Genf (epo.de). – Zum 60. Jahrestag der Verabschiedung der Genfer Konventionen hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eine gemischte Bilanz gezogen. 194 Staaten haben die vier Konventionen und ihre Zusatzprotokolle, die am 12. August 1949 unterzeichnet wurden, ratifiziert. Sie bilden das Rückgrat des internationalen humanitären Rechts, das regelt, wie Gefangene, Verwundete und Zivilisten in Konflikten zu schützen sind. Doch das oberste Gebot der Konventionen, die Menschlichkeit, gerät häufig in Vergessenheit, zumal da mit zerfallenden Staaten wie Somalia, der Privatisierung der Kriegführung und zahllosen bewaffneten Gruppen neue Protagonisten hinzugekommen sind, die sich häufig nicht an das humanitäre Völkerrecht halten.
„Wir nehmen in der Praxis regelmäßig Verletzungen des internationalen humanitären Rechts wahr, von der massenhaften Vertreibung von Zivilisten bis zu willkürlichen Angriffen auf und der Misshandlung von Gefangenen“, sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger. Wenn die geltenden Regeln stärker befolgt würden, hätte viel Leid in bewaffneten Konflikten vermieden werden können.
Positiv ist aus der Sicht Kellenbergers, dass viele Verletzungen des humanitären Völkerrechts nicht mehr unbeobachtet bleiben. „Die Verantwortlichen werden für ihre Taten zunehmend zur Rechenschaft gezogen, und das ist ein Zeichen von Fortschritt.“
KONFLIKTE WERDEN IMMER KOMPLEXER
Sorgen bereitet dem IKRK, dass bewaffnete Konflikte immer komplexer werden und es schwieriger wird, Konfliktparteien und Zivilisten zu unterscheiden. Dazu tragen der Terrorismus und der Zwang zur „asymmetrischen Kriegführung“ bei, aber auch die zunehmende und vor allem von den USA vorangetriebene Übertragung von Kriegshandlungen und logistischen Aufgaben an Privatunternehmen.
Wenn Zivilisten von Raketen getroffen werden, die ein unbemanntes Flugzeug abfeuert, wie in diesen Tagen in Afghanistan oder Pakistan häufig geschehen, wird das kaum noch als Völkerrechtsverletzung, sondern als „Kollateralschaden“ gesehen, als Unglücksfall, der eben vorkommen kann.
Das IKRK sieht denn auch eine Herausforderung für die Zukunft darin, die Befolgung der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle zu verbessern. Das gelte besonders für innerstaatliche Konflikte, sagt Jakob Kellenberger. Eine Umfrage des IKRK in acht Ländern mit Konflikten ergab, dass von den rund 4.000 Befragten zwar drei Viertel Regeln für Kampfhandlungen befürworten, aber weniger als die Hälfte von ihnen weiß, dass es die Genfer Konventionen gibt und dass sie genau dies tun.