Douala. - Nur noch 24 Stunden verbleiben bis zur Hochzeit von Glawdys und Olivier in der zentralafrikanischen Wirtschaftsmetropole Douala. Das Brautpaar ist hinreichend beschäftigt mit den letzten Vorbereitungen für den großen Tag. Mag die Welt um sie herum verrückt spielen, im Nahen Osten, in der Ukraine, im Irak - sie haben Wichtigeres zu tun. Am Freitag steht die standesamtliche Trauung an. Die Hochzeit nach traditionellen Riten am Samstag beginnt schon kurz nach Sonnenaufgang und wird bis in die tiefe Nacht hinein dauern. Aus Douala berichtet Klaus Boldt.
"Suche das Glück nicht weit - es liegt in der Häuslichkeit!" Diesen Sinnspruch hatte meine Mutter - in die Form eines Emaille-Schildes gegossen - in unserer Küche aufgehängt. Das Schild überlebte den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg, die Kubakrise, den Vietnamkrieg, die beiden Golfkriege und unzählige familiäre Krisen und Konflikte. Olivier und Glawdys haben die Welt um sie herum nicht vergessen, nur ausgeblendet. Wie den Normalbürgern in Deutschland ist auch den Kamerunern klar, dass sie permanent ausgespäht und überwacht werden. Die NSA-Skandale haben auch Afrika erreicht. In Kamerun seien mehrere Personen deshalb inhaftiert worden, erzählt Olivier.
Während diese Zeilen aus der Tastatur fließen, rekapituliere ich den Flug von Berlin via Brüssel nach Douala. Mehr als ein halbes Dutzend mal wurden wir wie Terroristen behandelt, nach Reiseziel, Gepäck und Pässen gefragt, mussten wir Tickets und Bordkarten vorzeigen. "Die NSA hat bereits alle Daten", nützt als Antwort nichts, die Kontrollitis hat alle Bereiche der Tourismus-Industrie durchdrungen. Jeder hält das wiederholte mentale und physische Abtasten des Fluggastes für völlig normal.
Es ist meine erste Flugreise nach 13 Jahren Abstinenz. Zuletzt war ich im Jahr 2000 in Äthiopien gewesen. Vor dem 11. September 2001. Mit fällt auf, wie viele neue Befugnisse die Bundespolizei seither erhalten hat. Am Schalter der "Brussels Airline" wird eine junge Mutter gecheckt, weil ihr Kind nicht ihren, sondern den Nachnamen des Vaters hat. Verdacht auf Kindesentführung. Früher hätte das Einwohnermeldeamt konsultiert werden müssen. Heute genügt ein Anruf der Fluggesellschaft bei der Bundespolizei. Innerhalb weniger Minuten ist die Person identifiziert und die Mutterschaft bestätigt.
Auch die Leibesvisitation fällt wesentlich strenger aus als früher. Die Sicherheitsbeamten sind schon fast arrogant, sie wissen, dass sie Macht über Menschen besitzen und ihnen den Tag versauen können, wenn sie wollen. Der Polizeibeamte am Gate 69 in Brüssel kontrolliert den Pass, will aber auch das Ticket sehen. Ich frage ihn, ob er bei der Fluggesellschaft angestellt ist. "That's not your business!" Seit 9/11 sind wir wieder Untertanen. Zumindest darin ist sich die Europäische Gemeinschaft einig.
Angst ist das wichtigste Produkt dieses Systems. Sie dient der Erpressung. Angst vor Attentaten, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor der drohenden Altersarmut, vor dem Strafzettel fürs Falschparken. Vor dem Versagen als treu-sorgende Ehefrau, Managerin und Geliebter in Personalunion. Angst vor dem Versagen als Frauenversteher, Macho-Lover und jung-dynamischer Abteilungsleiter. Angst vor der Tatsache, es wohl als einziger Deutscher niemals in die Sendung "Deutschland sucht den Superstar" zu schaffen!
FAKTEN SPIELEN KEINE ROLLE
Die irrationale Angst vor Terroranschlägen missachtet die Fakten. Die Zahl der Selbstmorde, Verkehrstoten und Opfer von Amokläufen durchgeknallter Schüler übertrifft die Zahl der Terroropfer um ein Zigtausendfaches. Ganz zu schweigen von den 15.000 Kindern, die jeden Tag irgendwo auf der Welt an Hunger sterben. Die Terror-Angst ist allenfalls mit dem Lotto-Spielen vergleichbar: Die Chancen auf den Haupttreffer stehen bei 0,00000071511 Prozent - aber wir glauben an sie und spielen mit.
Die wahren Terroristen sitzen in den Vorstandsetagen von Banken und Versicherungen und in den Aufsichtsräten von Konzernen und Hedgefonds. Ihre Lobbyisten schreiben unsere Gesetze. Sie schreiben uns vor, biometrische Pässe bei uns zu tragen, checken unsere Banktransfers und verfolgen uns über die GPS-Daten unserer Mobiltelefone. Ihre Agenten und "Sicherheitsdienste" lesen unsere E-Mails mit, zapfen die Glasfasernetze und Internet-Knotenpunkte an und analysieren unsere banalen Postings in sozialen Medien. Sie überwachen unser Nutzerverhalten mit "Cookies", um uns zu hirnlosen Konsumenten zu degradieren. Sie verfügen über immensen Reichtum und es ist ihnen egal, dass jeden Tag 15.000 Kinder verhungern.
Ihre PR-Agenturen und ihre Mediensklaven suggerieren uns, es gehe um die Verbreitung von Freiheit und Demokratie, wenn ihre Söldner-Armeen ölreiche "Schurkenstaaten" wie den Irak überfallen und zu "failed states" machen. Sie predigen uns permanentes Wachstum, während wir zu braven Verbrauchern schrumpfen. Ihr wichtigsten Machtinstrumente sind der durch die Werbung befeuerte Konsumterror und die Unterhaltungsindustrie.
BROT UND SPIELE
Jahrzehnte der "Liberalisierung" der Wirtschaft und der Globalisierung des Geldes, der Güter und Dienstleistungen haben vor allem eines gebracht: Die Reichen sind noch reicher und die Armen noch ärmer geworden. Die Staaten sind bei Banken und anderen privaten Investoren hoch verschuldet. Damit die Banken nicht pleite gehen, müssen die Steuerzahler den Gürtel enger schnallen und den Kapitalbesitzern mit "Rettungspaketen" unter die Arme greifen. Damit das Heer der Arbeitslosen und Verarmten nicht protestiert, müssen die Steuerzahler ihm mit "Hartz IV" unter die Arme greifen. Damit die Steuerzahler dagegen nicht protestieren, folgen auf TV-Highlights wie "Dschungelcamp" Fußballweltmeisterschaften, die Tour de France oder Olympische Spiele. Brot und Spiele eben, wie im Alten Rom.
Glawdys und Olivier lassen diese Vorgänge relativ kalt, denn sie vollenden am Samstag ihr privates Glück. Die Hochzeit, die dafür notwendigen Einkäufe und Vorbereitungen und die nach und nach eintreffenden Verwandten nehmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Olivier hat sich fast die ganze Woche vor der Hochzeit freigenommen. Als er am letzten Arbeitstag gegen 19:00 Uhr müde nach Hause kommt, wird er sofort von der kleinen Inaya angesprungen.
KINDER BEKOMMEN "KINDER"
Die Familie steht bei den Duala im Mittelpunkt - wie überall in Afrika. Dem Mitteleuropäer fallen noch andere Unterschiede auf. Die Menschen hier brauchen anscheinend keine Drogen. Kamerun produziert sehr guten Kaffee, doch kaum jemand in der unteren Mittelschicht trinkt ihn. Fast niemand raucht. Alkohol wird, falls überhaupt, nur in Maßen genossen, in größeren Mengen nur bei besonderen Anlässen. Kinder erhalten weniger Süßigkeiten als bei uns, aber wenn man Einkaufen geht, bekommen sie "Kinder". So nennen die Kameruner die Überraschungseier mit "Kinderschokolade", die es auch bei uns in Deutschland zu kaufen gibt.
Wilfried, ein Kameruner, dessen Vater für deutsche Unternehmen gearbeitet und deshalb ein Faible für deutsche Vornamen hat, raucht ausnahmsweise. Weil schon sein Vater geraucht hat. Ich treffe ihn im Stadtteil Akwa, dem wirtschaftlichen Zentrum Doualas. Moped-Taxis und teure Geländewagen rauschen vorbei. In den Bars sitzt die obere Mittelschicht, vor den teureren Restaurants warten Chauffeure in glänzenden Limousinen auf ihre goldgeschmückten Brötchengeber. Douala liegt auf der Skala der teuersten Städte der Welt immerhin auf Platz 26 (2010).
Unsere afrikanischen Freunde gehen bei uns Deutschen nicht zu unrecht davon aus, dass wir zu jeder Tages- und Nachtzeit Kaffee oder Bier konsumieren müssen, um "nicht nervös" zu werden. Nicht anders Serge, der Chef des staatlichen TV- und Rundfunksenders CRTV in der Provinz Littoral, zu der Douala gehört. Er lädt uns zum Mittagessen ein und organisiert nebenbei unser Besuchsprogramm. Einige schnelle Telefonate, und wir haben die Kontakte, die wir für unsere Recherchen benötigen.
Fotos © Entwicklungspolitik Online 2014
-> Dossier Kamerun: Folge 1: Danke Afrika! Was der "reiche" Westen von den "armen" Afrikanern lernen kann
In der nächsten Folge: Auch ohne Not noch analog: Kamerun vor der digitalen Zeitenwende +++ Wie Glawdys und Olivier heiraten +++ Wie Afrika mit modernen Technologien umgeht +++