Nildelta - Foto NASA1.780 Meter lang und 145 Meter hoch soll der "Große Renaissance Damm" werden, mit dem Äthiopien den Nil aufstauen und seine Elektrizitätserzeugung sprunghaft erhöhen will. Das Stichwort "Renaissance" steht für die "afrikanische Renaissance", den Wiederaufstieg Afrikas, den die Präsidenten afrikanischer Staaten seit einigen Jahren propagieren. Das Kraftwerk mit Kosten von mehr als viereinhalb Milliarden US-Dollar soll 6.000 Megawatt Elektrizität erzeugen, so viel wie sechs Atomkraftwerke, und das Land in eine blühende wirtschaftliche Zukunft führen.

Das Bauwerk in der Grenzregion zum Sudan wird der größte Staudamm Afrikas werden. Seit 2011 wird gebaut, und vor einigen Wochen kündigte die Regierung an, dass nun der Nil vorübergehend umgeleitet werde, um die Staumauer fertigzustellen zu können.

Der Blaue Nil, der in Äthiopien entspringt, trägt etwa 85 Prozent zu dem gewaltigen Strom bei, der im Sudan am Zusammenfluss mit dem Weißen Nil entsteht, welcher vom Viktoriasee her kommt. Berücksichtigt man die Nebenflüsse, gehören fast ein Dutzend Staaten zum Flusseinzugsgebiet des Nil, und alle benötigen immer mehr Wasser, um die Bevölkerung, die Landwirtschaft und Industrie zu versorgen. An Afrikas längstem Fluss zeigen sich deshalb in aller Schärfe die globalen Konflikte um das immer knapper gewordene Wasser.

Die äthiopische Regierung arbeitet seit einigen Jahren systematisch daran, den eigenen steigenden Elektrizitätsbedarf zu decken und gleichzeitig zum größten Stromexporteur des afrikanischen Kontinents zu werden. Dabei setzt die Regierung vor allem auf das bisher nicht genutzte Wasserkraftpotenzial des Landes. Neben dem Großen Renaissance Damm befindet sich das Kraftwerk Giga III am Omo-Fluss im Bau, der in Äthiopien entspringt und im Turkanasee in Kenia mündet. Die Auswirkungen dieses Staudammprojektes auf die indigene Bevölkerung und auf den Wasserspiegel des Turkanasees sind nach Einschätzung von Menschenrechts- und Ökologieorganisationen verheerend.

Auch am gewaltigen Staudamm am Nil gibt es vielfältige Kritik, so am Umgang der Regierenden mit den Menschen, die für die Flutung des Stausees weichen müssen. Da auch Organisationen wie die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank inzwischen Ökologie- und Menschenrechtsfragen wie die frühzeitige Beteiligung der lokalen Bevölkerung ernst nehmen, verzichtet die äthiopische Regierung bewusst auf deren Mitfinanzierung ihrer großen Staudammprojekte. Chinesische Geldgeber beharren nicht auf eindeutigen Umwelt- und Menschenrechtsmaßstäben und sind deshalb für die Finanzierung und den Bau solcher Vorhaben willkommen. Außerdem wird möglichst viel lokales Kapital investiert. Leichter fällt es, ausländisches Kapital für den Bau leistungsstarker Überlandleitungen zu gewinnen, die die Elektrizität in die Nachbarländer transportieren sollen.

ENTSCHLOSSENES VORGEHEN DER ÄTHIOPISCHEN REGIERUNG

Während beim Staudamm Giga III die kenianische Regierung durch einen Vertrag über die Lieferung von Elektrizität einbezogen werden konnte, war abzusehen, dass Ägypten unversöhnlich auf den Bau des Großen Renaissance Damms reagieren würde. Schon in der Vergangenheit hatten ägyptische Regierungen mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht, falls Äthiopien am Nil eigene Staudämme errichten würde. Jetzt ist allerdings das militärische und politische Gewicht Ägyptens durch die innenpolitischen Konflikte geschwächt, und es gibt den Vorwurf, Äthiopien habe diese Situation ausgenutzt. Es sei kein Zufall, dass mit dem Bau des Staudamms einige Wochen nach dem Sturz Mubaraks begonnen wurde. Es geht in dem Konflikt auch um die Frage des politischen und wirtschaftlichen Gewichts der beiden bevölkerungsreichsten Länder in Nordostafrika.

Äthiopien verlässt sich darauf, dass die ägyptische Luftwaffe keine Kapazitäten besitzt, um Kampfjets in der Luft aufzutanken. Sie erreichen das Gebiet des Staudamms also nicht und dies noch weniger, als nicht zu erwarten ist, dass der Sudan die Überflugrechte für eine solche Aktion erteilen würde. Die Angriffsdrohungen aus Kairo sind für die äthiopische Regierung aber insofern willkommen, als ein außenpolitischer Feind die Position der durchaus unbeliebten Regierung im Lande selbst festigen kann.

Andererseits kann Äthiopien keinen uneingeschränkten Konfrontationskurs riskieren, weil der Staatshaushalt und zahlreiche Entwicklungsvorhaben von Geldern aus westlichen Ländern abhängen, bei denen das Regime ohnehin nicht geschätzt wird. Die US-Regierung und viele andere westliche Regierungen wie die Bundesregierung beharren aber darauf, dass Konflikte um das Wasser großer Flüsse wie des Nil einvernehmlich geregelt werden müssen. Deshalb unterstützen sie politisch und finanziell die "Nil Basin Initiative", die eine von allen Anrainerstaaten abgestimmte Nutzung des Flusses und seines Wassers zum Ziel hat.

Daher hat sich die äthiopische Regierung in den letzten Wochen versöhnlich bei Gesprächen mit Ägypten gezeigt, ohne allerdings den Bau des Staudamms selbst in irgendeiner Weise zur Disposition zu stellen. Betont wird besonders, dass Äthiopien nicht die Absicht habe, das aufgestaute Wasser für den Ausbau der heimischen Bewässerungslandwirtschaft zu nutzen. Wenn allerdings von äthiopischer Seite behauptet wird, dass durch das Staudammprojekt die Wassermenge nicht vermindert werde, die in Ägypten ankommt, wird bewusst ignoriert, dass im Stausee große Mengen Wasser verdunsten werden.

DIE ANSPRÜCHE ÄGYPTENS AUF DAS WASSER DES NILS

Ägypten hängt zu weit mehr als 90 Prozent seines Wasserbedarfs für Haushalte, Landwirtschaft und Industrie vom Nil ab. Vor allem als Folge des raschen Bevölkerungswachstums, der Ausweitung der Bewässerungslandwirtschaft und des hohen städtischen Verbrauchs nimmt der Wasserbedarf des Landes ständig zu. Ägyptens Existenz hängt mehr denn je am Nil, und so beruft sich die Regierung auf historische Ansprüche auf das Wasser des Flusses, den Präsident Mursi gern als "Gottes Geschenk an Ägypten" bezeichnet.

Außerdem verweist die Regierung auf zwei Verträge aus den Jahren 1922 und 1959, die Ägypten und dem Nachbarland Sudan den Anspruch auf fast die gesamte Wassermenge des Nils zusprechen. Allerdings wurden die anderen Anrainerstaaten des Blauen und Weißen Nil damals nicht in die Vertragsverhandlungen einbezogen und erkennen die Verträge nicht an. Auch sie wollen Nilwasser nutzen, um akuten Wassermangel zu beheben.

Einzugsgebiet des Nil

Aber auch ohne den Wasserbedarf der anderen zehn Anrainerstaaten des Nil erscheint eine Begrenzung des ägyptischen Wasserverbrauchs unverzichtbar. Allerdings sind Maßnahmen wie eine wirksame Bevölkerungspolitik aus sozialen und religiösen Gründen schwer durchsetzbar, und die Verwandlung von Wüstenfläche in Gemüse- und Obstanbauflächen ist ein politisches Prestigeprojekt. Andere Maßnahmen wie eine Erneuerung des Wasserleitungsnetzes zur Vermeidung von Leckagen und der Bau eines effizienten Abwassersystems zur Wiedergewinnung von Brauchwasser kommen nur langsam voran.

Da erscheint es einfacher, den Zorn der Bevölkerung auf ein Land wie Äthiopien zu lenken. Dabei könnte auch eine Rolle spielen, dass die ägyptische politische Führung um Präsident Mursi in der Bevölkerung viel Unterstützung verloren hat. Der Konflikt mit Äthiopien bietet die willkommene Gelegenheit, patriotische Gefühle zu wecken und zu versuchen, die ganze Bevölkerung hinter der Regierung zu sammeln. Präsident Mursi verkündete: "Wir wollen keinen Krieg, aber lassen uns alle Optionen offen." Und martialisch erklärte er über das Wasser des Nil: "Wenn ein Tropfen verschwindet, dann ist unser Blut die Alternative."

DIE DROHENDE ISOLIERUNG ÄGYPTENS

Die ägyptische Verhandlungsposition hat sich allerdings dramatisch  verschlechtert, nachdem ein Treffen von Präsident Mursi mit einem kleinen Kreis von Politikern aus Regierungs- und Oppositionsparteien zum äthiopischen Staudammvorhaben live im Fernsehen übertragen wurde, ohne dass den Beteiligten dies bewusst war. So stellten sie unbefangen ihre Positionen dar, und die zeugten von einem erschreckenden Ausmaß von Vorurteilen und Überheblichkeit gegenüber schwarzafrikanischen Staaten in der Region und offener Gewaltbereitschaft. Ein Vertreter der Salafisten-Partei plädierte dafür, notfalls müsse der ägyptische Geheimdienst eben den Damm sprengen. Der Vertreter einer liberalen Partei wies vor laufender Kamera darauf hin, dass Äthiopien aus vielen Stämmen bestehe, und Mursi wisse ja, "dass man in Afrika jeden kaufen kann". Der Vertreter einer anderen liberalen Partei bezeichnete die Äthiopier als "widerlich" und empfahl, mit einem Luftangriff zu drohen.

Als die Inhalte der Fernsehsendung bekannt wurden, löste dies nicht nur in Äthiopien Zorn aus, sondern zum Beispiel auch beim ugandischen Präsidenten Museveni. In einem Rundfunkinterview erklärte er. "Niemand in Afrika will Ägypten verletzen, aber Ägypten kann nicht weiterhin Schwarzafrika verletzen."

Nicht nur die schwarzafrikanischen Nil-Anrainer sind auf Distanz zu Ägypten gegangen, sondern auch der Nachbarstaat Sudan. Die Regierung hat deutlich gemacht, dass sie keine Bedenken gegen das äthiopische Staudammprojekt hat. Auch gibt es Berichte, nach denen der Sudan einen Teil der erzeugten Elektrizität abnehmen wird. Die Mehrzahl der Nil-Anrainer will die Nutzung des Wassers des Flusses auf eine neue gleichberechtigte Grundlage stellen und hat deshalb 2010 das "Entebbe-Abkommen" abgeschlossen, das am 13. Juni 2013 demonstrativ vom äthiopischen Parlament ratifiziert wurde.

MÜHEVOLLER WEG ZU EINER EINVERNEHMLICHEN KONFLIKTLÖSUNG

Trotz allen Säbelrasselns der Konfliktparteien ist durchaus ein Weg zur einvernehmlichen Nutzung des Wassers des Nils möglich, der auch die anderen Anrainerstaaten einbezieht. Unverzichtbar ist dafür die Einsicht aller, dass eine Übernutzung des Nils bereits begonnen hat und in den nächsten Jahrzehnten dramatische Folgen haben kann. Dies ist um so mehr der Fall, als der Klimawandel voraussichtlich dazu führen wird, dass die Niederschläge im Einzugsbereich des Flusses weiter abnehmen.

Von daher gibt es keinen anderen Weg, als dass alle Anrainerstaaten sich in ihrer Landwirtschafts-, Energie- und Wasserpolitik darauf einstellen, dass weniger von dem kostbaren Nass verfügbar sein wird. In allen Ländern müssen wassersparende Formen der Bewässerungslandwirtschaft eingeführt werden und dies besonders in Ägypten mit seinen ausgedehnten bewässerten Flächen. Gleichzeitig gilt es, den Regenfeldbau zu stärken. Unverzichtbar ist auch der weitgehende Verzicht auf den Anbau von Pflanzen, die zum Wachstum sehr viel Wasser benötigen. Ähnliche wassersparende Maßnahmen sind auch in vielen anderen Bereichen erforderlich. Kreislaufsysteme in der Industrie und die radikale Verminderung von Verlusten durch Leckagen im Trinkwasserleitungssystem sind unverzichtbar. Die Addition vieler solcher Maßnahmen kann den Wasserstress in der Region deutlich vermindern.

Beim Großen Renaissance Damm zeichnen sich auch bereits Kompromisslinien ab. Vor allem wird sich Äthiopien bereit erklären müssen, das Füllen des Stausees über einen längeren Zeitraum zu strecken. Wenn der See wie bisher geplant innerhalb von drei bis fünf Jahren aufgestaut wird, bedeutet das für Ägypten, dass dort in dieser Zeit etwa ein Viertel weniger Nilwasser ankommen wird. Das hätte gravierende ökologische und wirtschaftliche Folgen. Außerdem müssen bei diesem und anderen Wasserbauvorhaben am Nil endlich verbindliche Umwelt- und Menschenrechtsmaßstäbe eingehalten werden, nicht zuletzt bei der Umsiedlung von Menschen aus dem Gebiet des zukünftigen Stausees.

Und schließlich gilt es – nicht nur in Afrika – Abschied zu nehmen von dem Mythos, dass mit großen Staudämmen immer oder auch nur in den meisten Fällen "grüne", umweltfreundliche Energie erzeugt wird. Wenn Lobbyisten aus der Staudamm-Industrie darauf verweisen, nur sieben Prozent des Potenzials für die Erzeugung von Energie mit Wasserkraftwerken seien in Afrika ausgeschöpft, lässt dies Schlimmes befürchten.

Der Große Renaissance Damm ist vermutlich nicht mehr zu stoppen, aber er muss Anlass sein, in Afrika neu über Energieerzeugung und Wassernutzung nachzudenken. Am Nil führt die Addition aller geplanten und im Bau befindlichen Wasserbauprojekte in die Sackgasse. Lori Pottinger von der Menschenrechts- und Umweltorganisation "International Rivers Network" stellt zu Recht fest: "All diese konkurrierenden Projekte, verbunden mit einer Dosis Klimawandel, würden die bereits überstrapazierten Wasserressourcen der Region auf eine Katastrophe hinführen."

Frank Kürschner-Pelkmann arbeitet als freier Journalist und betreibt u.a. die Website www.wasser-und-mehr.de.

 


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