Göttingen. – In Ägypten haben haben Beduinen seit Jahresbeginn 48 Geiseln genommen. Für die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist dies ein deutliches Anzeichen wachsender Unruhe auf der Sinai-Halbinsel. „Die Zahl der Entführungen von Touristen, ausländischen Arbeitern, Blauhelmen und ägyptischen Soldaten durch Beduinen ist seit Ende Januar 2012 rasant gestiegen“, berichtete GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Dienstag in Göttingen.
„Zum Glück lassen die Kidnapper ihre Opfer im Regelfall nach wenigen Stunden ohne Zahlung eines Lösegelds wieder frei und niemand kommt ernsthaft zu Schaden“, sagte Delius. „Doch für die zukünftige Regierung Ägyptens muss die Förderung von Frieden und Entwicklung der lange vernachlässigten Region oberste Priorität haben. Wer Sicherheit auf der Halbinsel garantieren will, darf die 500.000 Beduinen nicht länger pauschal als mutmaßliche Terroristen diskreditieren, sondern muss sie als gleichberechtigte Bürger behandeln.“
Erst am Montag seien zehn entführte UN-Blauhelm-Soldaten von den Fidschi-Inseln wieder freigelassen worden, berichtete die GfbV. Zuvor waren Ende Januar 25 chinesische Arbeiter, im Februar drei südkoreanische Touristen und zwei amerikanische Reisende, im März zwei brasilianische Urlauberinnen und am 5. Mai sechs ägyptische Soldaten gekidnappt worden.
Nach Angaben der GfbV wollen die Beduinen mit den Geiselnahmen vor allem die Aufmerksamkeit auf ihre schwierige Lage lenken und die Entlassung inhaftierter Verwandter durchsetzen. Beduinen würden oft straffällig, weil sie sich aufgrund ihrer Verarmung als Schmuggler oder als Helfer radikal islamischer Aufständischer verdingten.
Einige ägyptische Präsidentschaftskandidaten sähen den Sinai nur als Sicherheitsproblem, kritisierte die GfbV. Andere wollten dort endlich die Wirtschaft fördern. So verspreche der Kandidat der Muslim-Bruderschaft den Bau von Industrie- und Landwirtschaftsprojekten sowie einer Eisenbahnlinie im Wert von drei Milliarden US-Dollar.
„Die meisten Beduinen trauen solchen Versprechungen nicht, weil schon zu viele Zusagen nicht eingehalten wurden“, sagte Delius. „Die Förderung der Wirtschaft ist wichtig, um die Lebensbedingungen verarmten Ureinwohner zu verbessern.“ Doch die Beduinen wollten auch Rechte. So reiche es ihnen nicht, dass sie nur mit einem Abgeordneten im Parlament vertreten und 30 Jahre nach dem Abzug der israelischen Armee noch immer nicht als gleichberechtigte Bürger anerkannt seien.