Berlin (epo.de). – Regierungen und bewaffnete Gruppen schüren gezielt Ängste und Sorgen, um den Menschenrechtsschutz herunter zu schrauben. Diese Politik der Angst habe sich 2006 verfestigt. Sie schaffe eine gefährlich polarisierte Welt, erklärte amnesty international (ai) anlässlich der Vorstellung des ai-Jahresberichts 2007. In Deutschland kritisierte ai die Behandlung von Flüchtlingen, insbesondere aus dem Irak.
„Angst ist eine treibende Kraft der Weltpolitik geworden“, sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von ai Deutschland. „Viele Menschen haben berechtigte Furcht vor Anschlägen oder Überfällen. Doch wenn die Politik der Angst erfolgreich ist, verbreitet sich ein Denken der Spaltungen, in ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘, in Christen und Moslems, in Araber und Europäer, in Arm und Reich.“
Regierungen nutzten die Furcht vor Terrorismus, um Freiheitsrechte weltweit zugunsten einer verengten Sicherheitspolitik einzuschränken, stellte ai fest. Gleichzeitig bedrohten Sicherheitsrisiken wie Armut oder HIV/AIDS das Leben von Milliarden, ohne dass die internationale Gemeinschaft dagegen wirksam einschreite.
„Der G8-Gipfel in Heiligendamm wird sich daran messen lassen müssen, was er konkret für die Verbesserung der Lage in Afrika tut“, sagte Lochbihler. Darfur und die anderen zahlreichen bewaffneten Konflikte in Afrika würden nicht zuletzt durch unkontrollierten Waffenhandel befördert. „Die G8 müssen sich zumindest darauf verständigen, dass das UN-Waffenembargo gegen Sudan eingehalten und Verstöße geahndet werden“, sagte Lochbihler. „Die G8 als die weltweit größten Waffenlieferanten müssen sich selbst in die Pflicht nehmen und aktiv an einem völkerrechtlich verbindlichen Waffenkontrollabkommen mitarbeiten.“
Innerhalb Afrikas müssten die G8 Menschenrechtsinstitutionen stärken, fordert ai. Als Beispiel nannte Lochbihler die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker. „Die G8-Staaten hatten hier bereits 2002 Unterstützung zugesagt. Jetzt ist es höchste Zeit, dass sie ihre Versprechen einlösen.“
China sei ein Jahr vor den Olympischen Spielen weit entfernt von der Zusage, dass die Spiele zur Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen würden, stellte ai fest. „Menschenrechtsverteidiger sind staatlicher Repression besonders ausgesetzt“, sagte Lochbihler. „Zahlreiche Menschen sind in China wegen der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert.“ Hunderttausende Menschen würden in Umerziehungslagern festgehalten. ai befürchtet, dass die Behörden auf dieses Mittel auch im Vorfeld der Spiele zur „Säuberung“ Pekings zugreifen könnten. 150-200 Millionen chinesischer Wanderarbeiter seien rechtlich und sozial ausgegrenzt, lebten und arbeiteten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ein Großteil habe keinen Zugang zum Gesundheitssystem und staatlichen Bildungseinrichtungen.
FESTUNG EUROPA
Um „illegale Einwanderung“ zu unterbinden, setzen sich europäische Staaten über die Rechte von Flüchtlingen und Migranten hinweg. Im verzweifelten Versuch, nach Europa zu gelangen, hätten 2006 mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren, vor allem in den Meeren zwischen Afrika und Südeuropa. „Die, die durchkamen, wurden oft abgewiesen, ohne die Chance zu erhalten, einen Asylantrag zu stellen“, so ai.
In Europa sei 2006 offenbar geworden, dass eine Reihe von Staaten „an der Praxis so genannter außerordentlicher Überstellungen beteiligt waren“, kritisierte ai. Zahlreiche Menschen seien rechtswidrig entführt, verschleppt und in Länder ausgeflogen worden, wo sie oft der Folter unterworfen wurden. Die EU müsse erklären, wie sie dies zukünftig verhindern will.
Die Behandlung der Aktivitäten deutscher Behörden in der Bekämpfung des Terrorismus in Untersuchungsausschüssen habe gezeigt, dass die Bundesregierung an Aufklärung kein Interesse habe, rügt ai. Teilweise hätten deutsche Beamte an Befragungen mitgewirkt, ohne auf die offenkundige Misshandlung und Folter des Befragten zu reagieren. „Wir brauchen eine stärkere menschenrechtliche Kontrolle der Geheimdienste, z.B. durch einen Menschenrechtsbeauftragten in der ‚Sicherheitsrunde‘ im Kanzleramt“, sagte Lochbihler. „Die Geheimdienste müssen Richtlinien für ihre Arbeit erhalten, die unmissverständlich im Einklang mit den Erfordernissen des Menschenrechtsschutzes stehen.“
Angesichts der katastrophalen Sicherheitslage und der alarmierenden humanitären Situation im Irak forderte amnesty international die Innenminister Deutschlands dringend auf, irakische Flüchtlinge aufzunehmen und einen Abschiebungsstopp für Iraker zu beschließen. „Die Widerrufsverfahren gegen irakische Flüchtlinge sind nach unserer Auffassung unzulässig, denn durch sie verlieren die Betroffenen ihren Anspruch auf einen legalen Aufenthaltstitel und müssen in menschenunwürdiger Kettenduldung leben“, sagte Lochbihler.
Der ai-Jahresbericht 2007 behandelt 153 Länder. In 77 Ländern und Regionen hat ai im Jahr 2006 120 Ermittlungsreisen durchgeführt. Die Organisation veröffentlichte 2006 473 Informationspapiere und Berichte. Sie startete 330 Eilaktionen für gefährdete Personen sowie 121 Kampagnen und Aktionsprojekte. Die deutsche Übersetzung des ai-Jahresberichts 2006 erscheint im Fischer-Verlag. Sie hat 512 Seiten und kostet 14,90 Euro.