Berlin. – Die Redaktion von Entwicklungspolitik Online hat Entwicklungsorganisationen gefragt, wie Sie die derzeitige Situation im Arbeitsfeld Entwicklungszusammenarbeit einschätzen. Angesichts schrumpfender Etats bereits unter der Ampel-Koalition lassen auch die Äußerungen der neuen Regierungskoalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz CDU) nicht viel Optimismus aufkommen. Bettina Ide, Senior Policy Advisor der Welthungerhilfe, befürchtet „angesichts der aktuellen Signale deutliche Kürzungen – und das, obwohl die globalen Bedarfe weiter steigen„.
Antworten von Bettina Ide, Senior Policy Advisor der Welthungerhilfe und Referentin für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
Redaktion: Erwarten Sie unter der neuen Bundesregierung wieder eine stärkere Fokussierung auf internationale Beziehungen/Entwicklungszusammenarbeit? Wie richtet Ihre Organisation sich in den kommenden Jahren thematisch aus?
Bettina Ide: „Wir machen uns große Sorgen, dass zentrale entwicklungspolitische Ziele wie die Bekämpfung von Hunger und Armut, die Umsetzung der SDGs und das Pariser Klimaabkommen in den Hintergrund gedrängt werden. Der sicherheits- und wirtschaftspolitische Schwerpunkt der neuen Bundesregierung sowie die Priorisierung von Energiepartnerschaften könnten diese wichtigen Anliegen gefährden.
Es muss darauf geachtet werden, dass Deutschland seiner globalen Verantwortung als drittgrößte Wirtschaftsmacht und respektierter internationaler Partner weiterhin gerecht wird und seinen Gestaltungswillen für eine lebenswerte Zukunft durch konsequentes Handeln weltweit glaubwürdig umsetzt.
Wir erwarten eine eindeutig menschenrechtsbasierte Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, die die Interessen der Partnerländer ernst nimmt und besonders die ärmsten Länder in den Blick nimmt – zumal diese im Koalitionsvertrag bisher keine Erwähnung finden. Dabei muss das Leitprinzip „leave no one behind“ gelten: Die verletzlichsten und am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen müssen konsequent in den Mittelpunkt gestellt werden.
Für uns ist klar: Die Bekämpfung von Hunger und extremer Armut ist eine grundlegende Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe. Deutschland wird seine wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen nur dann wirksam verfolgen können, wenn gleichzeitig der Schutz und die Einhaltung der Menschenrechte – auch im Rahmen des europäischen Lieferkettengesetzes – gewährleistet sind und das Pariser Klimaabkommen sowie die globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 konsequent umgesetzt werden.
In den kommenden vier Jahren setzen wir klare Schwerpunkte: Die Bekämpfung von Hunger, die Sicherung des Rechts auf Nahrung sowie der Einsatz für nachhaltige Landwirtschaft und eine gerechte ländliche Entwicklung müssen fest auf der politischen Agenda verankert bleiben.“
Redaktion: Halten Sie eine weitere Ausrichtung auf „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ für sinnvoll? (Auch vor der Ampel-Koalition war die Förderung von Frauen und Mädchen ja Querschnittsaufgabe). Was wäre Ihre Präferenz für einen Neustart in der Entwicklungspolitik?
Bettina Ide: „Aus entwicklungspolitischer Sicht ist feministische EZ, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben – unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinderung oder von anderen Merkmalen, sehr zu begrüßen.
Denn die Effizienz und Wirksamkeit von entwicklungspolitischen Maßnahmen steigt nachweislich, wenn die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen gesichert ist., d. h. Chancenungleichheit in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, wirtschaftliche und politische Teilhabe, Armut, geschlechtsspezifische Gewalt oder Auswirkungen des Klimawandels bekämpft werden.“
Redaktion: Wie reagieren Sie auf die Etatkürzungen im BMZ? Wirkt sich das bereits auf Ihre Projektarbeit aus? Müssen Sie Etats in bestimmten Bereichen zusammenstreichen (in welchen) und/oder evtl. Mitarbeiter*innen entlassen?
Bettina Ide: „Der Bundeshaushalt 2025 ist bislang noch nicht beschlossen – wir befinden uns aktuell in der vorläufigen Haushaltsführung. Daher lässt sich derzeit nicht abschätzen, in welchem Umfang unsere Projektarbeit und die Arbeit unserer Partnerorganisationen betroffen sein werden. Allerdings sind angesichts der aktuellen Signale deutliche Kürzungen zu befürchten – und das, obwohl die globalen Bedarfe weiter steigen.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit war in den vergangenen Jahren ein verlässlicher und zentraler Partner – für uns und für viele unserer Partnerorganisationen, die in ihren Ländern häufig unter erheblichem finanziellem und politischem Druck stehen. Bereits jetzt mussten sie durch Kürzungen anderer Geber, etwa der USA, schmerzhafte Einbußen hinnehmen, Projekte einstellen und Personal abbauen.
Insbesondere langfristige Maßnahmen zur Überwindung von Hunger und Armut geraten dadurch zunehmend in Gefahr. Wir hoffen daher, dass der Haushalt des BMZ auch im Jahr 2025 und darüber hinaus die notwendige finanzielle Grundlage bietet, um unsere Arbeit und die unserer Partner wirksam fortsetzen zu können. Denn Kürzungen in diesem Bereich kämen einem besorgniserregenden Rückzug Deutschlands aus seiner internationalen Verantwortung gleich – zu einem Zeitpunkt, an dem wir uns eher stärker denn schwächer engagieren sollten, um nicht Ländern wie China oder Russland das Feld zu überlassen.“
Redaktion: In welchen Arbeitsfeldern sehen Sie angesichts der zunehmenden Lokalisierung der EZ (mit einheimischen Fachkräften) eine Zukunft für junge Menschen, die sich für die Arbeit in der EZ interessieren? (Wir bekommen hierzu häufig Anfragen).
Bettina Ide: „Angesichts der vielfältigen globalen Herausforderungen und der großen Verantwortung, die Deutschland auch künftig wahrnehmen wird, besteht weiterhin ein hoher Bedarf an entwicklungspolitischen Fachkräften – auch wenn sich ihre Aufgabenfelder verändern werden.
Wir als Welthungerhilfe setzen uns gemeinsam mit unseren Partnern dafür ein, Kapazitäten aufzubauen und zu teilen. Dabei verstehen wir uns zunehmend als Vermittler in der internationalen Zusammenarbeit – als Brücke zwischen verschiedenen Akteuren. Besonders wichtig ist es uns, lokale Partner dabei zu unterstützen, ihre Perspektiven und Anliegen in internationalen Gremien und gegenüber dem Globalen Norden wirksam zu vertreten.“
Die Fragen stellte epo- Herausgeber Klaus Boldt im Rahmen einer Kurzumfrage per E-Mail