Köln. – Rund eine Milliarde Kinder und Jugendliche wachsen nach Schätzungen von UNICEF mittlerweile in Städten auf – fast die Hälfte aller Kinder weltweit. Jedes Dritte von ihnen lebt in einem überbevölkerten Slum. Diese Kinder hätten meist keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen, Elektrizität, Gesundheitsversorgung oder Schulen, beklagt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in seinem Bericht „Zur Situation der Kinder in der Welt 2012“.
30 bis 50 Prozent aller Neugeborenen in den rasch wachsenden Städten und Metropolen der Entwicklungs- und Schwellenländer werden nach der Geburt nicht einmal registriert, heißt es in dem Bericht. „Städte werden für immer mehr Kinder zu Orten der Armut“, erklärte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „Nur wenn Millionen Kinder in Slums und heruntergekommenen Vierteln nicht länger ausgeschlossen werden, können sich Städte sozial und wirtschaftlich gerecht entwickeln.“
Während die Städte in den Entwicklungs- und Schwellenländern weiter wachsen, werden nach Einschätzung von UNICEF die Bedürfnisse und Rechte der dort lebenden Kinder systematisch übersehen und spielen bei der Stadtentwicklung kaum eine Rolle. Die Folgen für die Kinder sind gravierend. Der Anteil der unter- oder fehlernährten Kinder in den Städten steigt weltweit. Rund 54 Prozent der ärmsten Kinder in den Slums in Indien sind UNICEF zufolge durch Mangelernährung in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung zurückgeblieben. Impfkampagnen erreichen Kinder in den Slums oft nicht. Krankheiten wie Lungenentzündung, Tuberkulose und Durchfall verbreiten sich in den überbevölkerten Vierteln leicht.
Zwar hätten Familien in den Städten besseren Zugang zu sauberem Trinkwasser als auf dem Land, berichtet UNICEF. Doch die Versorgung halte mit dem Anstieg der Zahl der Bewohner nicht mit. Die ärmsten Familien seien zudem selten an Leitungsnetze angeschlossen. Sie zahlten bei privaten Wasserverkäufern für einen Liter Wasser bis zu 50 Mal mehr als ihre wohlhabenden Nachbarn. Immer mehr Menschen in den Städten müssten ihre Notdurft im Freien verrichten.
Zwar gibt es in den Städten mehr Schulen – doch diese sind für arme Kinder meist unerreichbar. In der indischen Stadt Delhi geht nach einer Untersuchung knapp die Hälfte der Kinder aus den Slums nicht zur Schule. Millionen Kinder und Jugendliche leben und arbeiten UNICEF zufolge als Lumpensammler, Schuhputzer oder Zigarettenverkäufer auf der Straße. Sie sind Übergriffen und Ausbeutung ausgeliefert und werden häufig kriminalisiert, verjagt oder misshandelt. Eltern schicken ihre Töchter vom Land in die Stadt, wo sie in privaten Haushalten schuften.
Viele Siedlungen sind zudem illegal – die Hütten werden nur kurzfristig geduldet und die Familien müssen jeden Tag damit rechnen, vertrieben zu werden. Wegen der permanenten Unsicherheit scheitern auch Bemühungen, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Weil die Bewohner nur über sehr geringe Mittel verfügen, wirken sich bereits kleine Preissteigerungen dramatisch aus. Viele Familien müssen zwischen 50 und 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben.
Eine Untersuchung in 24 der 50 reichsten Städte der Welt zeigte, dass ein hohes Maß sozialer Ungleichheit einhergeht mit hoher Kriminalität und Gewalt. Kinder, die in einer solchen Atmosphäre aufwachsen, leiden häufig an Angst, Depression, Aggression und verminderter Selbstkontrolle. Viele brechen die Schule ab und schließen sich Gangs an, weil sie sich dort Zugehörigkeit und finanzielle Vorteile erhoffen.
Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Fluten, Schlammlawinen und Erdbeben verschärfen laut UNICEF zunehmend die Situation von Millionen Kindern und Jugendlichen in den Städten. Arme Familien, die in instabilen Hütten an Abhängen, Kanälen oder auf tiefer gelegenem Gelände leben, sind der Naturgewalt unmittelbar und schutzlos ausgeliefert.
Mit dem „Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2012“ ruft UNICEF Regierungen, Stadtverwaltungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft dazu auf, die Grundbedürfnisse und Rechte der Kinder in den Städten sicher zu stellen.