Die Welt in der wir leben (Foto: epo.de/Klaus Boldt)

Angesichts der Globalisierung der Märkte werden die Fähigkeiten, Zugang zu Informationen zu erhalten, Informationen zu erzeugen, zu kanalisieren und sie effektiv zu nutzen, zu den wichtigsten Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern. Den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien - insbesondere Internet und Onlinediensten - kommen hierbei besondere Bedeutung zu.

Von Holger Baum, Klaus Boldt und Kambiz Ghawami

Die Neuen Medien stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung - sowohl in technischer Hinsicht als auch in Hinblick auf ihre Nutzungs- und Einsatzmöglichkeiten. Es gilt jedoch als sicher, daß die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien vergleichbare Wirkungen haben werden wie zu ihrer Zeit Dampfmaschinen, Elektrizität, Verbrennungsmotor oder Telefon. Mit dem Einsatz und der massenhaften Nutzung dieser damals bahnbrechenden Entwicklungen geschahen nicht nur sprunghafte und beschleunigte Veränderungen bei Produktionsformen, Verkehrsverbindungen und beim Austausch von Waren und Informationen. Was sich dazu parallel ebenso rasch veränderte, waren Weltbilder, Wertvorstellungen, die Wahrnehmung von Zeit und Raum, die Arbeitswelt und nicht zuletzt soziale Beziehungsgeflechte. Alle bedeutenden technischen Entwicklungen haben zudem die Fähigkeiten und Chancen ihrer Nutzer erhöht, ihren wirtschaftlichen, politischen und nicht zuletzt auch ihren kulturellen Einfluß auszuweiten und zu verstärken. Es ist nicht anzunehmen, daß dies bei den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien anders sein wird.

Verlieren Entwicklungsländer den Anschluß?

In vielen ärmeren Entwicklungsländern wächst deshalb die Sorge, in der im Entstehen begriffenen "Informationsgesellschaft" einmal mehr den Anschluß an die führenden Wirtschaftsnationen zu verlieren. Die technischen Zugangsmöglichkeiten, Bildung und die Beteiligung breitester Bevölkerungsschichten an der Nutzung der neuen Medien sind die wichtigsten Voraussetzungen für den Übergang in die Informationsgesellschaft. 80 Prozent der Weltbevölkerung mangelt es jedoch an den grundlegendsten Telekommunikationseinrichtungen. Nach einer Statistik der Internationalen Telekommunikations-Union in Genf kommt auf jeden Bürger Afrikas ein Telefongespräch von weniger als einer Minute Dauer pro Jahr.

Zwar gibt es in einigen Schwellenländern bereits High-Tech-Zentren, in denen gut ausgebildete Software-Ingenieure Computerprogramme für den internationalen Markt entwickeln und Daten für multinationale Konzerne verarbeiten. Die meisten Metropolen in der Dritten Welt sind bereits an das Internet angeschlossen und damit in der Lage, am weltweiten Austausch von Wissen zu partizipieren. In vielen ländlichen Regionen des Südens wird eine flächendeckende Versorgung mit modernen Kommunikationsmitteln jedoch auf absehbare Zeit Utopie bleiben.

Neben der unzureichenden Telekommunikations-Infrastruktur ist es die mangelnde Multimedia-Fähigkeit vieler Entwicklungsländer, die für äußerst ungleiche Startbedingungen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft sorgt. In den Statistiken der Internationalen Telekommunikations-Union über die Zahl der Personalcomputer und Fernsehgeräte pro Kopf der Bevölkerung rangieren die Länder des Südens mit wenigen Ausnahmen (Singapur, Südkorea) auf den hinteren Plätzen. Vor allem in schwarzafrikanischen Staaten schränkt zudem das mangelnde Wissen im Umgang mit den neuen Technologien die Ausbreitung von Internet und Onlinediensten ein.

Eine breite Beteiligung der Bevölkerungen in den Entwicklungsländern an den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist daher auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Der Besitz- und Bildungselite und einer Schar gut ausgebildeter EDV-Arbeiter in den Metropolen steht die (arme) Masse der Bevölkerung ohne entsprechende Bildung und ohne Zugang zu den neuen Technologien gegenüber. Das strukturelle Ungleichgewicht innerhalb vieler Staaten der Dritten Welt droht sich dadurch zu verschärfen. In weitaus stärkerem Maße als in den Industriestaaten besteht die Gefahr, daß sich eine Zweiklassengesellschaft "Wissender" und "Unwissender" herausbildet.

Neue Informationstechnologien und Globalisierung

Die eigentlichen Motoren hinter dem rasanten Ausbau des globalen Informationsnetzes sind die "global Players" der Informationstechnologie wie AT&T, Microsoft, Telecom u. a. Ihre Investitionen in Verkabelungsprojekte und Satellitenverbindungen entsprechen einer langfristigen Return-on-Investment-Strategie. Ihre Ziele treffen sich mit den Interessen von Unternehmen anderer Branchen (Banken etc), die von der Globalisierung am effektivsten profitieren können, wenn ihnen die geeigneten technischen Voraussetzungen zum schnellen Austausch und zur schnellen Beschaffung von Informationen zur Verfügung stehen. Das Internet ist damit sowohl Bestandteil der Globalisierung als auch einer ihrer Motoren.

Es ist unstrittig, daß in der Informationstechnologie die Wachstumsmärkte der Gegenwart und Zukunft liegen. Darauf ist auch die ungeheure Dynamik der Entwicklung zurückzuführen, bei der Regierungen allenfalls noch einige Rahmenfaktoren beeinflussen, aber kaum noch steuernd eingreifen können. Mehr noch: Regierungen suchen den Schulterschluß mit den Global Players, um den Anschluß an diese Entwicklung nicht zu verlieren. So wären ohne die Investitionen großer Informationstechnologie-Firmen nur wenige Staaten Afrikas in der Lage, aus eigenen Mitteln die Auffahrt zur Datenautobahn zu finanzieren.

Neue Abhängigkeiten und kultureller Identitätsverlust?

Angesichts der technischen Standards (insbesondere bei der Software), die von den Technologiefirmen westlicher Industriestaaten vorgegeben sind, und der derzeit noch zu beobachtenden Dominanz von "westlichen" Werten und Inhalten in Internet und Onlinediensten entstehen Befürchtungen, daß viele Länder des Südens beim Übergang in die Informationsgesellschaft in neue Abhängigkeiten geraten könnten. Soweit es die technischen Standards betrifft, ist der monopolartige Einfluß der westlichen Unternehmen unverkennbar. Sowohl im Softwarebereich als auch bei den führenden Inhalte-Anbietern in Internet und Onlinediensten zeichnet sich ein erster wirtschaftlicher Konzentrationsprozeß ab. Es ist zu erwarten, daß sich nur wenige "Global Players" auf Dauer auf dem Weltmarkt plazieren können. Alternative Angebote aus nicht-westlichen Kulturkreisen in den neuen Medien werden deshalb nur wenig Chancen haben sich durchzusetzen.

In welchem Maße über die "Datenautobahn" ein kultureller Identitätsverlust für die Länder des Südens eintritt, ist dagegen umstritten. In gewissem Umfang ist anzunehmen, daß mit den Technik-Standards auch westliche Werte und westliches Denken übernommen werden. So ist z. B. die neuen Informationstechnologie auf das Individuum zugeschnitten, was insbesondere traditionell kollektiven Gesellschaften in Asien Probleme bereitet. Hinzu kommt die Dominanz der englischen Sprache in Internet und Onlinediensten, die zu einem Bedeutungsverlust anderer Sprachen und Kulturen führen könnte. Insbesondere Sprachen, die sich nicht der lateinischen Schrift bedienen, werden durch die standardisierten Zeichensätze in den internationalen Datennetzen benachteiligt. Dies muß jedoch keineswegs zu einem Verlust kultureller Eigenarten führen. Wenn dem so wäre, gäbe es wohl kaum so viele verschiedene kulturellen Besonderheiten in den Industrienationen, wo der Umgang mit englischen Fachbegriffen an der Tagesordnung ist. Die Japaner haben weder durch die Computertechnologie noch durch die damit einhergehenden Anglizismen ihre kulturellen Wurzeln und Werte verloren. Zudem darf nicht übersehen werden, daß es die globalen Informationstechnologien gestatten, Kommunikationsbarrieren zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zu überwinden.

Zu einer "kommerzialisierten Allerweltskultur" wird das Internet allerdings kaum mehr beitragen als andere Medien. Deshalb ist die insbesondere in der deutschen Debatte über die globale Informationstechnologie zu hörenden Forderung nach "Regelungen im Sinne der Rezipienten" eine übertriebene Reaktionen. Genauso gut könnte man "Regelungen" verlangen, die Coca Cola, MacDonalds oder Hollywood-Filme betreffen, haben diese doch ohne Zweifel einen erheblichen globalen kulturellen Einfluß. Nicht die Entmündigung der Rezipienten kann Ziel einer demokratischen Weltgesellschaft sein, sondern die Erweiterungen seiner Kompetenzen, Fähigkeiten und Möglichkeiten im Umgang mit den neuen Technologien und bei der Nutzung von Informationen. Dies wird die Menschen auch am ehesten in die Lage versetzen, ihre kulturelle Identität in Einklang mit den Herausforderungen der Informationstechnologien zu bringen.

Neue Medien als Chance

Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien bieten auf jeden Fall Chancen für die Länder des Südens. Sie eröffnen neue, schnelle und kostengünstige Möglichkeiten des Wissenstransfers insbesondere im akademischen Bereich und können entscheidend dazu beitragen, das Informationsgefälle zwischen Nord und Süd zu verringern. Auch in ärmeren Entwicklungsländern sind Wissenschaftler, Mitarbeiter öffentlicher Institutionen und nichtstaatlicher Organisationen durch die Möglichkeit, elektronische Post zu einem Bruchteil der Kosten für Telefon oder Telefax zu empfangen und zu versenden, erstmals in der Lage, mit der Welt zu kommunizieren.
Im wirtschaftlichen Bereich erlauben die neuen Kommunikationstechnologien auch kleineren und mittleren Unternehmen, Produkte weltweit zu vermarkten und neue Absatzmärkte für Waren und Dienstleistungen zu erschließen. Sie können z. B. ihre Angebotsinformationen weltweit zu relativ günstigen Kosten jedermann zugänglich machen. Mehr noch: Das Internet selbst wird zum Transportmittel von Dienstleistungen und Waren. So lassen sich elektronische Anlagen über das Netz warten und reparieren. EDV-Programme lassen sich direkt via Internet verkaufen, weil die Kunden sich die Programme "herunterladen" können. In Indien sind Tausende neuer Arbeitsplätze für junge Computerfachleute entstanden, die nicht nur auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich neue Software-Programme entwickeln, sondern auch via Internet z. B. die Datenpflege für deutsche Bankhäuser übernommen haben. Von beträchtlicher Bedeutung sind elektronische Informations- und Buchungssysteme bereits jetzt in der internationalen Tourismusindustrie.

Denkbar wäre, daß mit den neuen technischen Möglichkeiten die Länder des Südens Entwicklungsstadien überspringen und sich verstärkt auf die Nutzung und Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien einstellen, statt nach dem Muster einer nachholenden Entwicklung weiterhin in umweltverschmutzende Schwerindustrien oder andere verarbeitende Industriezweige zu investieren. Zumindest die Schwellenländer und fortgeschrittene Entwicklungsländer haben jetzt (erstmals) die Gelegenheit, zeitgleich mit den Industrienationen eine für die Entwicklung bedeutsame Hochtechnologie zu nutzen. So plant die neue südafrikanische Regierung das Internet für den Aufbau eines Fernunterrichts zu nutzen, um Bildung auch in abgelegenen Gebieten zugänglich zu machen, und Gesundheitszentren miteinander zu vernetzen, um schnelle Diagnosen und medizinischen Informationsaustausch zu ermöglichen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Investitionen in die modernen Kommunikationstechnologien - von den Übertragungswegen bis zu Geräten und Programmen - die finanziellen Möglichkeiten vor allem der ärmsten Länder deutlich übersteigen.

Es würde den Zukunftschancen der Entwicklungsländer zuwider laufen, sowohl die bereits erwähnten Befürchtungen eines kulturelle Identitätsverlustes als auch die Interessen der global agierenden Unternehmen an der weltweiten elektronischen Vernetzung als Argument gegen die Einbindung der ärmeren Länder in dieses Netz ins Feld zu führen, wie dies zuweilen in Deutschland in entwicklungspolitischen Diskussionszirkeln zu vernehmen ist. Tatsächlich würden diese Länder ohne ausreichenden Zugang zu modernen Informationssystemen endgültig von der sich immer mehr verflechtenden Weltökonomie abgekoppelt. Gerade deshalb müssen ihre Chancen gestärkt werden, eine junge und einfach zu handhabende Technologie für "den Sprung nach vorn" nutzen zu können. Nur wer an der globalen Vernetzung teilnimmt, hat einerseits Möglichkeiten, die Inhalte mitzubestimmen, und kann sich andererseits den gleichen Informationsstand zu verschaffen wie die "User" und Anbieter in den industrialisierten Ländern.

In diesem Zusammenhang ist z. B. das Weltbankprogramm "Information for Development" (infoDEV) ausdrücklich zu begrüßen, das die "weitestmögliche Eingliederung der Entwicklungsländer in die internationale Informationsökonomie" erreichen will. Insbesondere die deutsche Entwicklungspolitik wäre gut beraten, auf diesem Gebiet sehr viel deutlichere Anstregungen zu unternehmen und erheblich mehr Mittel und Know How als bisher für den Ausbau der Kommunikationsvernetzung in den Partnerländern bereitzustellen.

Neue Chancen für die globale Zivilgesellschaft

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen nutzen heute bereits das Internet geschickt und innovativ als demokratische Informations- und Aktionsplattform und zeigen damit eine weitere Dimension der Neuen Medien auf: Mittels der modernen Kommunikationstechnologien sind sie in der Lage, ihre Kampagnen weltweit zu koordinieren und ihre Lobby-Arbeit beträchtlich zu effektivieren. Vor allem Nichtregierungsorganisationen im Umweltbereich haben so eine enorme Schlagkraft entwickelt. Der blitzschnelle Informationsaustausch mit Organisationen auf allen Kontinenten hat dazu geführt, daß der Wissensvorsprung staatlicher Institutionen oder multinationaler Konzerne geschrumpft ist.

Die Einbindung von Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen im Süden in die von Nord-NRO geführten Kampagnen verleiht letzteren zudem eine weitaus höhere Legitimität. Statt bloße Sachwalter der Interessen nichtstaatlicher Organisationen im Süden zu sein, können NRO im Norden gemeinsam mit diesen Lobby-Arbeit bei nationalen Regierungen, Behörden und internationalen Institutionen leisten.

Global vernetzte Nichtregierungsorganisationen sind der Kristallisationskern einer internationalen Zivilgesellschaft, der die Rolle eines notwendigen Korrektivs in einer von Globalisierung gekennzeichneten Weltwirtschaft zukommt. Nationalstaatliche Regierungen sind angesichts der Macht weltweit operierender transnationaler Konzerne immer weniger in der Lage, eine Kontrollfunktion auszuüben. In den Möglichkeiten, per Internet Zensurmaßnahmen autoritärer Regime zu unterlaufen, liegen Chancen für eine weltweite Demokratisierung. Nicht von ungefähr sind autoritäre Regierungen wie diejenigen Singapurs oder Indonesiens und die kommunistische Volksrepublik China bestrebt, Internet-Angebote in ihren Ländern zu kontrollieren bzw. zu zensieren.

Um den Demokratisierungsaspekt zu stärken, halten wir es für erforderlich, daß nichtstaatliche Organisationen an den Planungen der großen internationalen Vernetzungsinitiativen beteiligt werden. Zudem sollten sowohl die offizielle Entwicklungspolitik als auch die entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen in Deutschland sehr viel mehr als bislang erkennbar ihre Partner im Süden beim Zugang zum Medium Internet unterstützen - und zwar in beide Richtungen: als Informationsnutzer und als Informationsgeber. Über das Internet ließe sich sogar die alte Forderung des Südens nach einer stärkeren Beteiligung an und Berücksichtigung in der Weltinformationsordnung ein Stück weit verwirklichen. Zu recht klagen die Entwicklungsländer darüber, daß ihre Stimmen in den von einigen westlichen Presseagenturen und TV-Imperien beherrschten klassischen Medienmärkten der Welt (Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen) kaum berücksichtigt werden. Sofern sie über den Zugang verfügen, können heute via Internet Menschen und Institutionen des Südens weltweit ihre Interessen und Standpunkte vorbringen.

Schulen ans Netz - auch in Afrika, Asien und Lateinamerika

Sofern die Voraussetzungen dazu geschaffen werden, könnten die neuen Kommunikationstechnolgien auch in Entwicklungsländern den Übergang zur "Wissensgesellschaft" beschleunigen. Was dies bedeutet, hat - auf Deutschland bezogen - der Bericht der Enquete-Kommission "Zukünftige Bildungspolitik-Bildung 2000" des 11. Deutschen Bundestages unter Vorsitz von Eckart Kuhlwein in Hinblick auf Neue Medien wie folgt definiert:

"Angesichts der heute verfügbaren Möglichkeiten, sich selbständig und relativ kurzfristig das im Beruf jeweils benötigte (Anwendungs-) Wissen anzueignen, scheint dies auch durchaus möglich zu sein, Dies setzt aber nicht nur die Verfügbarkeit sog. Advanced Open Learning Systems (AOLS´s) und den leichten Zugang zu ihnen voraus, dies erfordert vor allem auch jene Fähigkeiten zur Selbstlernqualifikation die als Selflearning Competency bezeichnet wird und die als Teilaspekt einer umfassenden Kommunikationsfähigkeit bzw. Kommunikationskompetenz zu verstehen ist. Diese umfassende Fähigkeit und Kompetenz, die man zugleich als die zentrale Schlüsselqualifikation einer künftigen Informations- und Kommunikationsgesellschaft ansehen könnte, schließt die Fähigkeit ein, sich solcher Systeme zu bedienen, vor allem aber die Bereitschaft, solche Systeme als Instrumente des Lernens und des Wissenserwerbs anzunehmen und sachkundig mit ihnen umzugehen, ohne zu ihrem 'Sklaven' zu werden."

Soweit die Enquete-Kommission. Doch wie sieht die Realität in den Schulen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aus, um sich dieses Entwicklungs- und Anwendungs-Wissens zu bedienen? Das im thailändischen Jomtien 1990 formulierte Ziel der Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2000 das Analphabetentum zu überwinden, wird, laut Einschätzung des Bundesministerium für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung "nicht erreicht werden. Immer noch können 1 Milliarde Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika weder lesen noch schreiben. Rund 130 Millionen Kinder im Schulalter haben keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, Zwei Drittel dieser Kinder sind Mädchen. Derzeit besuchen in vielen Ländern Afrikas und Asiens nur jedes zweite Kind, in Lateinamerika im Schnitt drei von vier Kindern die Schule. Auch von denen, die eingeschult werden, verlassen viele die Schule, ohne die grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen erlernt zu haben. Gründe dafür sind überfüllte Klassen, zu wenige und schlecht ausgebildete Lehrer, nicht angepaßte Curricula, mangelhaftes Lehrmaterial, unregelmäßiger Schulbesuch bzw. Abbruch aus wirtschaftlichen Gründen."

Man könnte meinen, daß die Situation schwierig, wenn nicht gar aussichtslos sei. Doch es gibt positive Beispiele, wie trotz mangelnder "schulischer-Startchancen" mit Hilfe der Neuen Medien der Anschluß an die führenden "Wissensgesellschaften" versucht wird. So hat z.B. die Regierung von Eritrea 1992, nach Ende eines 30jährigen Krieges, gezielt damit begonnen, nicht nur in ländlichen Regionen des Landes zerstörte Schulen wieder aufzubauen bzw. neu zu errichten, sondern diesen Schulen mit Solaranlagen den Zugang zur Informationsgesellschaft zu ermöglichen.

Auf diese Weise konnten innerhalb von 5 Jahren mit finanzieller Förderung durch die Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, und Hessen über den World University Service (WUS) 50 Schulen für rund 60.000 Schüler und Schülerinnen mit Solaranlagen ausgestattet werden und somit, neben der Nutzung der Schulen für Abendklassen, durch einen Stromanschluß auch der Einsatz von Diaprojektoren, Radio, Fernsehern und Computern in den Schulen ermöglicht werden. Die Idee der eritreischen Regierung ist so einfach wie sinnvoll: Wenn schon das Bildungssystem aufgebaut wird, dann sollten auch moderne Technologien, wie z.B. Solarenergie und Neue Medien, von Anbeginn die Lernbedingungen, insbesondere in den ländlichen Regionen den künftigen Anforderungen einer sich entwickelnden Dienstleistungsgesellschaft für den ostafrikanischen Markt so gestaltet werden, daß sie diesen Anforderung gerecht werden.

Die Erkenntnis, daß es neben Südafrika, mit seinem Dienstleistungs- und Telekommunikationssektor, weiterer Zentren für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika bedarf, leitet die eritreische Regierung beim gezielten Aufbau des Landes zu einem dieser Dienstleistungszentren. Sie bestimmt entsprechend die Weichenstellungen und Investitionen im Bildungssektor, trotz immenser Nachkriegsprobleme und dem Widerstand so mancher Geberländer bzw. der Entwicklungsorganistionen diese eigenständig formulierten Entwicklungsstrategien zu akzeptieren.

Dies ist ein Beispiel, wie ein Entwicklungsland den Anschluß an der sich rasant entwickelnden Wissensgesellschaft, in der mehr Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf der Welt leben, als in allen früheren Zeiten zusammengenommen und in einer Zeit, in der an jedem Arbeitstag weltweit über 20 000 wissenschaftliche Aufsätze erscheinen und sich das Wissen - wie auch immer definiert - alle fünf Jahren verdoppelt. Bei gegenwärtig ca. 50 Millionen Internet-Nutzer kommt der gezielten Investition in Bildung und dem Zugang zu den Neuen Medien eine überragende Bedeutung zu und wird darüber entscheiden, wer künftig zur WISSENSGESELLSCHAFT gehört und wer nicht.
Diese "kulturelle Leistung" auch den Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu ermöglichen, ist die eigentliche Herausforderung einer sich wandelnden "Entwicklungspolitik" die sich ihrer solidarischen Verantwortung angesichts dramatischer Weltkonflikte, Hungersnöten, Massenarmut und Umweltzerstörungen stellen muß. Solidarität bedeutet auch in diesem Zusammenhang, die Stärkung von Grundwerten als Gegenpol zu den Gefahren der Globalisierung und der Macht der transnationalen Unternehmen, die wieder der politischen Steuerungskompentenz seitens der nationalen Regierungen unterworfen werden müssen.

Denn trotz fortschreitenden Ausbaus und Nutzung der Neuen Medien wird die Frage des "Bezahlens" eine entscheidende Frage bleiben. Investitionen in die Neuen Medien und im Ausbau der Datennetze bedeutet auch, daß die Verzinsung des eingesetzten Kapitals für die Unternehmen im Vordergrund steht. Somit stellt sich wieder die Frage des Zugangs. Werden die Zugangskosten in das weltweite Internet so gestaltet, daß auch Schulen in Afrika, Asien und Lateinamerika der Zugang tatsächlich ermöglicht wird, oder wird durch die Zugangskosten wieder ein weiteres Selektionskriterium eingeführt bzw. verfestigt und somit die Kluft zwischen Nord und Süd weiter vergrößert?

Solange z.B. der Kaufpreis für ein Modem in Indien viermal so hoch ist wie in den USA bzw. der Internetzugang in Peru pro Jahr mit bis zu 12 000 US$ veranschlagt wird und in den USA mit 2 000 US$, wird der Zugang zum internationalen Datenverkehr abermals über den Geldbeutel entschieden.

Es wäre daher zu prüfen, inwieweit zukünftig die Zugangskosten für Bildungseinrichtungen zum Internet als Teil einer gezielten Budgethilfe im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit seitens der "Geberländer" übernommen werden könnten. und somit z.B. die bundesdeutsche Initiative - von Bund und Ländern - "Schulen ans Netz" - , auch als Zukunftsinvestition auf Afrika, Asien und Lateinamerika ausgedehnt wird, einhergehend mit der weiteren Verbreitung von Solaranlagen für Schulen in ländlichen Regionen.

Das Projekt "Schulen ans Netz" würde es auch ermöglichen, daß Schulklassen in Deutschland mit Schulklassen in Afrika, Asien und Lateinamerika an gemeinsamen, fächerübergreifenden Fragestellungen herangeführt werden und somit von- und miteinander lernen. Für die Lehrkräfte würde dies auch bedeuten, gemeinsam Unterrichtseinheiten vor- und nachzubereiten und somit gemeinsam über Kontinente hinweg, einen Sicht- und Paradigmenwechsel hin zum GLOBALEN LERNEN als pädagogisches Konzept zu ermöglichen.

Im Rahmen der staatlichen aber auch der nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit sollte dem Zugang zur neuen Informationstechnologie und der Vermittlung von Wissen im Umgang mit ihr ein deutlich höherer Stellenwert als bisher erkennbar eingeräumt wird.


Zuerst veröffentlicht in: epo.de

in Spektrum der Wissenschaft; Dossier: Die Welt Im Internet, 1/98

Holger Baum, Medienberater
Klaus Boldt, Redakteur epo.de und epo.de-Herausgeber
Dr. Kambiz Ghawami, Geschäftsführer des World University Service


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