Berlin. - Für die Vereinten Nationen spielt die Versicherungswirtschaft bei der Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung weltweit eine wichtige Rolle. Doch dass die deutschen Anbieter betrieblicher Altersversorgung dieser Rolle nicht gerecht werden, zeigt eine neue Studie der NGO Facing Finance. Sie attestiert den größten deutschen Pensionskassen, die insgesamt rund 100 Milliarden Euro verwalten bzw. investieren, teils signifikante Defizite in Bezug auf Nachhaltigkeitsrichtlinien für Anlageentscheidungen bezüglich der Beiträge der Versicherten.
"Angesicht der gegenwärtigen Herausforderungen in Bezug auf Klima, Umwelt und Menschenrechte und der Lenkungswirkung von Investmententscheidungen müssen auch Pensionskassen ihre Investitionsentscheidungen transparent gestalten und verbindlich an relevanten ökologischen und sozialen Standards sowie völkerrechtlichen Verpflichtungen orientieren", forderte Thomas Küchenmeister, geschäftsführender Vorstand von Facing Finance.
In der Studie wurde untersucht, ob in den Kapitalanlagerichtlinien von 18 der größten deutschen Pensionskassen die Berücksichtigung von ESG-Kriterien vorgesehen ist: das Ergebnis fällt ernüchternd aus. Lediglich 7 Anbieter haben konkrete Ausschlusskriterien formuliert und veröffentlicht. Diese beschränken sich in den meisten Fällen auf kontroverse Waffen (Landminen/Streumunition etc.). 3 Anbieter investieren nicht in Kohleabbau oder -verstromung, machen das aber abhängig von Umsatzschwellen (25-30%).
Nur ein kleiner Anteil der Anbieter ist Mitglied des UN Global Compact, obwohl diese Initiative für nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung als freiwilliger und rechtlich unverbindlicher Standard gilt. Auch zur Einhaltung der Prinzipien für verantwortliches Investieren, PRI, haben sich erst 3 Anbieter durch ihre Unterzeichnung verpflichtet. Selbst die BaFin beklagte zuletzt, dass nur 16 Prozent der deutschen Versicherer und Pensionsfonds Standards wie PRI oder PSI (Prinzipien für nachhaltige Versicherung) unterzeichnet haben.
Für 10 Anbieter wurde kein Nachweis gefunden, dass ihre Portfolios regelmäßig nach ESG-Kriterien bewertet werden (ESG Screening), und Engagement-Dialoge mit (kontroversen) Unternehmen werden auch erst von 7 Anbietern geführt. Auch die Bereitschaft, mit Facing Finance in den Dialog zu treten, war zum Teil eingeschränkt: 8 Anbieter waren an einem Dialog grundsätzlich nicht interessiert.
"Ein Grund für die Nichtbeachtung von ESG-Kriterien ist sicherlich eine fehlende staatliche Regulierung, die über Pflichten zur ESG-Berichterstattung hinausgeht. Dabei hat sich längst gezeigt, dass freiwillige Verpflichtungen bei den Investoren keine signifikante Veränderung bewirken, geschweige denn in der Realwirtschaft. Wir brauchen gesetzliche Mindeststandards für die Integration von sozialen und ökologischen Standards in der Kapitalanlage", forderte Julia Dubslaff, Projektleiterin bei Facing Finance und Autorin der Studie. "Auch die treuhänderische Verantwortung von Investoren umfasst mittlerweile die Berücksichtigung von ESG-Kriterien."
Die Studie macht deutlich, dass in Deutschland bei der betrieblichen Altersversorgung zu wenig über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien informiert wird. Rund zwei Drittel der Verbraucher*innen wissen laut einer für die Studie durchgeführten forsa Umfrage nicht, ob ihr Anbieter die Beiträge nachhaltig orientiert anlegt, was aber fast die Hälfte der Befragten erwartet. Lediglich 12% sagen, dass ihr Anbieter entsprechende Kriterien bereits in den Anlageprozess eingebunden hat.
Auch Verbraucherschutzorganisationen fordern mehr Nachhaltigkeit von den Pensionskassen. "Die deutschen Anbieter von betrieblicher Altersversorgung zeigen für Nachhaltigkeit viel zu wenig Interesse und ignorieren häufig damit auch den mehrheitlichen Willen ihrer Kund*innen", beklagte Dr. Annabel Oelmann, Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen e.V.
=> Studie "Deutsche Pensionskassen – bereit für nachhaltige Geldanlage?"
Quelle: www.facing-finance.org