Kairo/Berlin (epo.de). – Mit einem massiven Polizeieinsatz ist das ägyptische Regime gegen einen landesweiten Streik für einen Mindestlohn und eine neue Verfassung vorgegangen. Polizeihundertschaften wurden an zentralen Plätzen und in der Nähe von Universitäten stationiert, um Massendemonstrationen zu verhindern. Schon im Vorfeld waren Aktivisten festgenommen worden. Die Demokratiebewegung hatte per SMS und über soziale Internet-Netzwerke zu einem “Tag der Wut” aufgerufen. Ein neuer Bericht von Reporter ohne Grenzen stellt fest, das Internet habe sich in Ägypten “zu einem einflussreichen Mittel der politischen Meinungsäußerung und Massenmobilisierung entwickelt”.
Nach einem Bericht des britischen Senders BBC hatte die ägyptische Polizei die Anweisung, jede am Streik beteiligte Person festzunehmen. Die Streikbeteiligung sei gering gewesen, so die BBC, aber rund 100 der 454 Parlamentsabgeordneten seien auf die Straße gegangen. Die Demokratiebewegung hatte dazu aufgerufen, schwarze Kleidung zu tragen und am Arbeitsplatz und in Schulen und Universitäten Sit-ins zu veranstalten.
Rund 100 Aktivisten versammelten sich nach Angaben der BBC vor dem Gebäude der Journalistenvereinigung Ägyptens in Kairo. Der Führer der oppositionellen Ghad-Partei, Ayman Nour, verurteilte die seit der Ermordung des früheren Präsidenten Anwar el-Sadat 1981 geltenden Notstandsgesetze und sagte, ein politischer Wandel sei nach 30 Jahren Alleinherrschaft durch Präsident Hosni Mubarak dringend notwendig. Auch die verbotene Muslim-Bruderschaft hatte die Proteste unterstützt.
BERICHT ÜBER ONLINE-OPPOSITION
In einem am Montag von Reporter ohne Grenzen (ROG) veröffentlichten Bericht wird die Rolle des Internets und der Blogger-Szene bei der Massenmobilisierung und politischen Willensbildung beleuchtet. Der Aufruf zu einem Aktionstag am 6. April sei genau ein Jahr nach einem Streik in der größten Textilfabrik des Landes, in der Stadt Mahalla, rund 120 Kilometer im Norden von Kairo, erfolgt. Am 6. April 2008 sei auch eine Gruppe der sozialen Netzwerkseite „Facebook“ verhaftet worden, weil sie Informationen über den Streik im Internet verbreitet hatte.
Seit jenem Tag bis zum Ende des Jahres 2008 wurden ROG zufolge weitere rund 1.200 Streiks für soziale Veränderung und gegen politische Repression in Ägypten organisiert – die Protestbotschaft wurde häufig online verbreitet. “Für die jüngere Generation in Ägypten gewinnt das Internet als politisches Ausdrucksmittel zunehmend an Bedeutung: Es beginnt herkömmliche Organisationsformen wie Gewerkschaften und politische Gruppen an den Universitäten zu verdrängen”, so der ROG-Bericht.
Wer seinen Protest online kundtut, riskiert, Opfer staatlicher Gängelungen und Repressionen zu werden: Mehr als 500 Blogger/innen wurden laut ROG im Jahr 2008 in Ägypten festgenommen. Einige würden auf Grundlage des Notstandsgesetzes festgehalten: Demnach dürfen Bürger ohne Erklärung festgenommen und sogar für mehrere Jahre ohne Begründung inhaftiert werden.
Mit der wachsenden Bedeutung des Internets verschärfen sich die staatlichen Kontrollen weiter. Derzeit ist zum Beispiel eine neue Gesetzesvorlage in der Diskussion: Dieser Novelle zufolge könnten Gefängnisstrafen wegen „missbräuchlicher Internetnutzung“ sowie wegen „Veröffentlichung von multimedialen Inhalten ohne Regierungserlaubnis“ verhängt werden.
Foto: Demonstration gegen Korruption in Kairo 2006 © Ben Hubbard/IRIN
ROG: Internet: A weapon of mass revolution? (PDF)