Göttingen. – Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in Ägypten nehmen in Oberägypten Spannungen zwischen der Minderheit der Nubier und Sicherheitskräften deutlich zu. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen berichtete am Montag, in der bei deutschen Touristen beliebten Stadt Assuan sei am Samstagabend eine Ausgangssperre verhängt worden, um Demonstrationen von Nubiern zu verhindern. Zuvor hatte sich die Polizei Straßenschlachten mit aufgebrachten Demonstranten geliefert.
Die Demonstranten hatte die bedeutendste Straße entlang des Nils besetzt. Die Sicherheitskräfte beendeten die Aktion nach Angaben der GfbV gewaltsam unter Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas. Unmittelbarer Anlass der Proteste sei der Tod eines nubischen Fährmanns gewesen, der am Samstag seinen schweren Verletzungen erlag. Der Nubier sei nach einem Wortwechsel am 6. November von einem Polizisten niedergeschossen worden, berichtete die GfbV. Dies sei bereits der dritte Zwischenfall innerhalb weniger Wochen, bei dem ein Nubier von Polizisten willkürlich getötet wurde.
Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak am 25. Januar 2011 eskalieren nach GfbV-Angaben die seit langem bestehenden Spannungen in Oberägypten. Die Nubier, die unter dem Regime des Diktators ihre Kritik an ihrer Zwangsumsiedlung zum Bau des Assuan-Staudammes nicht öffentlich äußern konnten, forderten ihre Rechte immer massiver ein. So hätten Ende August 2011 Demonstranten sogar den Amtssitz des Gouverneurs in Assuan in Brand gesetzt.
Die Nubier verlangen laut GfbV, dass sie als eine der ältesten Kulturen und Völker Ägyptens anerkannt werden. Sie empfänden es als bittere Ironie der Geschichte, dass sie heute verelendet sind und als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, während andere Ägypter ausländische Urlauber durch die Wirkungsstätten der Pharaonen führen und ihnen die Jahrtausende alte Hochkultur der früheren Herrscher des Nahen Ostens erläutern.
Seit Jahren strömten verstärkt Arbeitssuchende aus den verarmten Provinzen in Oberägypten in die Touristenregion, berichtete die GfbV. Die Zugewanderten kontrollierten rund 75 Prozent des Wirtschaftslebens in Assuan. Für die indigenen Nubier böten sich da nur noch wenig Perspektiven. In der Region Assuan leben rund 1,5 Millionen Nubier, etwa 500.000 haben sich in den größeren Städten des Landes angesiedelt. Viele Nubier wollen in ihre alten Siedlungsgebiete entlang des Nils zurückkehren.
Dreimal innerhalb von 60 Jahren seien die in Ägypten lebenden Nubier für den Bau von Staudämmen zwangsumgesiedelt worden, so die GfbV. Im September 2011 habe ihnen Premierminister Essam Sharaf zugesichert, ihnen die Rückkehr auf ihr altes Land entlang des Nils zu gestatten. Doch auch diese Zusage habe die Unruhen nicht nachhaltig eindämmen können.