ai orgBerlin. - Syrische und russische Truppen haben im Nordwesten Syriens gezielt Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen verübt. Das belegen Recherchen von Amnesty International, die in dem neuen Bericht "Nowhere is safe for us: Unlawful attacks and mass displacement in north-west Syria" zusammengefasst sind. Amnesty International dokumentiert darin 18 Fälle von Angriffen, die mehrheitlich zwischen Januar und Februar 2020 in Idlib, West-Aleppo und dem nordwestlichen Gouvernement Hama durchgeführt wurden.

Für den Bericht wurden 74 Personen interviewt, darunter Binnenvertriebene, Lehrende, Ärzte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Die Zeugenaussagen wurden durch Video- und Fotoaufnahmen sowie durch die Analyse von Satellitenbildern, Berichten von Planespottern vor Ort und abgehörte Kommunikation von russischen und syrischen Luftstreitkräften untermauert.

"Mit der jüngsten Offensive auf die letzten noch von Oppositionsgruppen gehaltenen Gebiete im Nordwesten Syriens setzt sich das unmenschliche Muster gezielter Angriffe der Assad-Regierung auf die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser fort. Amnesty International konnte nun erstmals belegen, dass russische Streitkräfte direkt Luftangriffe auf ein Krankenhaus ausgeführt haben", sagte Vanessa Ullrich, Syrien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland.

Amnesty International hat Angriffe auf fünf Krankenhäuser in den von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierten Gebieten dokumentiert, die daraufhin geschlossen werden mussten. Ein Arzt, der einen Angriff in der Nähe des al-Shami-Hospitals am 29. Januar 2020 überlebte, berichtete Amnesty International, dass dabei mindestens zwei Wohngebäude unweit des Krankenhauses zerstört und elf Zivilisten getötet sowie über 30 verletzt wurden. Unter den Toten war auch einer seiner Kollegen.

Auf der Grundlage übereinstimmender Zeugenaussagen sowie Beobachtungen sogenannter Planespotter kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass russische Streitkräfte für diesen rechtswidrigen Angriff verantwortlich sind. Amnesty International hat darüber hinaus Belege für den Abwurf von Fassbomben und vom Boden abgefeuerter Streumunition auf zwei Schulen am 28. Januar und 25. Februar 2020 gesammelt. Eine Lehrerin schilderte Amnesty International einen Angriff:

"Ein Geschoss explodierte vor meinen Füßen, Haut und Fleisch platzen auf […] der Schmerz war unerträglich […] Ich spürte eine solche Hitze, als würden meine Füße verbrennen. Zwei Schülerinnen waren in diesem Moment vor mir. Eine war sofort tot, die andere überlebte wie durch ein Wunder."

Die Untersuchung von Amnesty International hat ergeben, dass es sich bei den eingesetzten Geschossen um 9M27K-Frachtraketen mit einem Kaliber von 220 Millimeter handelte, die in Russland hergestellt und an die syrische Armee geliefert wurden. Sie enthielten 9N210- oder 9N235-Streumunition. Der Einsatz von Streumunition ist nach dem Völkerrecht verboten.

"Die Ermittlungen von Amnesty International zeigen, dass die syrische Regierung bei Angriffen auf Schulen völkerrechtlich verbotene und in Russland hergestellte Streumunition eingesetzt hat, durch die Kinder und Lehrende auf grausame Weise getötet und verletzt wurden. Es handelt sich dabei um Kriegsverbrechen", sagte Vanessa Ullrich. "Die Art und Weise, in der die Assad-Regierung vorsätzlich die Zivilbevölkerung terrorisiert, zeigt einmal mehr: Es gibt keine sicheren Orte in Syrien. Der in Deutschland geltende Abschiebungsstopp in das Land bleibt unabdingbar."

Die jüngsten Angriffe auf Idlib zwangen zwischen Dezember 2019 und März 2020 nahezu eine Million Menschen – mehr als 80 Prozent davon Frauen und Kinder – in Gebiete in der Nähe der türkischen Grenze zu fliehen, so Amnesty. Die Menschen in Idlib würden auf einer immer kleiner werdenden Fläche zusammengedrängt und lebten unter unmenschlichen Bedingungen. Humanitäre Unterstützung werde dringender denn je gebraucht.

Am 10. Juli läuft jedoch die Crossborder-UN-Resolution aus, die bisher humanitäre Hilfe über die syrische Grenze in den Nordwesten des Landes und andere Gebiete ermöglicht hat, die von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert werden. Vanessa Ullrich fordert deshalb: "Die Bundesregierung muss sich im UN-Sicherheitsrat dafür einsetzen, dass die Crossborder-UN-Resolution – eine lebenswichtige Versorgungsader für Tausende Menschen – verlängert wird."

Quelle: www.amnesty.de 


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