Berlin. - Der Vorschlag der EU-Kommission zur weiteren Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation verfehlt in der jetzigen Form seinen Zweck. Das hat die Entwicklungsorganisation Oxfam am Dienstag in Berlin erklärt. Unwirksame Grenzwerte ermöglichten mehr Spekulation und die Kontrolle von Rohstoffmärkten durch nur wenige Händler. "Nun müssen die Europaabgeordneten den Vorschlag der EU-Kommission ablehnen und auf schärfere Regeln drängen", forderte Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale.
Wenn es zu Preisexplosionen bei Nahrungsmitteln kommt, leiden die Ärmsten der Armen am meisten, weil Essen für sie unerschwinglich wird. Die maßlose Spekulation kann zu extremen Preisschwankungen beitragen und damit mitverantwortlich für Armut und Hunger sein. Um diese Entwicklung zu stoppen, verabschiedete das Europaparlament 2014 die Finanzmarkt-Richtlinie. Kernpunkt sind sogenannte Positionslimits, Obergrenzen für den rein spekulativen Börsenhandel mit Agrarprodukten wie Weizen und Mais. Doch die von der Kommission vorgelegten technischen Standards (RTS21) versagen laut Oxfam bei der Eindämmung der exzessiven Spekulation, weil sie zu hohe und damit unwirksame Grenzwerte erlauben.
Die Positionslimits sollen eine Verzerrung des Marktes verhindern und die extremen Preisschwankungen bei Nahrungsmitteln reduzieren, die für Millionen Menschen in Entwicklungsländern zu einer Frage von Leben und Tod werden können. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Verfahren erlaube nationalen Behörden jedoch, sehr hohe und damit unwirksame Grenzwerte zu setzen, kritisierte Oxfam. Unter bestimmten Voraussetzungen seien Positionslimits in Höhe von bis zu 35 Prozent möglich. Das bedeute, dass ein einziger Spekulant am Ende des Termingeschäfts 35 Prozent des auf dem Markt lieferbaren Weizens halten könne. Damit könnten nur drei Händler allein den Finanzmarkt eines Rohstoffs kontrollieren. Maßlose Spekulation sei dadurch vorprogrammiert. NGOs wie Oxfam hatten ein Positionslimit in Höhe von 10 bis 15 Prozent für Nahrungsmittel und Rohstoffe gefordert.
Die vorgeschlagenen Regeln beinhalten aus der Sicht von Oxfam außerdem weitere Schlupflöcher: So sollten die Positionslimits ursprünglich für den Mutterkonzern einschließlich Tochtergesellschaften gelten. Im neuen Vorschlag könnten Konzerne diese Regelung umgehen, wenn sie nachweisen können, dass der Mutterkonzern keinerlei Einfluss auf die Anlageentscheidungen einer Tochtergesellschaft in Bezug auf die Positionen hat.
EUROPAPARLAMENT SOLL KOMMISSIONSVORSCHLAG ABLEHNEN
Mit der Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID II) brachte die EU 2014 erstmals eine Regulierung ihrer Rohstoffmärkte auf den Weg, die die maßlose Spekulation mit Nahrungsmitteln eindämmen sollte. Oxfam begrüßte damals die Regulierung als wichtigen Fortschritt, warnte aber vor den Schlupflöchern, die die mächtige Finanzlobby ausnutzen könnte.
Diese Sorge sieht Oxfam nun bestätigt. "Wer die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln wirklich verhindern will, kann den Kommissionsvorschlag nur ablehnen", erklärte Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale. "Die Europaabgeordneten müssen jetzt Flagge zeigen und sich dafür einsetzen, dass für diesen unzureichenden Kommissionsvorschlag keine Mehrheit zustande kommt. Stattdessen muss ein neuer Vorschlag entwickelt werden, der die vom Europaparlament gewünschte regulierende Wirkung der Positionslimits sicherstellt und damit der Nahrungsmittelspekulation einen wirksamen Riegel vorschiebt."
Quelle: www.oxfam.de