bonner aufruf 100Bonn. - Was ist in Bangladesch ein gerechter Lohn? Können wir ihn ins Verhältnis zu unseren Löhnen setzen? Wenn nicht, wozu dann? Können wir einen gerechten Lohn für ein Entwicklungsland bestimmen? Und sollten wir als Handelspartner ihn durchsetzen? Auf welche Weise? Oder könnte es sein, dass das, was uns als Hungerlohn erscheint, entwicklungsökonomisch sinnvoll ist? Diese Fragen stellt die Gruppe Bonner Aufruf und fordert im EZ-Forum zur Diskussion darüber auf.

Minister Müller (BMZ) kritisiert seit Monaten, wie er sagt, die Ausbeutung von Arbeitern in Entwicklungsländern, die oft unter menschenverachtenden Bedingungen und für Tiefstlöhne Waren herstellten, die bei uns zu Schleuderpreisen verkauft werden. Als Beispiele nennt er Näherinnen in Bangladesch, die für einen Stundenlohn von fünf Cent sechzehn Stunden täglich T-Shirts herstellten. Während weitgehend Übereinstimmung darüber besteht, dass Arbeitsbedingungen Gesundheit und Leben nicht gefährden dürfen, ist das Thema "Lohnhöhe" laut Bonner Aufruf umstritten.

Volker Seitz, Botschafter a.D. erklärte, es verstehe sich von selbst, dass sich Arbeitsbedingungen und Löhne verbessern müssen. Aber er stimmt dem bangladeschischen Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus zu, der meinte "die Arbeit in den Textilfabriken, wenn auch hart und unterbezahlt, sei ein fantastischer Beitrag zur Befreiung der Frauen. Von den viereinhalb Millionen Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie seien drei Millionen Mädchen; die Arbeit gebe ihnen die Chance, aus absoluter Armut aufzusteigen. Sie hätten ihre Dörfer verlassen und leben nun in der Stadt. Ihren Familien schicken sie Geld. Es sei eine soziale Transformation."

Abgesehen davon, ob die Löhne fair sind oder nicht, meinte die Journalistin Marie-Roger Biloa dazu, dass die "gutmeinenden Politiker aus wohlhabenden Ländern" sich nicht in die Lohnhöhe in Entwicklungsländern einmisschen dürfen. Der globale Norden sollte stattdessen mehr Arbeitsplätze durch Investitionen schaffen und Anstöße für eine messbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen geben.

Eine Gegenstimme kam von Ute Koczy, MdB a.D. und ehemalige entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen. Sie sagte über das Besipiel aus Bangladesh: "Das ist eindeutig zu wenig und die Arbeitszeit zu lang. Auch in Bangladesch ist dies kein Lohn, von dem eine Frau unabhängig leben und ihre Kinder und Familie ausreichend unterstützen kann. Auch wird mit solch einem Lohn die Spirale der Armut nicht gestoppt." Die Frage sei, wer wirklich von der Gewinnspanne bis zum Verkauf des T-Shirts profitiert. Die Näherin werde es nicht sein. Als Entwicklungspolitikerin sieht Koczy die Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass diese Frau mehr Geld zur Verfügung hat. Selbstverständlich müsse dies zusammen mit den Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft und den Initiativen vor Ort geschehen, die deutlich sagen, was gebraucht werde.

Mitdiskutieren können Sie hier: Hungerlohn oder Entwicklungsimpuls?

Die Mitglieder des Bonner Aufrufs gehören nach eigenen Angaben zu der – sowohl im "Norden" als auch in Afrika selbst – wachsenden Zahl von Kritikern, die meinen, dass es mit der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika so wie bisher nicht weitergehen könne und dass die öffentliche Diskussion in diesem Sinne stärker angestoßen werden müsse.

epo.de berichtete zuvor über den "Bonner Appell": Entwicklungshilfe nur noch als Kredit, "Bonner Aufruf Plus" und die Kritik am "Bonner Aufruf".


Quelle: bonner-aufruf.eu


Back to Top

Wir nutzen ausschließlich technisch notwendige Cookies auf unserer Website.