oxfamBerlin. - In Folge der COVID-19-Pandemie könnten bis zum Jahresende täglich weltweit bis zu 12.000 Menschen an Hunger sterben, möglicherweise sogar mehr als an der Krankheit selbst. Davor warnt die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht. Währenddessen zahlten die acht größten Lebensmittel- und Getränkeunternehmen seit Januar 18 Milliarden Dollar an ihre Aktionäre aus – zehnmal mehr als der Betrag, den die Vereinten Nationen benötigen, um Hunger zu bekämpfen.

Die weltweite Sterblichkeitsrate durch COVID-19 erreichte im April 2020 mit etwas mehr als 10.000 Todesfällen pro Tag ihren höchsten registrierten Wert. Oxfams Bericht "The Hunger Virus" zeigt, dass in diesem Jahr 121 Millionen Menschen infolge der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wie Massenarbeitslosigkeit, Unterbrechung der Nahrungsmittelversorgung und rückläufigen Hilfsgeldern, an den Rand des Verhungerns getrieben werden könnten. Während sich die Pandemie über die ganze Welt ausbreitete, schütteten die acht größten Nahrungsmittel- und Getränkeunternehmen ihren Aktionär*innen seit Januar über 18 Milliarden Dollar aus. Das ist zehnmal mehr als der Betrag, den die Vereinten Nationen benötigen, um Hunger zu bekämpfen.

"Für Millionen von Menschen ist Covid-19 der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie hatten bereits vorher mit den Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, der eskalierenden Klimakrise und extremer Ungleichheit zu kämpfen. Die Regierungen müssen nun Leben retten, indem sie den Hilfsaufruf der Vereinten Nationen voll finanzieren", sagte Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale. "Viele leiden zudem unter einem ausbeuterischen Ernährungssystem, das Millionen Kleinbäuer*innen und Arbeiter*innen hat verarmen lassen. Um diese Hungerkrise zu beenden, müssen die Regierungen ökologische, gerechte und widerstandsfähige Ernährungssysteme aufbauen, die die Interessen der Kleinproduzent*innen vor die Profite der Lebensmittel- und Agrarindustrie stellen", so Wiggerthale. Die Regierungen sollten sich für ein hochrangiges Treffen des UN-Welternährungsausschusses im Oktober in Rom einsetzen, um die Hungerkrise zu bewältigen.

Der Bericht beleuchtet die zehn schlimmsten Hungerorte der Welt; dazu gehören Venezuela und der Südsudan, wo die Nahrungsmittelkrise bereits vor Covid-19 sehr ernst war und sich infolge der Pandemie weiter verschlimmert hat. Er zeigt aber auch sich neu entwickelnde Epizentren des Hungers: Länder mit mittlerem Einkommen wie Indien, Südafrika und Brasilien, in denen Millionen Menschen wegen der Pandemie nun Hunger leiden.

In Brasilien haben Millionen arme Arbeiter*innen, die kaum auf Ersparnisse oder Sozialleistungen zurückgreifen konnten, durch die Corona-Einschränkungen ihr Einkommen verloren. Bis Ende Juni waren nur 10 Prozent der von der Regierung zugesagten finanziellen Unterstützung verteilt worden, wobei Großunternehmen gegenüber Arbeitnehmer*innen und kleineren Unternehmen begünstigt wurden.

In Indien hat der Lockdown geschätzte 40 Millionen Menschen, hauptsächlich Wanderarbeitskräfte aus den unteren Kasten, über Nacht arbeitslos gemacht. Aus Angst vor Hunger und Krankheit in den Slums, in denen sie zuhause sind, haben sich Hunderttausende auf den Weg zu ihren Dörfern gemacht. Auf dem Höhepunkt der Erntesaison fehlten Wanderarbeitskräfte und Bauern mussten ihre Ernten auf dem Feld verrotten lassen.

In der Sahelzone haben Bewegungsbeschränkungen Millionen Viehzüchter*innen daran gehindert, ihre Tiere zur Fütterung auf grünere Weiden zu treiben, was die Lebensgrundlage von Millionen Menschen bedroht. Bis zu 50 Millionen Menschen sind von Unterernährung und Ernährungsunsicherheit bedroht. Nur 26 Prozent der 2,8 Milliarden Dollar, die für die Versorgung mit lebenswichtiger humanitärer Hilfe benötigt werden, wurden zugesagt.

Frauen und Haushalte, bei denen Frauen die Haupternährerinnen sind, sind besonders stark vom Hunger bedroht, so Oxfam. Frauen waren schon vor der Pandemie durch systemische Diskriminierung verwundbar, da sie weniger verdienen und weniger Vermögen besitzen als Männer. Sie machen auch einen großen Teil von besonders gefährdeten Gruppen wie informellen Arbeiter*innen aus, die vom wirtschaftlichen Absturz nach der Pandemie hart getroffen wurden. Zudem tragen Frauen die Hauptlast der dramatischen Zunahme von unbezahlter Betreuungsarbeit infolge von Schulschließungen und Krankheiten.

Oxfam fordert, dass Regierungen den Covid-19 Hilfsaufruf der Vereinten Nationen voll finanzieren und dafür sorgen, dass die Hilfe zu denen gelangt, die sie am meisten brauchen. Zudem sollten sie die Schulden von armen Ländern streichen, um Mittel für soziale Sicherheitsnetze und Gesundheitsversorgung freizusetzen. Regierungen müssten ebenso Investitionen in die kleinbäuerliche, agrarökologische Lebensmittelproduktion erhöhen und existenzsichernde Einkommen sicherstellen, indem sie Mindesterzeugerpreise und andere Unterstützungsmaßnahmen ergreifen und existenzsichernde Löhne für Arbeiter*innen gewährleisten.

Seit Beginn der Pandemie hat Oxfam nach eigenen Angaben 4,5 Millionen der weltweit am stärksten gefährdeten Menschen mit Nahrungsmitteln und sauberem Wasser versorgt und dabei mit über 344 Partnern in 62 Ländern zusammengearbeitet. Oxfams Ziel ist es, insgesamt 14 Millionen Menschen zu erreichen.

Quelle: www.oxfam.de 


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