ludescher ladislaus 500Durch welche Brille schauen Fernsehjournalisten, wenn sie Nachrichten zusammenstellen, TV-Sendungen präsentieren oder Talkshows moderieren? Diese Frage stellt sich verstärkt vor Wahlen wie der Bundestagswahl 2025. Aber auch danach interessiert das noch manche, vor allem Wissenschaftler, die Medientrends professionell auswerten und die Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorstellen. Ladislaus Ludescher, Germanist und Historiker, ist einer von ihnen. Im »European Journalism Observatory« (EJO) hat er jetzt eine Studie publiziert, die aufzeigt, wie provinziell das deutsche Fernsehen geworden ist. Das Interesse der "Newsroom"-Redakteure, "Anchorwomen" oder "Anchormen" an internationalen Themen (mit Ausnahme USA und Ukraine-Krieg) geht gegen Null. Kriege und Konflikte in Afrika, Asien oder Lateinamerika, oft genug Stellvertreterkriege, an denen der »Westen« beteililgt ist, interessierten in der Wahlberichterstattung nicht.

In der Berichterstattung vor der Bundestagswahl seien Kriege und Konflikte, die sich im Globalen Süden ereigneten, praktisch vollständig ignoriert worden, lautet das Ergebnis der Untersuchung Ludeschers. Dazu gehöre auch der seit zehn Jahren schwelende Konflikt im Jemen, den die Vereinten Nationen als eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit („one of the world’s worst humanitarian crises“) bezeichnen. Im sudanesischen Bürgerkrieg mussten mehr als elf Millionen Menschen fliehen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) nannte dies eine „schreckliche humanitäre Krise von epischen Ausmaßen“ („dire humanitarian crisis of epic proportions“). In der Demokratischen Republik Kongo, wo die von Ruanda unterstützte Rebellengruppe M23 Anfang Februar Goma einnahm, starben Tausende Menschen – ebenso kaum ein Thema der Parteien und Medien im Wahlkampf.

Ludeschers Medienanalyse trägt den Titel »Worüber im Bundestagswahlkampf gesprochen wurde und worüber nicht«. Der Wissenschaftler wertete
zwölf reichweitenstarke Wahlsendungen (darunter TV-Debatten) aus. Im Vordergrund standen laut der Studie innenpolitische Themen, insbesondere die »Migrationsdebatte«, verbunden mit der Frage nach der inneren Sicherheit. Außenpolitisch, so Ludescher, habe einzig der Ukraine-Krieg eine relevante Rolle gespielt: »Die Kriege und die humanitäre Lage in den Bürgerkriegsländern Jemen, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo, aber auch der Nahostkonflikt (Gaza, Israel, Libanon, das Westjordanland) wurden in fast allen wichtigen Wahlsendungen vollständig übergangen

Die Ergebnisse können auch auf den Internetseiten des „European Journalism Observatory“ (EJO), das beim Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus an der TU Dortmund erscheint, eingesehen werden.

Ladislaus Ludescher hat Germanistik, Geschichte und Europäische Kunstgeschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg studiert. 2017 promovierte er mit einer Arbeit über die Wahrnehmung der Amerikanischen Revolution in der deutschen Literatur. Derzeit habilitiert er am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik
der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. zum Thema "Rezeption der US-amerikanischen Präsidenten". Er lehrt auch am Historischen Institut der Universität Mannheim. Zu Ludeschers Forschungsschwerpunkten gehören die deutsch-amerikanischen Literatur- und Kulturbeziehungen und die in- und ausländische Medienanalyse.

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