Social WatchBonn (epo.de). - Systeme zur sozialen Sicherung müssen künftig weltweit stärker ausgebaut und auch in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Social Watch Report 2007, der am Freitag in Bonn vorgestellt wurde. Unter dem Titel "Würde und Menschenrechte wahren" beleuchtet der Report in einer deutschen und in einer internationalen Ausgabe vor allem die Frage, wie weltweit soziale Sicherungssysteme geschaffen werden können, die allen Menschen zugute kommen.

"Die Globalisierung der Märkte grenzt Menschen in Nord und Süd von sozialer Sicherheit aus. Angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich brauchen wir weltweit stärkere Anstrengungen für den Aufbau von Grundsicherungssystemen. Die Würde des Menschen und der Menschenrechtskanon sind die Grundlage dafür", erklärte Danuta Sacher, Abteilungsleiterin Politik und Kampagnen bei "Brot für die Welt".

Nach Artikel 9 des internationalen Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gehört es zu den staatlichen Pflichten, den Zugang zu sozialer Sicherheit zu gewährleisten und Sicherheitsnetze für Notfälle bereitzustellen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat allerdings keinen Zugang zu einer ausreichenden sozialen Sicherung.

Ausgeschlossen sind vor allem die Armen in Entwicklungsländern. Bestehende Sozialversicherungssysteme gelten in der Regel meist nur für Beschäftigte mit ordentlichen Arbeitsverträgen (formeller Sektor). In den Entwicklungsländern arbeitet jedoch die große Mehrheit in vertraglich nicht abgesicherten, häufig prekären Verhältnissen im informellen Sektor. Auch fehlen in vielen Ländern Grundsicherungssysteme, die dazu beitragen, eine ausreichende Ernährung zu gewährleisten und das Überleben zu sichern.

"Die internationale und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollten den Ausbau von Systemen der sozialen Sicherung künftig deutlich stärker unterstützen. Politik und Gesellschaft in den Entwicklungsländern stehen vor der Herausforderung, breitenwirksame Sicherungssysteme zu etablieren", betonte Wilfried Steen, Vorstandsmitglied des EED. "Eine einseitige Ausrichtung auf privatisierte Systeme, wie die Weltbank sie durchzusetzen versucht, ist für uns und unsere ökumenischen Partnerorganisationen keine Lösung", sagte Steen.

"Das Recht auf soziale Sicherheit gehört seit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 zum festen Bestandteil des Menschenrechtskatalogs. Dennoch wird es heute auf der ganzen Welt täglich verletzt", erklärte Roberto Bissio (Montevideo), Direktor des internationalen Netzwerkes Social Watch, aus Anlass der Vorstellung der internationalen Ausgabe des Social Watch Report 2007 in Bonn. Für Bissio ist eine der Hauptursachen dieser Menschenrechtsverletzungen das globale "Wettrennen nach unten", bei dem "Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für transnationale Unternehmen gekürzt werden, um Investitionen ins Land zu holen". Steuerparadiese und Offshore-Bankinstitute, die zur Steuerhinterziehung verleiten, seien mitverantwortlich dafür, dass Staaten nicht genügend Geld für Maßnahmen zur Verwirklichung des Rechtes auf Sicherheit haben, betonte Bissio unter Berufung auf den diesjährigen Social Watch Report.

Der Bericht zeigt auf, wie wirtschaftliche Strukturen und Entwicklungen das Recht auf Sicherheit bedrohen. Hierzu gehört die globale Tendenz, Umlagesysteme zur Altersversicherung durch kapitalgedeckte Systeme mithilfe privatwirtschaftlicher Rentenversicherer zu ersetzen. "Die Politik der Rentenversicherungen bedroht immer stärker eine Verwirklichung des Rechtes auf soziale Sicherheit. Längst sind sie zu mächtigen Investmentfonds aufgestiegen, die kein Risiko scheuen. Ihr Einstieg bei Hedge- und Private-Equity-Fonds ist angesichts der überaus riskanten Kreditaufnahmepolitik dieser Fonds ein gefährliches Spiel mit dem Geld von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die auf die Rentenversicherungen angewiesen sind", sagte Klaus Heidel (Heidelberg), der Sprecher von Social Watch Deutschland.

Vor allem für die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Entwicklungsländern sind private Rentenversicherungen kein Weg zur Altersvorsorge, da sie über keinerlei Ersparnisse verfügen. Auch andere umlagegestützte Sozialversicherungssysteme erreichen die Menschen nicht, da sie nur in der informellen Ökonomie Arbeit finden, dort aber keine Beiträge zur Sozialversicherung geleistet werden. "Bestehende Systeme müssen konzeptionell weiterentwickelt werden, damit alle Menschen ausreichend Unterstützung erhalten. Erforderlich sind staatliche Transfersysteme für Sach- und Geldleistungen, um eine Grundsicherung zu gewährleisten. Auch hierzu brauchen arme Länder deutlich mehr finanzielle Unterstützung - auch durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit", forderte Richard Brand von der Gemeinsame Arbeitsstelle Armutsbekämpfung von "Brot für die Welt" und Evangelischer Entwicklungsdienst.

Auch in Deutschland wird das Recht auf soziale Sicherheit für ältere Menschen zunehmend unterlaufen. "Die gesetzliche Erhöhung des Rentenalters und die Rentenkürzungen treffen Geringqualifizierte, Geringbeschäftigte und Erwerbslose am stärksten. Die Rente ist nicht nur nicht sicher, sie wird immer unsicherer. Dies wird verstärkt durch das mit der Riesterrente eingeführte Kapitaldeckungsprinzip, das de facto den Einstieg ins Pensionsfondsgeschäft bedeutet und die Alterversorgung der Logik und den Risiken der Finanzmärkte überlässt", erklärte Christa Wichterich von WOMNET. Sie fordert: "Neue Konzepte müssen her, um das Recht auf soziale Sicherheit zu gewährleisten."

Der vom globalen Social Watch Netzwerk herausgegebene internationale Social Watch Report und dessen deutsche Ausgabe wurden in diesem Jahr erstmals gemeinsam vorgestellt. Der internationale Bericht erscheint seit 1997, der Social Watch Deutschland Report seit 2001. Beide Berichte beschäftigen sich unter dem Thema "Würde und Menschenrechte wahren" mit dem "Recht auf soziale Sicherheit für alle".

Social Watch Deutschland/Forum Weltsozialgipfel (www.social-watch.de) ist ein Forum von 28 entwicklungs- und sozialpolitischen Organisationen, kirchlichen Institutionen, politischen Stiftungen und Gewerkschaften. Es wurde im Vorfeld des Weltgipfels für soziale Entwicklung (Kopenhagen 1995) gegründet. Sein Ziel ist die kritische Beobachtung der Umsetzung von sozial- und entwicklungspolitischen Beschlüssen großer Weltkonferenzen.

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