
Vom Reförmchen bis zum radikalen Systemwandel - das politische Spektrum beim Attac-Kongress “Kapitalismus am Ende?” an der Berliner TU ist breit gefächert. Gewerkschafter, Kirchen, Linkspartei, SPD-Linke, Grüne, NGOs, Gentechnik-Feldbefreier, Marxisten, Trotzkisten, die “Sozialistische Alternative”, die Emanzipationsbewegung, NATO-Gegner, Anhänger der Lehren des “Meisters der zeitlosen Weisheit Maitreya” wollen den Raubtier-Kapitalismus Geschichte werden lassen. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, findet einen Begriff dafür, der ein zustimmendes Echo findet: “Mosaik-Linke”.
RATLOS IM RECHT

Für den Übergang empfiehlt Urban, einen “historischen Block von progressiven Kräften” zu bilden, der ein “Weiter so” durch die alten Eliten verhindert. Dafür erhält er donnernden Beifall, im Gegensatz zu ver.di-Chef Frank Bsirske, der nicht einmal zur geplanten Großdemonstration am 28. März mit aufrufen will.
Urban macht klar: “Weder ein roter noch ein grüner Keynesianismus” ist die Lösung, und deshalb erteilt er Heiner Geißlers globaler sozialer Marktwirtschaft eine Absage. “Wir schmeißen die Illusion der sozialen Marktwirtschaft über Bord”, sagt der Metaller. “Der Kapitalismus muss immer wachsen - oder er ist in der Krise.”
DER MARKT AN UND FÜR SICH
Heiner Geißler kritisiert die neoliberale “Ideologie der Marktgläubigkeit” ebenso vehement. Die Attac-Gemeinde ist ihm sogar zu lasch, wenn es um Propaganda (“da verstehe ich etwas davon”) für die gemeinsame Sache geht. “Man kann das auch zu Tode analysieren”, schimpft er über das Forschen in Dutzenden von Seminaren und Foren nach den Ursachen der Krise.

Geißler will, dass der Kongress zumindest mit klaren Forderungen für die Schließung der Steueroasen und für eine internationale Börsenumsatzsteuer an die Öffentlichkeit geht. Schon eine Abgabe von 0,2 Prozent auf jede Finanztransaktion an der Börse würde 300 Milliarden US-Dollar bringen, rechnet er vor.
GEWERKSCHAFTLICHES UMDENKEN
Brisanter ist da schon Urbans Eingeständnis, die Gewerkschaften seien zu wenig kapitalismuskritisch gewesen und müssten nun erkennen, dass ein radikales Umdenken erforderlich sei. Er fasst sich an die eigene Nase: Eine massenhafte Arbeitslosigkeit in der Automobilindustrie sei nicht die Lösung, aber man müsse einen Weg in eine gesellschafts- und umweltverträgliche globale Zukunft finden. Deshalb gelte es, die Debatte “Vom Automobilkonzern zum Mobilitätskonzern” wiederzubeleben.
Ihr Kerngeschäft, so Urbans Analyse, haben die Autokonzerne “an die Wand gefahren”. Wie man die Wirtschaft demokratisch umformen, politisch regulieren und letztlich in eine Art “mixed economy mit unterschiedlichen Formen des Eigentums” überführen könne - da sei man noch ganz am Anfang der Debatte.
Wenn der Attac-Kongress an der TU Berlin zum Maßstab genommen werden würde, sähe die Zukunft nach dem real existierenden Kapitalismus allerdings so aus: lange Schlangen an Essensausgabe und Kaffeestand, schlechte Mikrofonanlagen und kein Internet-Zugang für die breite Masse der Bevölkerung. Zumindest an revolutionären Zeitschriften und am passenden T-Shirt für das postkapitalistische Outfit würde es aber nicht mangeln.