue Kriege und gewaltsame Konflikte und eine boomende Rüstungsindustrie (damit die Aktienmärkte wieder befeuert werden können)

All diese Symptome sind sichtbar, passieren jeden Tag vor unseren Augen. Aber es fehlt an Einordnung und Einsicht – und es sind schleichende Prozesse. Die Klimakrise war ebenfalls lange eine «schleichende Katastrophe», doch es wächst die Erkenntnis, dass die Folgen uns schneller treffen als erwartet. Mit der Krise unserer Wirtschaftsform wird es uns vielleicht ebenso ergehen.

Karikatur: „Arm und Reich“ von Norman B. Isaac. Copyright © boldtpublishing.com

=> Project Aurora: https://project-aurora.eu

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