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Neu Delhi. - Im Dezember diesen Jahres versammelt sich die Welt zur UN-Klimakonferenz in Paris (COP 21), um eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung zu treffen, die die globale Erwärmung aufhalten soll. Die UN-Mitgliedsstaaten waren aufgefordert, rechtzeitig vor der COP 21 ihre geplanten Klimaschutz-Beiträge (Intended Nationally Determined Contributions, INDCs) bei der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) einzureichen. Indien hat erstmals einen eigenen Beitrag im Kampf gegen die globale Klimaerwärmung bekannt gegeben. Bis 2030 will die Regierung die Wirtschaft wesentlich energieeffizienter machen und dabei auch den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von fünf auf 25 Prozent steigern. In einem Dorf, sechs Stunden Zugfahrt von Neu Delhi entfernt, ist man schon einige Schritte weiter. Tilonia ist nicht an das Elektrizitätsnetz angeschlossen, aber komplett autark und nachhaltig mit Solaranlagen ausgestattet. Das Barefoot College im Ort bildet Frauen, die nicht lesen und schreiben können, zu Solar-Ingenieurinnen aus.

In Tilonia  im nordwestlichen indischen Bundesstaat Rajasthan lötet Margarita am Laderegler, den sie später an einem Ende mit einer Solarzelle und am anderen mit einer Lampe verbindet. Sie stammt aus einem Dorf im Bezirk von San Miguel Petapa in Guatemala, wo die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt und die Alphabetisierungsrate für erwachsene Frauen bei 76% liegt. Sie ist Hausfrau, hat nie eine Schule besucht und kann weder lesen noch schreiben. Zusammen mit drei weiteren Frauen aus ihrem Bezirk wurde sie ausgewählt, an dem sechsmonatigen Training in Indien teilzunehmen und Solaringenieurin zu werden.

Das Barefoot College in der Nähe von Kishangarh, der Marmor-Stadt Indiens, arbeit seit über 40 Jahren an Basisdienstleistungen und Lösungen für die Probleme in ländlichen Gemeinden. Ziel ist es, das Leben in den Dörfern zu verbessern, autark und nachhaltig. Seit 1989 konzentriert sich die ungewöhnliche Schule auf die Nutzung der Sonnenenergie, um Zugang zu Strom in den abgelegten ländlichen Gebieten Indiens zu ermöglichen.

Mittlerweile nehmen aber nicht nur Inderinnen an dem Programm teil, sondern Frauen aus der ganzen Welt werden ausgebildet, um Licht in ihre Dörfer zu bringen und für die Installation, Reparatur und Wartung von Solaranlagen verantwortlich zu sein. Bis heute haben etwa 740 Barefoot Solartechnikerinnen aus 72 Ländern Licht in mehr als 40.000 ländliche Haushalte gebracht.

Um Armut und Landflucht in die Slums der Großstädte zu verhindern, müsse das Leben in den Dörfern verbessert werden und gewöhnlichen Dorfbewohnern müsse zugetraut werden, selbst lokale Lösungen für lokale Probleme zu entwickeln. Das ist die Philosophie des Barefoot Colleges, dessen Gründer Bunker Roy enttäuscht ist, dass die indische Regierung das Projekt in Tilonia nicht auf das ganze Land ausweitet.

Menschen mit Hochschulabschluss dürfen nicht in dem Projekt teilnehmen. "Gebildete Menschen stören unser System. Sie stellen zu viele Fragen, wie: Was ist in dem Laderegler, wie funktioniert das? Wir wissen es nicht. Und für unseren Zweck brauchen wir es nicht zu wissen ", erklärt Ramniwas, der seit fast 30 Jahren in Tilonia arbeitet.

"In meinem Dorf haben wir keinen Strom. Ich bin hierher gekommen um Licht zu erzeugen", erklärt Margarita ihren Beweggrund, nach Indien zu kommen. Außer ihren Landsleuten und zwei Kolumbianerinnen spricht niemand in Tilonia Spanisch. Ihre Kommilitoninnen sind Analphabetinnen aus Namibia, Zimbabwe, Suriname, Burkina Faso, Südafrika und Bangladesch. Ihre indischen Lehrerinnen haben zum größten Teil auch nur das Barefoot College als Schule besucht.

"Ich verstehe nicht was die Leute sagen. Am Anfang war ich sehr besorgt und fühlte mich verloren, es war sehr schwierig", beschreibt sie ihre Erfahrungen des ersten Monats. Über die Ausbildung sagt sie, dass es ihr sehr schwerfällt. Die Arbeit an dem Laderegler kann sehr frustrierend sein. "Es ist alles so kleinteilig und kompliziert". Sie hat sich bereits mehr als einmal an dem Lötkolben verbrannt. "Aber das hier wird mein Leben verändern. Hat es eigentlich schon. Das wird sehr viel in meinem Dorf verändern. Ich werde Licht bringen," erklärt Margarita glücklich.

Bevor sie nach Tilonia kam, hatte sie noch nie von Indien gehört und wusste nicht, was sie erwarten würde. Aber sie wurde positiv überrascht und sagt: "Indische Frauen arbeiten sehr hart und die Menschen hier sind sehr nett und hilfsbereit. Ich verstehe nicht, was sie sagen, aber ich verstehe ihre Freundlichkeit. Und obwohl es kompliziert ist lerne ich sehr viel."

Wenn es in fünf Monaten zurück nach Guatemala geht, wird sie für jedes Haus in ihrem Dorf eine Solarzelle und das nötige Equipment mitnehmen. Sie wird von ihrem Distrikt dafür bezahlt, die Solarzellen zu installieren und sie zu warten.

Im Barefoot College werden nur Frauen ausgebildet. Männer würden in die Städte ziehen und mit ihnen ginge das Wissen verloren. Margarita kennt keine Ingenieure und wusste bis vor kurzem nichts über Solarenergie. Dass die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) generell als Männerdomäne gelten, ist ihr auch nicht bekannt.

Auf die Frage, mit wem sie das Wissen teilen wird, sagt sie: "Solartechnik ist ein Job für Frauen. Ungeeignet für Männer. Ich werde die Technik nur Frauen beibringen."

Nach den Erfahrungen des Barefoot Colleges bleiben Frauen mit ihren Kindern oder Alten, die sie pflegen müssen, eher in den Dörfern - auch wenn es dort keine Einkommensquelle gibt. Durch die Qualifikation als Solartechnikerin bekommen sie ein regelmäßiges Gehalt, Ansehen in ihrer Community und sie verbessern die Lebensqualität aller Dorfbewohner.

Foto: © Florian Lang 


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