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ai: Globale Rezession verschärft Repression

ai Jahresbericht 2009Berlin (epo.de). – Amnesty International (ai) hat vor zunehmenden Unruhen und politischer Gewalt infolge der globalen Wirtschaftskrise gewarnt. Mit der Rezession verschärfe sich auch die Repression, erklärte die Menschenrechtsorganisation anlässlich der Veröffentlichung ihres Jahresberichtes 2009 am Donnerstag in London und Berlin. „Der größte Teil der Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die wir in unserem Jahresbericht aufführen, ist arm, und das ist kein Zufall“, sagte Nicolas Beger, Direktor des EU-Büros von Amnesty International, bei der Präsentation des Jahresreports in Berlin. Der ai-Report beschreibt die Menschenrechtslage in 157 Staaten.


„Noch viel zu wenig Regierende dieser Welt haben begriffen, dass Armut oft die Folge von Menschenrechtsverletzungen ist und für Menschenrechtsverletzungen besonders verwundbar macht“, sagte Beger. „Armut wird auf Dauer nur zu vermindern sein, wenn die Menschenrechte der Armen respektiert, geschützt und gewährleistet werden. Die Staaten müssen daher mindestens genauso in Menschenrechte investieren wie in Wirtschaftswachstum.“ 



„Wir sitzen auf einem Pulverfass der Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unsicherheit, und es ist kurz vor dem Explodieren“, erklärte Amnesty-Generalskretärin Irene Khan. Proteste gegen hohe Nahrungsmittelpreise hätten im vergangenen Jahr in vielen Ländern zu repressiven Maßnahmen geführt und in Tunesien und Kamerun Todesopfer unter den Demonstraten gefordert.

Khan kritisierte, die Führer der Welt konzentrierten sich auf Versuche, die Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen, während Konflikte mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen, etwa im Gaza-Streifen, in der sudanesischen Provinz Darfur, in Somalia oder in der Demokratischen Republik Kongo weitgehend unbeachtet blieben. Hundertausende Migraten seien infolge der Wirtschaftskrise bereits arbeitslos geworden. Diese desillusionierten, wütenden jungen Männer, die nun tatenlos in ihren Dörfern sitzen müssten, seien anfällig für extremistische Politik und Gewalt, warnte Khan.

Arme seien in meisten Ländern Staatsbürger zweiter Klasse und hätten oft keinen Zugang zu Bildung, so Amnesty. „Besonders verheerend ist, dass sie in der Regel keine Möglichkeit haben, vor Gericht ihr Recht zu erstreiten. Die UN schätzen, dass dies für vier Milliarden Menschen gilt – knapp zwei Drittel der Menschheit“, erklärte Beger.

Amnesty fordert, dass Konzerne, die bei der Rohstoffförderung – etwa in Papua-Neuguinea oder im Nigerdelta – häufig die Lebensgrundlagen der ansässigen Bevölkerung zerstören. „Wer Menschenrechte verletzt, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden – ob das ein Staat, ein transnationales Unternehmen oder eine internationale Institution ist“, forderte Beger. 



In New York beginnt am Donnerstag ein Prozess gegen den Shell-Konzern, dem nigerianische Aktivisten Mittäterschaft bei der Verfolgung und Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und weiterer acht Aktivisten der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes im Jahr 1995 vorwerfen (epo.de berichtete). Die Ogoni leben im Nigerdelta im Süden Nigerias und leiden unter der Zerstörung ihrer Heimat durch die Ölförderung. Sie machten in jüngster Zeit wiederholt durch militante Aktionen auf ihr Schicksal aufmerksam.

G20 GEBEN SCHLECHTES BEISPIEL

Im Berichtsjahr 2008 beobachtete Amnesty International, dass in 81 von 157 Ländern die Meinungsfreiheit verletzt wurde. In 50 Ländern saßen Menschen allein wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung hinter Gittern. 27 Länder schoben Menschen auch dann ab, wenn ihnen in ihrem Heimatland Folter, Verfolgung oder die Todesstrafe drohten. In 24 Ländern sind Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen vertrieben worden.

In den als „Krisenretter“ gehandelten G20-Staaten werden ai zufolge die Menschenrechte überdurchschnittlich oft verletzt. 78 Prozent aller Hinrichtungen weltweit wurden in den G-20-Ländern durchgeführt. In neun Ländern gab es illegale Tötungen durch den Staat und liefen Gerichtsprozesse grob unfair ab, in 15 Ländern wurden Menschen gefoltert oder misshandelt, 14 der 19 Staaten (das 20. Mitglied ist die EU) halten Menschen unverhältnismäßig lang ohne Anklage oder Prozess in Haft.

EU: SKANDALÖSE BEHANDLUNG VON MIGRANTEN

Wie aus der ai-Jahresbericht hervorgeht, gehören auch in zwölf Staaten der EU Folter und Misshandlungen zum Alltag. In zehn Staaten war missbräuchliche Polizeigewalt zu verzeichnen, 19 EU-Staaten gehen nicht menschenrechtskonform mit Asylsuchenden und Flüchtlingen um, zwölf missachten Menschenrechte im Antiterrorkampf in Gesetzgebung und Praxis, in zwölf EU-Ländern werden Minderheiten massiv diskriminiert und sechs verletzen die Meinungsfreiheit.


Eines der drängendesten Probleme in der EU sind ai zufolge massive Angriffe auf Roma in mehreren Mitgliedsstaaten. „Roma müssen vielfach in Ghettos leben. Ihr Zugang zu Bildung, Wohnraum, Arbeit und Gesundheitswesen ist derart eingeschränkt, dass dies zuweilen Züge einer Apartheid annimmt“, sagte Beger.


Infolge der Wirtschaftskrise sei zu erwarten, dass noch mehr Flüchtlinge und Migranten den lebensgefährlichen Seeweg nach Europa nehmen werden. „Die EU zwingt zunehmend Flüchtlinge, ihren Asylantrag in Staaten wie Libyen, Senegal oder Mauretanien zu stellen. Diese Staaten kennen aber gar kein ordentliches Asylverfahren. Damit verwehrt die EU Flüchtlingen praktisch den Zugang zu einem Asylverfahren. Das ist völkerrechtswidrig und für die EU wirklich beschämend“, sagte Beger.




In Deutschland kritisiert Amnesty International, dass „im Zuge der Terrorismusbekämpfung das absolute Folterverbot untergraben wird“. So hätten deutsche Kriminal- und Geheimdienstbeamte mehrfach inhaftierte Verdächtige in Ländern befragt, die für Folter und Misshandlung bekannt sind. Mutmaßlich Gefolterte zu vernehmen, sei mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht vereinbar und verletze Artikel 1 des Grundgesetzes. Solche Informationen dürften in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren nicht verwertet werden.

Vermehrt haben deutsche Stellen nach den Erkenntnissen von Amnesty auch auf Informationen Dritter zurückgegriffen, die wahrscheinlich durch Folter erlangt wurden. Außerdem sei Deutschland wie andere EU-Staaten bereit, auf der Basis rechtlich unverbindlicher „diplomatischer Zusicherungen“ Terrorverdächtige in Länder abzuschieben, in den ihnen Verfolgung und Folter drohen. „Auch das leistet der Folter Vorschub und darf daher keinesfalls stattfinden“, sagte Beger. 



Die deutsche Fassung des Amnesty International Reports erscheint im S. Fischerverlag, hat 542 Seiten und kostet 14,95 Euro. 

Amnesty-Video zum Jahresbericht auf youTube.com

www.amnesty.de
www.amnesty.org

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