Darmstadt. - "Kommunikation dient hier als Mittel, um Gerechtigkeit zu erlangen. Dafür werden auch neue Kommunikationstechniken adaptiert." So beschreibt der Darmstädter Journalistikprofessor Peter Schumacher seine Erfahrungen, die er 2014 beim Aufbau eines Studiengangs "Comunicación propia intercultural" im Süden Kolumbiens sammelte, wo die "Indigenas" 21 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Westliche Journalismuskonzepte ließen sich hier nur teilweise anwenden, resümierte er in einem Vortrag während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Mitte Mai in Darmstadt.
Im Auftrag der Deutschen Welle Akademie unterstützte Schumacher als Berater die Vorbereitung des neuen Journalismus-Studiengangs an der Universidad Autónoma Indígena Intercultural (UAIIN) in der Region Cauca, einem Gebiet etwa so groß wie Brandenburg. Die Universität wird von den dortigen zehn indigenen Gemeinschaften betrieben, die sich im Dachverband CRIC (Consejo Regional Indígena del Cauca) zusammengeschlossen haben. Sie leben in teilautonomen Reservaten und leiden unter bewaffneten Übergriffen durch Guerilla, Armee, Paramilitärs und illegaler Bodenausbeutung. In dieser Situation bedeutet Kommunikation für sie "vor allem die Selbstbehauptung der eigenen Kultur in einer seit der Kolonisierung fremd dominierten Umwelt", so Schumacher. Ihren oralen Traditionen folgend ist das Radio wichtigstes Medium. Es gibt inzwischen acht indigene Radios, die stark unter Druck stehen. 2011 wurde ein Sender durch ein Bombenattentat zerstört und auch einzelne Journalist_innen sind in Gefahr, "wenn sie Themen aufgreifen, die nicht erwünscht sind".
Beim Aufbau des neuen Studiengangs ging es zunächst darum, in Workshops den normativen Rahmen für das Curriculum zu entwickeln, das sowohl für die gemeinschaftsinterne als auch für die externe Kommunikation qualifizieren soll. Die Indigenen hätten eine sozial-ethische Weltsicht, so Schumacher. Sie betrachten das Gemeinschaftsleben "als Stärke, um ihre Kultur wieder zu beleben und grenzen sich gegenüber der Außenwelt ab". Schumacher verband seine Beratertätigkeit mit ethnografischer Forschung und analysierte die Werthaltungen, die der Kommunikation in den beiden getrennten Sphären zugrunde liegen, indem er die normativen Konzepte der Indigenas anhand eines Theorieansatzes von Clifford Christians u.a. systematisierte.
In diesem Ansatz identifizieren die Wissenschaftler vier Rollen von Medien in einer demokratischen Gesellschaft. Unter "monitoring" wird die Kontrollfunktion der Medien gefasst. Bezogen auf gemeinschaftsinterne Themen verstehen die indigenen Kommunikator_innen sich hier als reine Informationsvermittler_innen, während die watchdog-Funktion in der "externen Kommunikation teilweise eine Rolle spielt". Die als “facilitative” bezeichnete Aufgabe, die zivilgesellschaftliche Gemeinschaft zu fördern und zu mobilisieren, ist für sie sehr wichtig – insbesondere wenn es um Bildung geht. Die unter “radical” verstandene Systemkritik nehmen sie "für die gemeinschaftsinterne Kommunikation nicht in Anspruch", radikale Positionen der Gemeinschaft vertreten sie allerdings auch nach außen. Die Zusammenarbeit mit Autoritäten (“collaborative”) beschränkt sich auf indigene Instanzen.
Schumann resümiert, dass der normative Rahmen der indigenen Kommunikation sehr komplex und nur teilweise mit gängigen Konzepten von community journalism zu fassen ist. Und noch komplizierter wird es, wenn es um die Umsetzung geht: So wollen die indigenen Radiomacher_innen journalistisch-investigativ arbeiten und identitätsstiftend wirken, aber wie können sie sich gegenüber der kommerziellen Konkurrenz positionieren? Sind mehr unterhaltende Formate notwendig? Und wie funktioniert die interne Kommunikation? Wie demokratisch sind die Teilgemeinschaften?
Der neue Journalismus-Studiengang biete "ein paar sehr charmante Eigenheiten, die zugleich auch für Herausforderungen sorgen", schreibt Schumacher in seinem Blog. So wurden die etwa 40 jungen Männer und Frauen auf Empfehlung ihrer jeweiligen Gemeinschaften auf die indigene Universität geschickt und sollen während des Studiums zum Beispiel bei deren Radiosendern mitarbeiten. Auch bei den Bewertungen reden die entsendenden Gemeinschaften mit, denn die Noten der Studierenden bestehen zu einem Viertel aus ihren Beurteilungen. "Wir haben lange darüber geredet, wie sinnvoll Bewertungen per Note denn überhaupt sind", berichtet Schumacher, aber man müsse solche Vorgaben des Staates einhalten, um anerkannt zu werden und öffentliche Gelder zu bekommen. Mit Interesse verfolgt der engagierte Wissenschaftler die weitere Entwicklung des Studiengangs: "Ich denke, von den Erfahrungen können wir noch einiges lernen."