Köln (epo.de). – Afghanische Frauen werden zunehmend ihrer Rechte beraubt. Bereits in den letzten Jahren hätten Drohungen und Gewalt gegenüber Frauen zugenommen, erklärte die Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember. Jetzt schränkten die konservativen Kräfte Afghanistans die Menschenrechte von Frauen und Mädchen Zug um Zug weiter ein.
Jüngstes Beispiel ist medica mondiale zufolge ein Edikt des Obersten Gerichtshofes des Landes vom Oktober dieses Jahres. Diese Rechtsverordnung (Nr. 1497/1054) besage, dass Mädchen und Frauen, die von Zuhause weglaufen, keine Zuflucht bei Fremden suchen dürfen. In diesem Fall könnten sie wegen Ehebruchs oder Prostitution verurteilt werden. Das Edikt erlaube lediglich eine Flucht in das Haus von Verwandten oder zu den Sicherheitskräften – „in der Regel keine realistische Option für Frauen, die Gewalt in ihren Familien erleben, einer Zwangsverheiratung entfliehen wollen oder als ‚Entschädigung‘ bei Konflikten an eine gegnerische Familie gegeben werden, urteilte medica mondiale.
Verwandte weigerten sich häufig, eine Frau in einer derartigen Lage zu unterstützen, weil sie Konflikte oder gesellschaftliche Ächtung befürchten, so medica mondiale. Von der Polizei sei keine Unterstützung zu erwarten; häufig bringe sie geflohene Frauen umstandslos in die Familien zurück, inhaftiere sie oder bedrohe die Frau oder das Mädchen sogar selbst.
„Mit einer derartigen Verordnung sind betroffene Frauen doppelt bestraft“, sagte das geschäftsführende Vorstandsmitglied von medica mondiale, Monika Hauser. „Sie fliehen vor zum Teil unsäglicher Gewalt aus ihren Häusern und haben dann vom Justizsystem eine Strafe dafür zu erwarten.“ Ein System, das Menschen bestrafe, die Hilfe suchten und eine derartige Logik akzeptiere, verstoße eindeutig gegen die Menschenrechte. „Es ist schon erstaunlich: Es bedarf nicht einmal mehr der Machtübernahme durch die Taliban, dass derartig ultrakonservative Strömungen Oberhand gewinnen können. Wo bleibt der Aufschrei der internationalen Gemeinschaft? Wozu sind all die Resolutionen und Konventionen verabschiedet worden?“
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Missachtung der Menschenrechte verurteilt Hauser eine Wende in der Politik des Auswärtigen Amtes bei der Förderung von Projekten in Afghanistan. Das Auswärtige Amt hatte seit 2008 die Arbeit von medica mondiale in Herat im Westen Afghanistans im Bereich der Rechtsberatung von Frauen unterstützt. 17 MitarbeiterInnen der Organisation sind hier (und mit administrativer Unterstützung in Kabul) im Rahmen der Rechtsberatung für rund 500 Frauen jährlich tätig und setzen sich beispielsweise dafür ein, dass inhaftierte Frauen ein faires Verfahren erhalten.
In diesem Oktober, lediglich zwei Monate vor Ablauf der jetzigen Förderung, sei jedoch eine weitere Förderung mit dem Hinweis auf die regionalen Schwerpunkte des deutschen Engagements im Norden des Landes abgelehnt worden, so medica mondiale. Eine spätere Revision dieser Entscheidung habe lediglich ein weiteres Jahr Unterstützung in Aussicht gestellt, so dass medica mondiale es vorzog, sich um eine Alternativfinanzierung zu bemühen.
„Die Bundesregierung zeigt sich hier auf tragische Weise konsequent: Der zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Menschenrechten in Afghanistan folgt die Entziehung der Unterstützung von Zivilgesellschaft, die sich dort für die Wahrung dieser allgemeingültigen Grundrechte von Menschen einsetzt, wo es am dringlichsten ist“, kommentierte Hauser. Eine Aufforderung, die Arbeit doch einfach in den Norden – wo das deutsche Militär ist – zu verlagern, verletze alle Grundsätze der Nachhaltigkeit: „So verpuffen alle Erfolge bereits geflossener Entwicklungsgelder.“
In einem Brief an Kanzleramt, Außenministerium und Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit fordert medica mondiale, dass die Bundesregierung „die menschen- und frauenverachtenden Tendenzen in Afghanistan aufs Schärfste verurteilen und ihren Einfluss auf die afghanische Gesellschaft geltend machen“ solle.