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NGOs kritisieren mageres Ergebnis von Rio

rio_plus20_80Rio de Janeiro. – Am letzten Tag der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro haben nichtstaatliche Organisationen die Ergebnisse massiv kritisiert. Kirchliche Organisationen und Umweltgruppen vermissen in der abschließenden Erklärung des „Rio+20“ Gipfels klare Vorgaben im Kampf gegen Armut, Hunger und Umweltzerstörung. Politische Impulse für ein Umsteuern zu mehr Nachhaltigkeit müssten jetzt noch stärker von der Zivilgesellschaft weltweit ausgehen, sind sich die NGOs einig.

„Der Rio-Gipfel offenbart einen erschreckenden Realitätsverlust unserer Politiker“, erklärte Martin Kaiser, Leiter der Internationalen Klimapolitik von Greenpeace. „Sie messen der ökologischen und sozialen Weltkrise nicht annähernd soviel Dringlichkeit bei wie der Finanzkrise. Und das, obwohl die Folgen weitaus dramatischer und dauerhafter sein werden.

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Die EU und Deutschland seien mitverantwortlich für das Scheitern des Rio-Gipfels, sagte Kaiser: „Sie haben sich dem Druck von Blockierern wie USA, Kanada, Russland, China und Indien gebeugt. Sie hatten nicht den Mut, Klartext zu sprechen und das Schlussdokument mit seinem beschämend schlechten Kompromiss abzulehnen. Durch ihr Fernbleiben hat Kanzlerin Merkel zum Scheitern des Gipfels beigetragen.“

Der Rio-Gipfel hätte „klare Leitplanken für die wesentlichen Verursacher von Umweltzerstörung setzen müssen: die global operierenden Unternehmen“, betonte der Greenpeace-Experte. „So können Großkonzerne weiter die Umwelt auf Kosten unserer Zukunft ausbeuten, wie etwa der Ölmulti Shell, der noch in diesem Sommer eine Grenze überschreiten und in der Arktis nach Öl bohren will. Ein Unfall wie bei der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko würde in der kalten, während der längsten Zeit des Jahres mit Eis bedeckten arktischen See verhängnisvolle Folgen haben. 

Die Lehre aus Rio ist, dass einzelne Staatengruppen voran gehen müssen und nicht auf einen globalen Konsens warten dürfen, den es anscheinend nicht so schnell geben wird. Wenn die Welt auf das Einlenken der USA und anderer Blockierer hofft, wartet sie ewig.“

„Die Staatengemeinschaft hat in Rio nicht die notwendigen Beschlüsse getroffen, die angesichts sich zuspitzender Krisen um Ernährung, Klima, Energie, Rohstoffe, Wasser, Ozeane und Artenvielfalt notwendig sind“, konstatierte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Schlimmer noch: Sie ist derzeit dazu offensichtlich nicht in der Lage. Die US-Regierung scheint in vielen der Fragen wegen der Blockaden im Land nicht handlungsfähig. Die Verhandlungsprozesse werden immer stärker durch Stellungskämpfe zwischen geschwächter Supermacht USA und den aufstrebenden neuen Großmächten wie China, Indien, Brasilien dominiert. Es geht offensichtlich darum, international das Gesicht zu wahren, statt die Menschen und den Planeten zu retten. In der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise dominiert kurzfristiges statt zukunftsorientiertes Denken. Die Konsequenz: Wir haben in Rio viele wohlklingende Absichtserklärungen und interessante Anstöße für Prozesse gesehen, aber ohne Angabe von notwendigen Ziel- und Zeitrahmen.“

VERSAGEN DER ELITEN

Die evangelischen Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) zeigten sich vom Ergebnis der Rio+20-Konferenz enttäuscht. „Weder die Armen noch die künftigen Generationen standen in Rio jemals im Mittelpunkt“, sagte die Direktorin von „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Wenn jedes Land seine kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen verteidige und erst danach schaue, was für die Umwelt und die Armen noch übrig bleibt, „dann ist das unter dem Strich ein gewaltiges Versagen der globalen politischen und wirtschaftlichen Eliten: als könne man angesichts der massiven Folgewirkungen eigenen wirtschaftlichen Handelns heute noch Politik rein national und auf die Gegenwart bezogen betreiben.“

„Brot für die Welt“ und EED forderten die Bundesregierung auf, als Konsequenz aus Rio künftig mit Nachdruck die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen und Bedürfnisse der Ärmsten in den Blick zu nehmen. Deutschland müsse zum Vorreiter für eine global nachhaltige Entwicklung werden. Die Kanzlerin müsse dies zur Chefsache machen. EED-Vorstand Claudia Warning: „Wenn wir ernsthaft ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen ermöglichen wollen, darf die Politik in Deutschland und Europa nicht länger allein unser Wirtschaftswachstum und unsere Wettbewerbsfähigkeit an die erste Stelle setzen. Das ist kurzfristiges Denken und wird auf Dauer uns allen schaden.“

Das magere Ergebnis von Rio liefert aus Sicht der Hilfswerke jedoch keinen Anlass zur Entmutigung. „Was die große Weltpolitik nicht schafft, entsteht bereits an der Basis. Die Gesellschaft muss weiterhin Druck ausüben, damit die Politik sich bewegt. Energiewende in Deutschland, das Erreichen der Millenniumsziele und der Kampf gegen globale Ungerechtigkeit – das sind Aufgaben, die wir nicht einfach liegen lassen werden, nur weil die globale Konferenzdiplomatie wieder einmal auf der Stelle tritt“, sagte Warning.

FEHLENDER POLITISCHER WILLE

„Den Staats- und Regierungschefs fehlte offenbar der Wille, den sozialen und ökologischen Herausforderungen weltweit zu begegnen und umzusteuern. Schon vor Beginn des Gipfels haben die Staaten aufgegeben und sich auf eine Abschlusserklärung mit wenig Substanz geeinigt. Das ist ein vorläufiger Tiefpunkt der weltweiten Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz“, erklärte Misereor-Bischof Werner Thissen.

Die Verhandlungen zum Rio+20-Gipfel hätten sich durch eine Blockadehaltung der Staaten entlang längst überwunden geglaubter Nord-Süd-Linien ausgezeichnet. „In den Vorab-Verhandlungen wurde monatelang über das Konzept der ‚Green Economy‘ diskutiert. Gleichzeitig wurde keine einzige Initiative im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit hervorgebracht. Im Abschlussdokument findet sich unter dem Abschnitt ‚Armutsbekämpfung‘ nicht viel mehr als der Hinweis auf anhaltendes Wachstum. Wie aber Wachstum besonders den Menschen, die in Armut leben, dienen und zugleich auch die Grenzen des Planeten respektieren kann, bleibt völlig offen“, so Thissen. Nicht einmal die vermeintlichen Erfolgsprojekte der Vorverhandlungen, wie der Beschluss zu konkreten Maßnahmen zum Schutz von Ozeanen oder die signifikante Reduzierung von Subventionen für Öl, Kohle oder Gas, seien gerettet worden.

Das internationale Kinderhilfswerk World Vision kritisierte, die Konferenz habe sich nur auf eine Absichtserklärung zur Armutsreduzierung einigen können. „Der Erkenntnis von Rio, dass ohne Armutsreduzierung keine nachhaltige Entwicklung möglich ist, müssen jetzt umgehend mutige Maßnahmen folgen“, erklärte der World Vision Experte für internationale Beziehungen, Chris Derksen Hiebert. Bis zum Erreichen der Milleniumziele blieben nur noch drei Jahre und im Bereich Mütter- und Kindersterblichkeit sei die internationale Staatengemeinschaft noch weit von ihren selbstgesteckten Zielen entfernt.

Hiebert sieht in der Abschlusserklärung von Rio dennoch eine Möglichkeit für eine Wende in der internationalen Politik: „Wenn wir die Ergebnisse von Rio als Startpunkt nehmen, um konkrete Ziele zu vereinbaren und diese dann auch erreichen, dann können wir vielleicht in 20 Jahren sagen, dass Rio+20 der Startschuss für einen wirklichen Wechsel war.“

HEISSE LUFT PRODUZIERT

„Angesichts der katastrophalen Folgen, die Klimawandel und Umweltzerstörung schon heute für die ärmsten Länder haben, kann es sich die Weltgemeinschaft absolut nicht leisten, auf solch einem globalen Gipfel wieder nur heiße Luft zu produzieren“, sagte die stellvertretende Generalsekretärin von CARE Deutschland-Luxemburg, Karin Kortmann. Während für die Finanzkrise und den Euro-Rettungsschirm Milliardenhilfen bereitgestellt würden, ringe man bei Umwelt- und Entwicklungsthemen um jede Stelle hinter dem Komma.

Kortmann wies außerdem auf die häufig übersehene Rolle von Frauen für eine nachhaltige Entwicklung hin: „Nicht nur die materiellen Politikfelder wie Energie und Nahrung, auch das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist zentral“, betonte Kortmann. „Solange über die Hälfte der Weltbevölkerung kaum Landrechte und politische Mitsprache erhält, drehen wir uns im Kreis.“

„Die Einigung von Rio ist ein Arbeitsauftrag. Vieles muss konkretisiert und in handlungsorientierte Maßnahmen übersetzt werden“, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) in Rio. „Das gilt insbesondere für den Prozess, die Millenniumsziele nach 2015 um Nachhaltigkeitsziele zu ergänzen. Wir haben nicht viel Zeit, erfolgreich ein einheitliches und kohärentes Zielsystem mit überprüfbaren Indikatoren zu entwickeln.“

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