Wien (epo.de). – Der Internationale Suchtstoff-Kontrollrat (INCB) hat in seinem Jahresbericht davor gewarnt, dass die Marktschwemme von gefälschten Medikamenten in vielen Ländern verhängnisvolle Konsequenzen für den Konsumenten haben kann. Die Gefahr sei konkret und nicht zu unterschätzen, heißt es in dem am Donnerstag in Wien vorgelegten Bericht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass 25 bis 50 Prozent der in den Entwicklungsländern verwendeten Medikamente gefälscht sind.
Verschärft wird das Problem dadurch, dass sich Arzneimittel leicht fälschen lassen und Originalmedikamenten in Verpackung und Beschriftung ähneln. „Die Konsumenten sollten wissen, dass auf einem unregulierten Markt gekaufte pharmazeutische Präparate, die sie für preisgünstige Medikamente halten, potenziell lebensgefährliche Wirkungen haben können, wenn es sich nicht um Originalprodukte handelt, bzw. Mittel ohne ärztliche Aufsicht eingenommen werden. Anstatt zu heilen, können diese Arzneimittel Leben kosten“, sagte der Vorsitzende des INCB, Dr. Philip O. Emafo.
Der INCB ist besonders über die Existenz unregulierter Märkte besorgt, wo dem arglosen Konsumenten minderwertige und gelegentlich sogar lebensgefährliche Medikamente verkauft würden. Unregulierte Märkte würden häufig mit Arzneimitteln versorgt, die gestohlen, abgezweigt oder illegal hergestellt sind oder auch illegal über das Internet gehandelt werden. Es gebe Belege dafür, dass immer mehr Personen oder Unternehmen mit amtlicher Konzession die Gesetze unterlaufen, um kontrollierte Arzneimittel ohne Rezeptvorlage zu verkaufen. „Das Problem der Fälschung und des Missbrauchs von Arzneimitteln, die kontrollierte Substanzen enthalten und ohne Rezeptvorlage gekauft werden, besteht schon seit geraumer Zeit. Die rasante Ausbreitung der unregulierten Märkte hat die Situation allerdings dramatisch verschärft“, erklärte Dr. Emafo.
Der INCB rief die Vertragsstaaten dazu auf, die gesetzgeberischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sicherzustellen, dass Suchtstoffe und psychotrope Substanzen nicht illegal hergestellt oder von legalen Produktionsstätten und Vertriebskanälen in unregulierte Märkte umgeleitet werden.
Laut INCB sind der illegale Handel mit rezeptpflichtigen Medikamenten und ihr Missbrauch auf dem besten Weg, den Missbrauch von illegalen Drogen zu übertreffen. Tatsächlich seien manche Medikamente, die Suchtstoffe und/oder psychotrope Substanzen enthalten, in vielen Fällen sogar die bevorzugte Droge und dienten nicht im eigentlichen Sinne als Ersatz. Die Nachfrage nach diesen Drogen sei dermaßen hoch, dass sie zu einem neuen Problem, nämlich der Produktfälschung, geführt habe.
Der Missbrauch von rezeptpflichtigen Medikamenten kann tödliche Folgen haben und die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Suchtstoffen steigt. Laut Dr. Emafo „stellt die besonders starke Wirkung einiger synthetischer Suchtstoffe, die als rezeptpflichtige Medikamente erhältlich sind, in Wirklichkeit ein höheres Risiko der Überdosierung dar als der Missbrauch von illegalen Drogen“.
ARZNEIMITTEL HEIZEN SCHLANKHEITSWAHN AN
Trotz des Risikos möglicher tödlicher Konsequenzen ist der Trend zum Missbrauch von Anorektika zum Gewichtsverlust im Steigen begriffen, warnt der INCB. Anorektika, die gegen lebensbedrohliche Fettleibigkeit, sowie zur Behandlung von Narkolepsie und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) eingenommen werden, sind verschreibungspflichtig und sollten unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Allerdings habe aufgrund ihrer Wirkung, das Hungergefühl zu unterdrücken, eine alarmierende Anzahl an Personen begonnen, die Arzneien in der Hoffnung auf Gewichtsverlust zu missbrauchen. Regierungen und Betroffene sollten adäquate Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Verwendung von Anorektika auf medizinische Zwecke beschränkt bleibt.
Der INCB zeigt sich äußerst besorgt darüber, dass der gesetzwidrige Schlafmohnanbau in Afghanistan im Jahr 2006 ein Rekordausmaß erreicht hat. Ein Drittel der afghanischen Wirtschaft beruhe nach wie vor auf der gesetzwidrigen Opiumproduktion. Der INCB fordert sofortige Maßnahmen, um die Korruption in den Griff zu bekommen, da andernfalls die Bemühungen der Regierung zur Drogenkontrolle untergraben werden. Das würde auch den politischen Fortschritt, das wirtschaftliche Wachstum und die gesellschaftliche Entwicklung behindern.
REGIONALE SCHWERPUNKTE
Der Jahresbericht erläutert pro Region wichtige Entwicklungen im weltweiten Drogenmissbrauch und -handel. In Afghanistan ist demnach der Schlafmohnanbau im Jahr 2006 um 59 Prozent und die Opiumproduktion um beinahe 50 Prozent auf eine Rekordhöhe von 6100 Tonnen gestiegen. Es ist zu befürchten, dass der Handel mit afghanischen Opiaten einen destabilisierenden Effekt auf die Nachbarländer sowie auf Zentralasien und die Russische Föderation hat, wo das organisierte Verbrechen, Korruption und eine relativ hohe Nachfrage nach illegalen Opiaten im Steigen begriffen sind.
Der INCB stellt fest, dass der europäische Kontinent zum zweitgrößten illegalen Markt für Kokain weltweit geworden ist. Europa ist auch nach wie vor einer der wichtigsten illegalen Märkte für Aufputschmittel.
Der Missbrauch von Methamphetamin stellt die am stärksten wachsende Drogengefahr in Nordamerika dar und ist zu einem ernsthaften Problem für Gesundheit und Vollzugsbehörden geworden. Der INCB nennt insbesondere den starken und weiter steigenden Missbrauch von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als besorgniserregend.