Aachen/Berlin/Göttingen. - Laut einer neuen Studie von Misereor und Wissenschaftlern der Universität Göttingen zur "Armutslücke gesunder Ernährung" stößt enorme Armut auf extremen Reichtum. Berechnungen zeigen, dass weltweit drei Billionen US-Dollar fehlten, damit sich Menschen eine gesunde Ernährung leisten können, betont Lutz Depenbusch, Ernährungs-Experte bei Misereor. Dem gegenüber stehe eine globale Wirtschaftsleistung von 135 Billionen US-Dollar. Anders gesagt: die Armutslücke entspricht lediglich 2,2 Prozent der globalen Einkommen, hält jedoch fast die Hälfte, und zwar 41 Prozent der Menschheit von einer gesunden Ernährung ab.
"Gesunde Ernährung ist ein Menschenrecht, von dem weltweit zwei von fünf Menschen ausgeschlossen sind", erklärt Lutz Depenbusch anlässlich des Erntedankfestes am kommenden Sonntag (31.10.). Maßgebliche Ursachen sind wachsende Ungleichheit und Armut. "Ungesunde Ernährung hat oft schwerwiegende Folgen für die Betroffenen, aber auch für die gesamte Gesellschaft", so Entwicklungsökonom Depenbusch weiter. Die Ergebnisse der Studie erlauben Rückschlüsse darauf, wo Länder im Kampf gegen den Hunger an ihre finanziellen Grenzen stoßen und in welchem Umfang die Weltgemeinschaft aktiv werden muss, um die Armutslücke zu schließen.
"Besonders groß ist die Armutslücke in den Weltregionen Sub-Sahara Afrika und Südasien", fasst Jonas Stehl, Entwicklungsökonom an der Uni Göttingen, die Ergebnisse zusammen. "Allein Sub-Sahara Afrika macht 40 Prozent der globalen Armutslücke aus, Südasien 35 Prozent", so Stehl. Im Ländervergleich bestehen die größten Armutslücken in den bevölkerungsreichen Ländern Indien, Nigeria und Indonesien. Die Belastung pro Person ist in Madagaskar am höchsten. Dort fehlen den einzelnen Menschen durchschnittlich 73 Prozent des notwendigen Einkommens, um sich eine gesunde Ernährung leisten zu können. "Ohne Unterstützung von anderen Staaten wird es Ländern wie Madagaskar kaum möglich sein, die Versorgung mit gesunder Ernährung für alle Menschen zu gewährleisten", erklärt Stehl.
"Die Ergebnisse machen deutlich: Wer Hunger und Mangelernährung besiegen möchte, muss Ungleichheit und Armut verringern", beschreibt Lutz Depenbusch die notwenigen Maßnahmen. Und mahnt: „Es ist ein moralisches Versagen, wenn die Weltgemeinschaft den wachsenden Reichtum nicht stärker dafür einsetzt, das grundlegende Recht auf eine gesunde Ernährung aller Menschen zu sichern." Beispielsweise würde bereits eine Besteuerung der Vermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen von durchschnittlich 1,2 Prozent, Steuereinnahmen im Umfang von 78 Prozent der Armutslücke generieren. Der Steuersatz wäre so gering, dass die Gruppe trotzdem reicher würde.
Aus Sicht von Misereor müssten zwei Schritte im Fokus stehen: die gerechtere Verteilung der Einkommen und die Ausrichtung der Ernährungssysteme auf die Bedürfnisse aller Menschen. "Wenn sich hungernde und mangelernährte Menschen die Lebensmittel nicht leisten können, produziert das globale Agrarsystem fast ausschließlich für die Bedarfe wohlhabenderer Menschen", fasst Depenbusch zusammen. "Das nachhaltige Entwicklungsziel, den Hunger zu besiegen (SDG 2), dem sich auch Deutschland verschrieben hat, ist in weite Ferne gerückt. Nur mit deutlichen Fortschritten bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit (SDG 1 und 10) ist dieses Ziel erreichbar."
Quelle: Studie "Die Armutslücke gesunder Ernährung" (Misereor/Universität Göttingen)
Weitere Informationen und Materialien zur Studie in der Misereor Pressemappe Herausforderung Hunger (misereor.de)