medikamentenfakes irin david hecht 150Hamburg. - Der Sabon Markt in der 9-Millionen-Stadt Kano im Norden Nigerias ist das Zentrum eines florierenden Geschäfts mit Medikamenten. Dass ein großer Teil dieses lukrativen Handels mit gefälschten Medikamenten getätigt wird, war schon länger bekannt. Aber erst am 31. Dezember letzten Jahres fanden die "National Agency for Food and Drug Administration and Control" (NAFDAC) und die Verwaltung von Kano den Mut, gegen die Händler vorzugehen. Etwa 650 Händler wurden gezwungen, ihre Stände abzubauen und ihre Geschäfte einzustellen, berichtete die UN-Nachrichtenagentur für humanitäre Nachrichten und Analysen IRIN.

Nigeria ist vermutlich der weltweit größte Absatzmarkt für gefälschte Medikamente. Vor allem Antibiotika und Antimalariamittel werden gefälscht. Auf dem Sabon-Markt und anderen Märkten in Nigeria sind bisher riesige Mengen Medikamente verkauft worden, die weder auf ihre Inhaltsstoffe kontrolliert noch auf Rezept ausgegeben werden. Niemand weiß, was die bunten Tabletten und Kugeln wirklich enthalten und welche Risiken für die Gesundheit von ihnen ausgehen.

Etwa die Hälfte aller in Nigeria verkauften Medikamente stammt aus Indien und China. Neben wirksamen Medikamenten schleusen zahlreiche einheimische Händler auch große Mengen importierter gefälschter Produkte auf die Märkte zwischen Lagos und Kano. Außerdem gibt es kleine Hinterhofbetriebe im Lande selbst, die auf wundersame Weise aus Sägemehl, Wasser und Farbstoff angeblich wirksame Arzneimittel herstellen. Glück haben noch jene Käufer, die nur harmloses Backpulver schlucken und nicht einen Cocktail giftiger und manchmal lebensgefährlicher Stoffe.

Ibrahim Bashir, der eine Apotheke in Kano betreibt, betonte gegenüber IRIN, dass die Produzenten und Anbieter wirksamer Medikamente es in Nordnigeria schwer haben, wirtschaftlich zu überleben, weil die gefälschten Medikamente sehr viel preiswerter angeboten werden. Nun wird von allen, die in Kano mit Medikamenten handeln, verlangt, dass sie ihr Gewerbe anmelden und ein Ladengeschäft eröffnen, also nicht mehr auf Märkten unter freiem Himmel ihre Medikamente feilbieten. Dagegen klagt ein Zusammenschluss der nigerianischen Medikamentenhändler. Angeblich gäbe es nur einige wenige "schlechte Äpfel" unter den Händlern, die nicht als ganze Gruppe hierfür bestraft werden dürften. Der Rechtsstreit dauert an, und es geht dabei für die Händler um viel Geld und für viele Patienten um ihre Gesundheit.

EIN GESCHÄFT, FÜR DAS VOR ALLEM SKRUPELLOSIGKEIT ERFORDERLICH IST

Für die Fälschung von Medikamenten benötigt man lediglich den Zugang zu einem kleinen Labor, einige Kenntnisse für die Herstellung von echt aussehenden Pillen und Pasten sowie ein beträchtliches Maß an Skrupellosigkeit. Wie viele Menschen jedes Jahr als Folge von Medikamentenfälschungen sterben, ist unbekannt, lässt sich nicht einmal grob schätzen. Viele gefälschte Produkte haben wegen ihrer giftigen Inhaltsstoffe oder wegen falscher Dosierungen der angegebenen Inhaltsstoffe eine tödliche Wirkung. Unvergessen ist in Nigeria, dass dort 1990 etwa 100 Kinder an einem gefälschten Hustensaft gestorben sind, der ein giftiges Lösungsmittel enthielt.

Es sterben aber auch viele Menschen, weil sie nicht die dringend benötigten Medikamente gegen Malaria oder Tuberkulose erhalten, sondern nur Kreide oder ähnliche Substanzen. Dass weltweit jedes dritte Malariamedikament gefälscht ist, lässt ahnen, wie viele schwerkranke Menschen aufgrund skrupelloser Geschäfte vergeblich auf Hilfe hoffen. Albert Petersen, Leiter der Arzneimittelhilfe des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission, betont: "Wenn die Tabletten wenige oder gar keine Wirkstoffe enthalten, kann ihre Einnahme tödliche Konsequenzen haben."

Jedes Jahr wird mit illegalen Medikamenten ein weltweiter Umsatz von etwa 75 Milliarden Euro erzielt, aber das ist nur eine grobe Schätzung. Diese kriminellen Aktivitäten sollen inzwischen so profitabel wie der Drogenhandel sein und dabei viel risikoärmer. Weltweit ist mittlerweile jedes zehnte Arzneimittel gefälscht, in manchen Entwicklungsländern soll es annähernd jedes dritte sein. Solche Mengen lassen sich nicht ausschließlich in kleinen Familienbetrieben in dunklen Hinterhöfen produzieren, sondern dafür werden auch hochmoderne Fabriken rund um den Globus genutzt. In manchen Fabriken werden tagsüber ganz legal Arzneimittel produziert, während nachts die Maschinen für die Fälschungen auf Hochtouren laufen. Man spart nicht nur Lizenzgebühren, sondern oft auch die Kosten für Wirkstoffe.

medikamentenfakes irin david hecht 550
Foto: © David Hecht / IRIN

In manchen Fällen wird große Aufmerksamkeit auf eine Verpackung gelegt, die möglichst echt aussehen soll, selbst Hologramme und Echtheitszertifikate werden aufwendig gefälscht. Solche Mühe macht man sich für die gefälschten Medikamente für die Märkte in Nigeria nicht, wo die Tabletten lose angeboten werden, billige Ramschware, aber nicht weniger gefährlich als teure Fälschungen. Abgesetzt wird die meiste Ware in Afrika, Asien und Lateinamerika, wo importierte Arzneimittel seltener geprüft werden und illegale Einfuhren leichter zu organisieren sind. In den letzten Jahren hat sich zusätzlich ein florierender Internet-Handel mit gefälschten Medikamenten entwickelt, u.a. für das Potenzmittel "Viagra".

DEN TÄTERN AUF DER SPUR, JEDENFALLS GELEGENTLICH

Bisher gehört China zu den wichtigsten Produzentenländern gefälschter Medikamente, aber im August 2012 wurden bei einer landesweiten Razzia mehr als 1.000 Produktionsstätten zerstört, 2.000 Verdächtige verhaftet und Produkte im Wert von 180 Millionen Dollar beschlagnahmt. In Afrika ist eine systematische Verfolgung der Arzneimittelkriminalität bisher kaum möglich. So erleichtern fehlende Kontrollen an den Tausende Kilometer langen Grenzen den illegalen Import der gefälschten Ware.

Die Weltzollorganisation mit Sitz in Brüssel konnte im Juli 2012 immerhin gemeinsam mit 16 afrikanischen Staaten einen koordinierten Schlag gegen die kriminellen Netzwerke führen. Zeitgleich wurden in den Häfen dieser Länder 110 verdächtige Container untersucht. Es konnten mehr als 100 Millionen gefälschte Produkte im Wert von etwa 40 Millionen US-Dollar beschlagnahmt werden.

Für die Verantwortlichen der Weltzollorganisation ist dieser Erfolg zugleich ein alarmierendes Zeichen für das Ausmaß der Bedrohung der Menschen in Afrika durch gefälschte Medikamente. Umso beunruhigender ist, dass in vielen Ländern die Strafen für die Produktion und Verbreitung gefälschter Medikamente ausgesprochen niedrig sind. Das soll sich in Nigeria auf Initiative der NAFDAC jetzt ändern.

Westliche Pharmaunternehmen setzen angesichts der Umsatzverluste durch solche Fälschungen auf Hologramme und thermoreaktive Farben, MicroCodes und Lumineszenzeffekte auf den Packungen. Diese Methoden haben bisher eines gemeinsam – sie sind so teuer, dass sie nur für die zahlungskräftige Kunden zur Verfügung stehen. Die Menschen in Kano, die Medikamente aus Plastiktüten auf dem Markt kaufen, werden von solchen HighTech-Lösungen kaum profitieren.

Viele verarmte Familien im Süden der Welt können sich die teuren Medikamente, die in Krankenhäusern und Apotheken verkauft werden, nicht leisten. Sie greifen deshalb notgedrungen zu dem, was billig auf den Märkten angeboten wird. Je höher der Preis importierter Medikamente ist, desto lohnender ist das Geschäft für die Verbrecher.

Das Gesundheitsministerium der Elfenbeinküste hat daraus bereits 2008 den Schluss gezogen und erklärt: "Beträchtliche Preisreduzierungen werden in allen Apotheken umgesetzt werden, um es den Menschen zu ermöglichen, das, was sie benötigen, zu einem niedrigeren Preis zu erhalten." Das wirksamste Mittel gegen die tödlichen Fälschungen sind Medikamente, die so preiswert sind, dass auch die ärmeren Familien in den Ländern des Südens sie sich leisten können. Dafür muss das internationale Patentrecht zugunsten wirtschaftlich armer Länder und preiswerter Nachahmungsprodukten verändert werden.

VIELFÄLTIGE ANSÄTZE ZUR INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT

Der Pharmakonzern Merck erleidet wie andere Pharmaunternehmen durch Fälschungen beträchtliche Einnahmeeinbußen. Merck engagiert sich seit einigen Jahren finanziell und fachlich mit dem "German Pharma Health Fund" für den Ausbau der Qualitätskontrollen in Ländern des Südens. So wurde ein Minilabor entwickelt, mit dem die Echtheit einer breiten Palette von wichtigen Medikamenten relativ einfach überprüft werden kann. Das Minilabor ist in zwei tropentauglichen Koffern untergebracht, und mit seiner Hilfe können 57 wichtige Arzneimittelwirkstoffe – oder aber ihr Fehlen – diagnostizieren werden. Mehr als 500 dieser Minilabors sind mittlerweile vor allem in Afrika und Asien im Einsatz. Ergänzend werden Seminare zu ihrer Verwendung angeboten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO setzt vor allem auf Aufklärung, die Transparenz der Lieferwege, die Überprüfung von Medikamentenlieferungen und eine strafrechtliche Verfolgung der Täter. Die WHO-Abteilung für Medikamentensicherheit bemüht sich um ein international koordiniertes Vorgehen angesichts globaler krimineller Strukturen der Produktion und Vermarktung gefälschter Medikamente. Auf WHO-Initiative wurde die internationale Taskforce IMPACT gebildet, um den Handel mit gefälschten Medikamenten zu bekämpfen.

Im November 2012 kamen Gesundheitsfachleute aus aller Welt zusammen und verabschiedeten bei einer WHO-Konferenz einen Aktionsplan zur Bekämpfung gefälschter Medikamente. Neben vielen nationalen Maßnahmen wird eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Überwachung des Handels mit Medikamenten gefordert. Margaret Chan, die Generaldirektorin der WHO, fasste in Buenos Aires die Aufgabe so zusammen: "Die Herausforderung besteht darin, gefährliche Produkte aus den Versorgungsketten herauszuhalten. Dies ist eine Herausforderung, bei der es um den Schutz der Menschen geht. Patienten, die solche Produkte erhalten, erhalten im besten Falle eine schlechte Behandlung, im schlechtesten Fall können sie sterben und sterben tatsächlich."

Foto: © David Hecht / IRIN

Frank Kürschner-Pelkmann ist als freier Journalist tätig und arbeitet u.a. zu internationalen Gesundheitsproblemen.

http://www.irinnews.org/Report/97249/Slow-progress-on-fake-drug-war-in-northern-Nigeria


Back to Top

Wir nutzen ausschließlich technisch notwendige Cookies auf unserer Website.