rogBerlin. - Anlässlich der China-Reise Angela Merkels am Donnerstag (5. September) hat Reporter ohne Grenzen (ROG) die Bundeskanzlerin aufgefordert, die desaströse Lage der Pressefreiheit im Land öffentlich anzuprangern. In keinem anderen Land der Welt seien mehr Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis als in China, derzeit seien es mindestens 113, kritisierte ROG.

Einige Journalisten seien unter lebensbedrohlichen Bedingungen für viele Jahre im Gefängnis, wo sie Opfer von Misshandlung würden und keine angemessene ärztliche Versorgung bekämen, erklärte ROG. Die Organisation ist vor allem besorgt über die Situation des 56-jährigen Journalisten Huang Qi, der seit zwei Jahren in der Provinz Sichuan festgehalten wird und schwer krank ist. Ende Juli verurteilte ihn ein Gericht zu zwölf Jahren Haft.

"Pressefreiheit muss einen genauso wichtigen Platz einnehmen wir Wirtschaftsthemen. Sie darf nicht nur vage eingefordert werden, sondern es geht darum, Menschenleben zu retten. Mit großer Sorge beobachten wir aktuell zehn Fälle in China inhaftierter Bürgerjournalistinnen und -journalisten, die infolge von Misshandlung und schlechter ärztlicher Versorgung im Gefängnis sterben könnten. Frau Merkel muss sich für ihre sofortige Freilassung einsetzen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Mihr fügte hinzu: "Wie fordern Angela Merkel zudem auf, die Arbeitsbedingungen von ausländischen Journalistinnen und Journalisten in China anzusprechen, die immer wieder von den Behörden schikaniert werden. Korrespondentinnen und Korrespondenten müssen ohne Einschränkungen über so wichtige Themen wie die Proteste in Hongkong berichten können."

Merkel wird auf ihrer dreitägigen China-Reise von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation begleitet und unter anderem Xi Jinping treffen. Unter dem Staats- und Parteichef, der seit einer Verfassungsänderung von 2018 theoretisch lebenslang regieren könnte, habe die Kommunistische Partei mithilfe modernster Technologie und repressiven Vorschriften ihre umfassende Kontrolle über Nachrichten und Informationen weiter ausgebaut, so ROG. Medienschaffende, die dennoch Tabuthemen wie Menschenrechtsverletzungen oder soziale Unruhen aufgreifen, drohten auf Basis von schwammigen Vorwürfen mehrjährige Haftstrafen. Zu diesen Vorwürfen gehöre etwa, die Staatsgewalt untergraben, Staatsgeheimnisse weitergegeben, oder einen Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben.

Inhaftierte wurden laut ROG bereits zu Geständnissen gezwungen, von denen einige auch medial übertragen werden. Beispiele sind der schwedische Verleger Gui Minhai, der wenige Monate nach seiner Entführung in Thailand 2015 im chinesischen Staatsfernsehen wieder aufgetaucht ist, sowie die ehemalige Deutsche-Welle-Journalistin Gao Yu. Laut der Menschenrechts-NGO Safeguard Defenders haben die chinesischen Staatsmedien seit 2013 mindestens 48 erzwungene Geständnisse übertragen.

Mindestens zehn inhaftierten Journalisten schweben nach Angaben von ROG aufgrund der Haftbedingungen in Lebensgefahr. Besonders dringlich sei der Fall von Huang Qi, dem Gründer der Nachrichtenwebseite 64Tianwang. Ende Juli habe ein Gericht in der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas den Investigativjournalisten zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Wegen seiner journalistischen Arbeit habe Huang insgesamt bereits acht Jahre im Gefängnis gesessen. In dieser Zeit habe er Herzprobleme sowie eine Nieren- und Lebererkrankung bekommen.

Huang wurde im November 2016 festgenommen und saß seitdem in Untersuchungshaft. Laut seinen Anwälten wurde er geschlagen und bekam keinen Zugang zu medizinischer Behandlung. Ende Dezember forderten vier UN-Menschenrechtsexperten seine Freilassung. Die Justiz wirft Huang unter anderem die Weitergabe von Staatsgeheimnissen ans Ausland vor.

Der wahre Grund für die Verurteilung sei jedoch seine Arbeit, so ROG: Mit einem Netz von Bürgerjournalistinnen und -journalisten berichtete die Informationswebseite 64Tianwang über Menschenrechtsverletzungen im Land. Werde Huang nicht bald freigelassen, drohe ihm das gleiche Schicksal wie dem Friedensnobelpreisträger Liu Xioabo und dem Blogger Yang Tongyan. Bei beiden wurde 2017 während langjähriger Haftstrafen Krebs im Endstadium diagnostiziert, der im Gefängnis nicht behandelt wurde. Sie starben, kurz nachdem sie in ein Krankenhaus verlegt wurden.

Reporter ohne Grenzen forderte Angela Merkel zudem auf, die sich verschlechternde Lage von Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten zu thematisieren. Das Regime in Peking versuche derzeit offenbar insbesondere ausländische Reporterinnen und Reporter einzuschüchtern, die über die andauernden Proteste in Hongkong berichten.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 177 von 180 Staaten. In einem ausführlichen Länderbericht hat ROG Pekings Strategie untersucht, Informationen auch jenseits der Landesgrenzen zu kontrollieren. Dieser Versuch, eine neue Weltordnung der Medien zu schaffen, sei eine Gefahr für die Pressefreiheit weltweit.

Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de