Krieg

Wien/Berlin (epo.de). - "Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt?", fragte einst Karl Kraus. Und gab selbst die Antwort: "Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie es lesen." Diese Kostprobe des "Wiener Schmäh" war in der Einladung zur 23. Internationalen Sommerakademie des österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) zu lesen. Auf der Burg Schlaining bei Wien diskutierten Mitte Juli mehr als 300 Wissenschaftler, Journalisten und Interessierte aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kontrovers, humorvoll und manchmal auch aggressiv über Medien und ihre Rolle im Krieg. Martin Zint berichtet. Seine Sprache sei völlig unangemessen, musste sich Thomas Seifert, als Reporter für das Magazin News u.a. im Irak tätig, nach seinem Vortrag sagen lassen. In launiger Sprache hatte er einen sehr offenen Einblick in die Arbeitsbedingungen und die persönlichen Verarbeitungsstrategien eines Journalisten im Bagdad der Kriegstage gegeben. Dazu gehöre eben eine Sprache, wie sie auch bei Chirurgen zu beobachten sei, wenn sie über ihre Arbeit reden, erwiderte Seifert.
 
Die entscheidende Frage lautet, so Thomas Seifert: "Wo recherchiere ich?" Beim UN-Sicherheitsrat? Oder nehme ich die Einladung auf einen US-Flugzeugträger an? Dass die Entscheidung für den Flugzeugträger falle, sei den Erwartungen der Rezipienten geschuldet, so Seifert. Die seien "storyfixiert", wollten Geschichten hören.
 
Die Hauptverantwortung für die Berichterstattung liegt beim Journalisten und den Medien, hielt Andreas Zumach, UN-Korrespondent der taz, dagegen. Und stellte die Frage, warum die ARD neun Hörfunk-Korrespondenten in Washington beschäftigt. Einige davon könnten doch auch flexibel an aktuellen Brennpunkten eingesetzt werden. In Teheran z.B. herrsche derzeit ein klarer Mangel an deutschsprachigen Korrespondenten. Das sei es nicht allein, ergänzte der Nahost-Korrespondent des ZDF, Ulrich Tilgner. "Wenn ein Flugzeug abstürzt, fliegt mein Bericht aus Teheran aus dem Programm".
 
Der Berliner Korrespondent von Al Jazeera, Aktham Suliman, erinnerte daran, dass sein Sender nach seiner Gründung 1995 bis zum 11.9.2001 als Hoffnungsträger galt. Viele Kollegen kamen von der BBC, er selber von der Deutschen Welle. Seit dem 11.9. gehöre Al Jazeera zu den Beschuldigten. "'Ihr sendet Bin Laden Videos', werfen mir Kollegen vor, um dann zu fragen: 'Können wir das Band haben? Was kostet die Minute?'"
 
Unter der Überschrift "Friedensjournalismus als Beitrag zur Gewaltprävention?" entwickelte Nadine Bilke, Medienwissenschaftlerin und Online-Redakteurin beim ZDF, Perspektiven einer konfliktsensitiven Berichterstattung. Die schillernde Bandbreite des Begriffes "Friedensjournalismus" war in den Debatten bereits deutlich geworden. Nadine Bilke buchstabierte ihn als einen werteorientierten Qualitätsjournalismus. Sie wies darauf hin, dass Aktualität nicht allein eine Frage der Reaktionszeit sei, sondern der Begriff "Aktualität" auch eine inhaltliche Dimension habe: welche Themen sind aktuell?

Dazu dürften Journalisten Vorschläge machen, fügte Andreas Zumach hinzu. Sie tragen Verantwortung dafür, dass bestimmte Themen Eingang in den gesellschaftlichen Diskurs finden. Dazu sei in manchen Fällen eine Medienveröffentlichung nötig, auf die sich Politiker in ihrer Argumentation beziehen können.
 
Auch die Rezipienten sollten ihren Einfluss nutzen. Er rufe manchmal 8-9 Mal die Hotline eines Senders unter verschiedenen Namen an, um sich zu beschweren, sagte Omar Al-Rawi (Initiative muslimischer Österreicher). Sobald eine kritische Menge solcher Beschwerden vorliege, befassten sich die Redaktionen und ggf. vorgesetzte Gremien mit dem Thema, ist seine Erfahrung.
 
Jürgen Rose, Oberstleutnant und Publizist, schilderte sehr faktenreich die Versuche besonders des US-Militärs, Medien als "Kampfkraftverstärker" einzusetzen. Den weitgehenden Verpflichtungen, die "embedded journalists" eingehen, steht nur ein sehr begrenzter Erkenntnisgewinn entgegen. 700 "embedded journalists" haben nur ca. 50 Berichte von Kampfhandlungen geliefert.
 
Nicht "eingebettete" Journalisten gehen im Zeitalter des "embedded" ein besonders hohes Risiko ein. Zivile Fahrzeuge im Umfeld von Kampfhandlungen gelten rasch als feindlich und werden beschossen. Siegesmund von Ilsemann, Redakteur beim Spiegel, wies deshalb darauf hin, dass so ein hoher Druck auf die Verantwortlichen für die Kriegsberichterstattung entsteht, ihre Korrespondenten einbetten zu lassen. Auch wenn sie das unter journalistischen Gesichtspunkten ablehnen.

Angesichts zunehmender wirtschaftlicher und politischer Verflechtung von Medien gewinnen alternative Formen der Informationsübermittlung an Bedeutung. Karin Kneissl, Journalistin und Nahostexpertin, nannte die Zahl von 80.000 Weblogs allein im Iran. Oft werden sie von jungen Frauen zu den Themen Religion, Scheinheiligkeit, Liebe oder Trauer verfasst. (Buchtipp: Nasrin Alavi, Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005)
 
Auch am Schluss der 23. Sommerakademie stand wieder ein Aphorismus, diesmal eines deutschen Autors: "Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen." (Georg Christoph Lichtenberg)

"Gute Medien - böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus". 23. Internationale Sommerakademie des Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), Burg Schlaining vom 9. bis 14. Juli 2006.

Martin Zint ist freier Journalist in Mühltal bei Darmstadt.


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