oxfamBerlin/Brüssel. - Wie aus einer Oxfam-Studie hervorgeht, läuft die EU Gefahr, gegen die internationalen Kriterien für öffentliche Entwicklungsleistungen (Official Development Assistance - ODA) zu verstoßen, wenn sie Hilfsgelder einsetzt, um Migration zu stoppen. Der Oxfam-Bericht „Von der Entwicklung zur Abschreckung?“ beleuchtet, wie die EU ihr Entwicklungshilfebudget einsetzt, um die Migrationskontrolle an Länder in Afrika auszulagern. Der Bericht zeigt, dass sechs der 16 identifizierten Migrationsprojekte in Niger, Libyen und Tunesien potenziell gegen die ODA-Kriterien verstoßen. Diese sechs Aktivitäten machen mit insgesamt 667 Millionen Euro etwa zwei Drittel des analysierten Gesamtvolumens von rund einer Milliarde Euro aus.

Der Bericht untersucht die Strategie der EU, Hilfsgelder zunehmend für die Abschreckung von Migration einzusetzen, statt für Entwicklungsförderung und Armutsbekämpfung. Laut Bericht fließe mehr Unterstützung in Aktivitäten, die Migration behindern und Risiken für die Menschenrechte mit sich bringen, als in die Förderung sicherer und regulärer Migration oder wachstumsfördernder Effekte von Migration. In Niger unterstützt nur eine der acht untersuchten Aktivitäten sichere und reguläre Migration. In Libyen werden keine der für die Migration vorgesehenen Mittel für die Förderung der sicheren und regulären Migration in die EU eingesetzt, so Oxfam.

Diese Verwendung der Hilfe verstöße sowohl gegen internationale Kriterien für Entwicklungsleistungen als auch gegen die eigenen Rechtsgrundsätze der EU, beklagt der Oxfam-Bericht. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die weltweiten Kriterien für Entwicklungsleistungen aufgestellt hat, definiert als entscheidendes Kriterium, dass der Hauptzweck der Förderung "die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Entwicklungsländern" sein muss und stellt fest, dass Aktivitäten, die die Rechte von Vertriebenen und Migranten nicht ausreichend berücksichtigen, nicht als öffentliche Entwicklungsleistung angerechnet werden können.

Stephanie Pope, EU-Migrationsexpertin von Oxfam, sagt: "Die europäischen Gelder werden eingesetzt, um Migration zu stoppen, anstatt wofür sie eigentlich da sind: Um Armut zu bekämpfen. Die EU verschwendet ihr Hilfsbudget, um die Festung Europa aufzubauen. Gleichzeitig will sie Nicht-EU-Länder erpressen, damit sie die europäische Verantwortung in Sachen Asyl und Migration übernehmen."

In einigen Fällen setze die EU ihre Entwicklungszusammenarbeit ein, um die Probleme zu beheben, die sie durch andere EU-Ausgaben verursacht hat. So beteiligt sich die EU beispielsweise an der Beschaffung von Schiffen für die libysche Küstenwache. Diese ist für das Abfangen und die Rückführung von Migrant*innen nach Libyen zuständig - ein Land, das für die Verletzung der Rechte von Migrant*innen berüchtigt ist. In der Folge verwendet die EU dann ihr Entwicklungsbudget, um Migrant*innen aufgrund der katastrophalen Bedingungen aus Libyen zu evakuieren. Außerdem leitet die EU Gelder an die tunesische Küstenwache weiter, - trotz dokumentierter Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch tunesische Behörden, kritisiert Oxfam.

Anissa Thabet, Oxfam-Koordinatorin für Migration und Mobilität in Nordafrika, sagt: "Während Armut und Ungleichheit in Tunesien zunehmen, ist die EU damit beschäftigt, wegzusehen. Die Vereinbarungen, die sie trifft, ordnen die wirtschaftliche Entwicklung Tunesiens den EU-Migrationsinteressen unter."

In Niger führe der europäische Druck, Menschenschmuggel zu kriminalisieren und Migranten in Haft zu nehmen, dazu, dass Migranten auf noch gefährlichere Migrationsrouten ausweichen. Laut UN-Berichten sind Sicherheitskräfte, Polizei, Militär und Bedienstete der Einwanderungs- und Grenzbehörden in der Wüstenregion zwischen Niger und Libyen für über 60 Prozent der körperlichen Misshandlungen von Migrantinnen verantwortlich. Die EU stelle diesen Behörden trotz ihrer katastrophalen Menschenrechtsbilanz Gelder für Migrationsprojekte zur Verfügung, die eigentlich für Entwicklungszwecke vorgesehen sind.

Der Oxfam-Bericht weist auch auf Bedenken hinsichtlich Transparenz und Rechenschaftspflicht hin. Der Zugang zu öffentlichen Informationen, die Aufschluss über die Verwendung der Gelder geben, ist begrenzt, und es fehlt an klaren Definitionen für verschiedene Begriffe. So bezögen sich beispielsweise drei der untersuchten Aktivitäten in Niger auf "Migrationsmanagement", wobei dieser Begriff nicht klar definiert ist, beklagt Oxfam weiterhin.

Pope sagt: "Wenn es um Migration geht, tappen wir in vielen Fällen im Dunkeln. Wir wissen nicht, wie die Gelder der EU-Steuerzahler, die zur Armutsbekämpfung gedacht sind, tatsächlich verwendet werden. Der Mangel an Transparenz ist besorgniserregend, vor allem, da wir uns in der Mitte des EU-Hilfshaushaltszyklus befinden. Das Europäische Parlament muss in der Lage sein, einzugreifen und sicherzustellen, dass jeder Euro, der bereitgestellt wird, in der richtigen Weise ausgegeben wird."

Quelle: Oxfam-Studie - www.oxfam.de

Oxfams Bericht "Von der Entwicklung zur Abschreckung? Ausgaben für Migration im EU-Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI)"