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Rio+20: Wachsende Probleme, keine Taten

rio_plus20_80Rio de Janeiro. – Ohne eine Änderung haben sich die Delegationen bei der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung (Rio+20) in Rio de Janeiro auf das vom brasilianischen Gastgeber vorgelegte Abschlussdokument geeinigt – ehe der eigentliche Gipfel der Staats- und Regierungschefs überhaupt begonnen hat. Die Zivilgesellschaft zeigt sich enttäuscht, frustriert und empört: Die Staatengemeinschaft sei derzeit nicht in der Lage, zentrale Zukunftsfragen der Menschheit wie Klimaerwärmung, Armut und Hunger anzugehen.

„Die Krisen um das Klima, um Ernährung, um Wasser verschärfen sich. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst in fast allen Staaten. Dieser Gipfel bringt nicht das notwendige Ergebnis, um den sich zuspitzenden Krisen wirkungsvoll zu begegnen“, sagte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Aber er hat auch gezeigt, dass derzeit nicht mehr möglich ist.“

Mit Empörung reagierte das katholische Hilfswerk Misereor auf die vorläufige Einigung der Staaten auf eine Abschlusserklärung beim Rio+20-Gipfel. „Angesichts der rasanten Übernutzung des Planeten auf Kosten der Armen ist es ein Skandal, dass sich die verhandelnden Staaten bereits vor dem eigentlichen Gipfel mit einem wachsweichen Abkommen zufrieden geben wollen. Auch die letzten Reste an verbindlichen Schritten zu nachhaltiger Entwicklung wurden damit fallen gelassen“, erklärte Benjamin Luig, Referent für Entwicklungspolitik bei Misereor. „Der Bezug zu sozialen Menschenrechten bleibt in diesem Dokument eine hohle Phrase. Weiter wird bei privaten Unternehmen ausschließlich auf Freiwilligkeit gesetzt, Fragen der Rechenschafts- und Haftungspflichten fehlen gänzlich.“

„Sollten die Staatschefs und Minister in den kommenden Tagen diesen Schnellschuss nicht mehr korrigieren, dann beschädigen sie damit den gesamten Rio-Prozess“, sagte Luig. „Anscheinend ist die jetzige Einigung eine Folge des G20-Gipfels, auf dem die Schwellenländer sich bereit erklärt haben, die Finanzmittel des IWF erheblich aufzustocken. Damit wäre die globale Nachhaltigkeitspolitik nur noch ein Anhängsel des Finanzkrisenmanagements.“

„Wenn es der Bundesregierung ernst ist mit ihrem Bekenntnis zu Zukunftsverantwortung und globaler Gerechtigkeit, kann sie dem vorläufigen Verhandlungsergebnis nicht zustimmen. Denn dieses bringt uns im Kampf gegen den Raubbau an der Natur, gegen Klimawandel und extreme Armut und Ungerechtigkeit keinen Schritt weiter. Vor allem das Vertrauen vieler afrikanischer Regierungen, die bereit sind, weiterreichende Reformen mitzutragen, wird schwer enttäuscht“, sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von „Brot für die Welt„. Deutschland habe bisher nicht gekämpft. „Wir appellieren eindringlich an unsere Minister Niebel und Altmaier, in diesen drei Tagen mindestens noch zu erreichen, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen zu einer Umweltorganisation aufgewertet wird und dass die Entwicklungsländer bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen finanziell und technologisch deutlich unterstützt werden.“

Deutschland und die EU seien in dieser sehr kritischen Phase gefordert, glaubhaft zu machen, wie sie wieder eine Vorreiterrolle in dem Rio-Prozess einnehmen können. „Armutsorientierung, die Überwindung des Hungers und die Umsetzung der Menschenrechte werden in der Rio-Erklärung zwar als Prinzipien beschworen. Jedoch wurde in der letzten Verhandlungsnacht der zuvor bereits sehr schwache Umsetzungsteil so weit verwässert, dass es an Verbindlichkeit, Fristen und Instrumenten derzeit an allen Ecken und Enden fehlt“, so Füllkrug-Weitzel. „Die Eurokrise lehrt uns, dass es unverantwortlich ist, Probleme mit ungedeckten Schecks auf die Zukunft zu verschleiern. Rio darf diesen Fehler nicht wiederholen.“

KAPITULATION VOR WIRTSCHAFTLICHEN INTERESSEN

„War der Erdgipfel in Rio 1992 noch ein historischer Aufbruch, so erscheint die heutige Rio-Konferenz wie eine Kapitulation der Regierungen vor den nationalen wirtschaftlichen Interessen und den internationalen Konzernen“, sagte Martin Kaiser, Leiter der Internationalen Klimapolitik von Greenpeace. „Wir fordern die Staatengemeinschaft auf, nicht ihre nationalen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern endlich wirksame Maßnahmen zur Rettung unserer Lebensgrundlagen zu beschließen.“

Weder beim Schutz der Weltmeere und der Wälder noch bei globalen Nachhaltigkeitszielen oder der Gründung eine UN-Umweltbehörde gebe es Fortschritte, so Greenpeace. „Offenbar sind der EU die wirtschaftlichen Interessen europäischer Unternehmen in Brasilien wichtiger als der Kampf um den Schutz der Meere, der Urwälder und des Klimas“, kritisierte Kaiser. „Auch die Europäische Union hat der schwachen Gipfelerklärung zugestimmt, die Gastgeber Brasilien im Eilverfahren eingebracht hatte.“

Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), der Deutsche Naturschutzring (DNR) und das Forum Umwelt & Entwicklung bewerteten den bisherigen Verlauf des Rio+20 Gipfels als „noch enttäuschender als ohnehin erwartet“. Greifbare Fortschritte für Umweltschutz und Armutsbekämpfung seien in dem jetzt vorliegenden Abschlusstext praktisch nicht auffindbar. Der Text sei ein „Ausdruck alten, überholten Denkens.“

„Meeresschutz und der Kampf gegen die Zerstörung der Wälder waren die weißen Flecken von Rio 1992. Zwanzig Jahre später haben die Vereinten Nationen erneut vor einer Handvoll Staaten kapituliert, die daran nichts ändern wollen. Ein beschämendes Versagen“, kommentierte Hardy Vogtmann, 1. Vizepräsident des DNR.

„Die Staatengemeinschaft konnte sich immerhin dazu durchringen, bis 2015 Nachhaltigkeitsziele aufzustellen. Nur wenn diese Ziele die Grenzen des Naturverbrauchs und Zielmarken für soziale Entwicklung festlegten, hätte Rio+20 eine nachhaltige Wirkung“, betonte Jürgen Reichel, stellvertretender VENRO-Vorstandsvorsitzender und Mitglied der Regierungsdelegation. „Denn die Ziele werden auch Folgen für unser Konsumverhalten haben müssen. Wenn wir den Land- und Wasserverbrauch für unsere Produktion oder Ernährung ausrechnen, wird schnell deutlich werden, wie stark Deutschland über seine Verhältnisse lebt.“

Das einzige wirklich greifbare Ergebnis von Rio+20 sei eine begrenzte Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP, so die NGOs. Es solle nun eine halbwegs sichere Finanzbasis erhalten, und alle Länder sollen künftig UNEP-Mitglieder sein. „Dafür hätte man keinen Mega-Gipfel in Rio gebraucht, das hätte man problemlos auf einer der alljährlichen UN-Generalversammlungen beschließen können“, sagte Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung.

Das Konferenz-Schlagwort „Green Economy“ solle öko-soziale Nachhaltigkeit suggerieren, erklärte der Sprecher der Menschenrechtsorganisation FIAN, Richard Klasen. „De facto versteckt sich dahinter der Versuch der Global Player aus Finanzwirtschaft, Agrobusiness und Gentech-Industrie, die weitere Privatisierung der Umwelt grün anzumalen. So werden etwa fossile Energieträger wie Benzin oder Kerosin einfach durch Agrotreibstoffe aus ’nachwachsenden Rohstoffen‘ ersetzt. Dass für deren Anbau Menschen vertrieben und natürliche Ökosysteme zerstört werden, fällt nicht weiter ins Gewicht.“

SCHWELLENLÄNDER NEHMEN DAS HEFT IN DIE HAND

Die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Marlehn Thieme, bezeichnete das Ergebnis des „Erdgipfels“ in Rio als „mager“. „Der Zustand der Welt erfordert mehr Ehrgeiz, mehr Kraft und mehr Engagement zur nachhaltigen Entwicklung. Ein deutlicheres Ergebnis wäre daher wünschenswert gewesen. Aber es gibt auch so klare Handlungsaufträge“, fasste Thieme den abschließenden Verhandlungstag zusammen. Immerhin werde der globale Umweltschutz gestärkt, ein Schritt zum Aufbau von besseren UN-Institutionen zur Nachhaltigkeit gemacht und die Unternehmen würden eindringlich zu mehr Nachhaltigkeit aufgefordert. Die verhandelnden Staaten hätten vereinbart, einen Fahrplan für konkrete Ziele zur nachhaltigen Entwicklung zu erarbeiten.

Am Wichtigsten von allem ist laut Marlehn Thieme aber die Aufforderung, aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft heraus zum Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Rio sende zudem das Signal an die Industrieländer, mit Finanzmitteln, Technologien und eigenem Einsatz eine nachhaltige Entwicklung auch global voranzutreiben. Konzepte und Worte überzeugten nicht, sondern Aktionen.

Die Art und Weise, wie die Brasilianer das Verhandlungsergebnis beeindruckend und gegen alle Widerstände durchdrückten, werfe zudem ein Licht auf eine geänderte Machtkonstellation in der Welt. „Der Modus des Handelns ist geändert. Brasilien und China nehmen das Heft des Handelns in die Hand. Europa hält nicht mit, weil man erst zu spät zu einer ambitionierten Verhandlungslinie gefunden hat“, so Thieme. Die Europäische Nachhaltigkeitsstrategie sei viel zu schwach. Viel beachtet werde dagegen Deutschlands Energiewende und Ressourcenstrategie. Der Nachhaltigkeitsrat fordert daher, dass die Bundesregierung sich noch stärker in Europa engagieren müsse, um der globalen Nachhaltigkeit wirksame Impulse zu geben.

GLOBALE MACHTFRAGE

‚Grüne‘ Entwicklungen und Technologien seien global wichtig, ausschlaggebend sei aber, in wessen Dienst sie gestellt würden, erklärte das globalisierungskritische Netzwerk Attac. „Es geht um gegensätzliche Interessen, um Eigentums- und Machtfragen. Wie diese politisch beantwortet werden, entscheidet darüber, ob am Ende etwas Positives oder Destruktives herauskommt“, sagte Chris Methmann von der Attac-AG Energie, Klima, Umwelt.

Für globale soziale und ökologische Gerechtigkeit fordert Attac unter anderem eine Demokratisierung der Energieversorgung, den Kohleausstieg, die Rückzahlung der Klimaschulden an den globalen Süden, ein Verbot von Agrar- und Nahrungsmittel-Spekulationen sowie generell eine strikte Kontrolle der Finanzmärkte. Chris Methmann: „Das ist dann eben oft nicht eine ‚Win-win-Situation‘, wie das Green-Economy-Konzept suggeriert, sondern erfordert politische Entscheidungen, die von der Rio-Konferenz nicht zu erwarten sind. Handlungsdruck für konkrete Schritte entsteht durch die Lebendigkeit und Ungeduld sozialer Bewegungen. Die Landlosenbewegung Lateinamerikas, die Antikohle-Bewegung, die Indignados machen Hoffnung.“

www.uncsd2012.org
www.rio20.net/en

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