Genf/Berlin (epo). - Mindestens 12,3 Millionen Männer, Frauen und Kinder weltweit arbeiten gegenwärtig unter Zwang oder sklavenähnlichen Bedingungen. In ihrem am Mittwoch in Genf, Berlin und London vorgestellten Bericht "Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit" hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) damit erstmals das Thema Zwangsarbeit mit konkreten Zahlen unterfüttert. Am größten ist das Problem dem Bericht zufolge in Asien, Afrika und Lateinamerika, doch auch die Industrieländer sind nicht frei davon. Skrupellose Geschäftemacher streichen auf diese Weise Profite in Höhe von mindestens 44 Milliarden US-Dollar im Jahr ein.
Die höchsten Profite werden laut ILO dabei aus Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und der sexuellen Ausbeutung gezogen. Weltweit beziffert die ILO die Opfer von Menschenhandel mit 2,4 Millionen und die Profite durch Menschenhandel mit 32 Milliarden Dollar jährlich - weit mehr, als bislang angenommen. Im Schnitt entspreche das mehr als 13.000 Dollar pro Zwangsarbeiter. Die Hälfte dieser Gewinne würden in Industrieländern eingestrichen, wo die ILO die Zahl der Zwangsarbeiter auf 360.000 schätzt.
Opfer von Zwangsarbeit würden teilweise gar nicht oder nur unzureichend entlohnt, etwa weil sie als irregulär eingeschleuste Migranten anfällig für Erpressung und Ausbeutung sind, so der ILO-Report. Hätten sie vorher Kredite aufgenommen, gerieten sie häufig in Schuldknechtschaft und würden damit dauerhaft in Abhängigkeit gehalten. Die Globalisierung habe bestimmte Formen der Zwangsarbeit, vor allem den Menschenhandel, sogar noch verschärft. "Zwangsarbeit ist die Kehrseite der Globalisierung. Ihre Abschaffung ist zwingend nötig, um eine faire Globalisierung und menschenwürdige Arbeit für alle zu erreichen", sagte ILO-Generaldirektor Juan Somavia.
Der Autor der ebenfalls am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Untersuchung "Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in Deutschland", Norbert Cyrus, erklärte: "Für die Zahl der Opfer von Menschenhandel in Deutschland kann man eine Größenordnung von 15.000 ansetzen, auch wenn genaue Zahlen auf Grund der illegalen Natur der Sache schwer zu erheben sind. Hinter jedem dieser Fälle steht ein menschliches Schicksal."
In ihrem Bericht über Menschenhandel in Deutschland hat die ILO mehr als vierzig Fälle dargestellt, in denen Migranten unter Anwendung von Zwang zu unwürdigen Bedingungen und teilweise auch unter Vorenthaltung des Lohns gearbeitet haben. Sie seien nicht nur im Sexgewerbe anzutreffen, sondern auch auf dem Bau, in der Landwirtschaft, in Schlachthöfen oder in Privathaushalten. Dies verstößt gegen grundlegende Menschenrechte und die Kernarbeitsnormen der ILO.
Ohne die gezielte Zusammenarbeit von Strafverfolgungs-, Arbeits- und Einwanderungsbehörden sowie internationale Kooperation dürfte das Problem angesichts der zunehmenden Globalisierung nicht in den Griff zu bekommen sein, so die Schlussfolgerung der ILO. Bei hohem Angebot von und wachsender Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften führten immer höhere Einwanderungsbarrieren dazu, dass immigrationswillige Menschen besonders leicht Menschenhändlern zum Opfer fallen.
Als notwendige Maßnahmen nennt die ILO einen konsequenten Opferschutz sowie strafrechtliche Schritte gegen Menschenhändler und diejenigen, die wissentlich von sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen profitieren. Eine entsprechende Verschärfung der deutschen Strafgesetze Anfang des Jahres begrüßte die ILO ausdrücklich. Verstöße der Opfer von Menschenhandel gegen das Aufenthaltsrecht sollten dagegen nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit gewertet werden, um deren Kooperation mit den Behörden zu erleichtern. Für informelle Beschäftigungsverhältnisse, etwa im Fall von Haushaltshilfen, sollten Mindeststandards für Arbeitsbedingungen eingeführt werden. Des Weiteren empfiehlt die ILO die Ausweitung des Entsendegesetzes über die bisher erfassten Branchen hinaus, um für entsandte ausländische Arbeitnehmer gleiche Entlohnung wie für deutsche zu gewährleisten.
"Auf internationaler Ebene sind langfristige Präventionsprogramme nötig, mit denen die Armut der betroffenen Bevölkerungsgruppen bekämpft und Migration in legale Bahnen gelenkt werden kann", fordert Beate Andrees vom ILO-Sonderaktionsprogramm zur Bekämpfung der Zwangsarbeit. Die ILO hat, in Zusammenarbeit mit Regierungen und Sozialpartnern, in zahlreichen Ländern Ansätze entwickelt, mit denen Menschen aus Zwangsarbeit befreit und entschädigt werden können.
"Mit ihren Vorschlägen macht sich die ILO zum Anwalt derer, die aus wirtschaftlicher Not ihr Land verlassen haben und in die Hände krimineller Geschäftemacher gefallen sind", betonte der Direktor des ILO-Büros Berlin, Wolfgang Heller.
Hinweise:
Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit. Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Genf 2005, 105 S., ISBN 92-2-715360-0
Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in Deutschland. Sonderaktionsprogramm zur Bekämpfung der Zwangsarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation von Norbert Cyrus, aus dem Englischen von Martina Niessen. Genf 2005, 98 S.