Berlin (epo.de). - Ein halbes Jahr nach ihrem “
Bonner Aufruf für eine andere Entwicklungspolitik” gegenüber Afrika hat ein “Initiativkreis” um den Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, und den ehemaligen entwicklungspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Winfried Pinger, eine “erweiterte und vertiefte” Version veröffentlicht. Der “
Bonner Aufruf Plus” hält fest, es sei “mit hunderttausenden Projekten, die viele Milliarden Dollar gekostet haben, nicht gelungen, Afrika zu einem selbsttragenden, seinem Bevölkerungswachstum entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verhelfen. Die Mehrheit der Menschen in den meisten Ländern Afrikas hat heute keine besseren Lebensbedingungen als vor 50 Jahren.” Der nachgebesserte Aufruf stieß sogleich auf Kritik: ONE erklärte, der Text sei konstruktiver, aber noch immer inkonsistent und in Teilen empirisch nicht haltbar. Der CSU-Abgeordnete Christian Ruck hält “die Pauschalkritik an der staatlichen Entwicklungspolitik” für “überzogen”, eine Reihe von Forderungen aber für unterstützenswert. Die Grünen sprachen von "ökologischer Blindheit".
Im “Bonner Aufruf Plus” wird gefordert, die Entwicklungszusammenarbeit “wo immer möglich weg von staatlichen Partnern und hin zu gesellschaftlichen Gruppen, die sich selbst organisieren und verwalten”, zu verlagern. “Zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. Kirchen, Bürgervereinigungen und Selbsthilfeinitiativen sollten im Gesundheitswesen, Bildungswesen und in der Sozialarbeit als verantwortliche Träger eingesetzt oder anerkannt werden, wobei es dem Staat obliegt, dafür angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen.”
Neudeck, Pinger und rund 70 Unterzeichner des Aufrufs plädieren dafür, die Entwicklungshilfe auf das konzentrieren, "was sich als besonders förderungswürdig erwiesen hat: Grund- und Berufsbildung, Kleinkredite und die arbeitsintensive und beschäftigungswirksame Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen”. Außerdem schlagen sie “eine effiziente Koordinierung der Aktivitäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit” im Zielland vor. “Als Kern einer solchen Koordination zwischen den einzelnen Ministerien und Organisationen kommen nur die Botschaften in Frage, allerdings müssen diese personell und materiell so ausgestattet werden, dass sie dieser Aufgabe gerecht werden können. Dazu müssen keine neuen Stellen geschaffen werden, es genügt, Entwicklungsexperten aus dem Inland an die Botschaften zu versetzen.”
ONE: NICHT ÜBERZEUGEND
Die
entwicklungspolitische Organisation ONE erklärte am Montag, der Text sei “nun konstruktiver”, die Autoren nähmen ihre kategorische Kritik aus dem ersten Bonner Aufruf “teils selbst zurück”. Das Papier sei aber nach wie vor inkonsistent. “Die Kritik an zusätzlichen Finanzmitteln und an afrikanischen Regierungen ist in der Form empirisch nicht zu halten. Aber auch die eigenen Vorschläge des Bonner Aufrufs bräuchten deutlich höhere Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und eine intensive Einbeziehung der Staaten, um effektiv zu sein”, kommentierte der Deutschlandchef der Organisation, Tobias Kahler, den nachgebesserten Diskussionsbeitrag.
Die Aussagen zum Bereich Finanzierung sind aus Sicht ONEs “nicht überzeugend”: In den letzten zehn Jahren seien von allen Gebern pro Afrikaner im Schnitt 17 US-Dollar jährlich aufgewandt worden. “Die Entwicklungseffekte konnten demnach nur begrenzt sein.”
Außerdem, so ONE, seien afrikanische Staaten “deutlich leistungsfähiger und reformbereiter als von den Autoren des Bonner Aufrufs dargestellt”. Unter den zehn reformfreudigsten Staaten seien nach Angaben der Weltbank vier afrikanische Länder. Die Zusammensetzung ihrer Haushalte habe sich seit der vom Bonner Aufruf eingeräumten Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit zu mehr und nicht zu weniger Eigenfinanzierung entwickelt.
Die vorgeschlagene Konzentration auf die drei Sektoren Bildung, Mikrokredite und Infrastruktur ignoriere nicht nur die multifaktoriellen Anforderungen an Entwicklung, sondern auch die Grundlagen moderner Geberkoordinierung, wie in Paris und Accra vereinbart, kritisierte ONE. “Starke Finanzierung und Einbindung der Staaten ist bei mindestens zwei dieser Sektoren unverzichtbar. 34 Millionen zusätzlich eingeschulte Kinder zwischen 2002 und 2006 zeigen zudem, dass es im Bereich Bildung echte Erfolge gibt.”
ÜBERZOGENE KRITIK
Der "Aufruf plus" beschäftige sich nur mit Afrika und sei damit zu eng gefasst, kritisierte der entwicklungspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christian Ruck. “Die Analyse der Situation in Afrika und die Pauschalkritik an der staatlichen Entwicklungspolitik sind überzogen.”
Ruck hält es für richtig, dass die Entwicklungspolitik neue Impulse setzen müsse. “Wir müssen uns in Afrika an afrikanische Lösungen andocken, diese fordern und fördern. Wir müssen dezentrale Strukturen stützen und nicht über Budgethilfe den Zentralismus fördern. Wir müssen vor allem Eigenverantwortung einfordern und die schöpferischen Kräfte der Menschen und der Privatwirtschaft entfalten helfen.” Auch die Forderung nach einer besseren entwicklungspolitischen Arbeitsteilung, einer Dezentralisierung der deutschen Entwicklungspolitik und nach der stärkeren Konzentration auf Schlüsselsektoren unterstützt er.
ÖKOLOGISCH BLIND
Der "Bonner Aufruf Plus" bleibe wie schon der erste Aufruf “ökologisch blind”, kritsierten Ute Koczy, entwicklungspolitische Sprecherin, und Thilo Hoppe, Leiter der AG Globalisierung, Global Governance und Welthandel der
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. “Klimawandel, Zugang zu Energie, sauberem Wasser und die Bedeutung ländlicher Entwicklung als Herausforderung auch für die Entwicklungspolitik, finden keinerlei Erwähnung. Dass wir es zudem mit neuen Problemen in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun haben, die Entwicklungsländer massiv betreffen, wird ausgeblendet. Dass ‘Afrika’ nicht durch die Entwicklungszusammenarbeit in eine glorreiche Zukunft gelangen wird, ist richtig und wird von niemanden bestritten.”
Die beiden Grünen-Sprecher bemängeln zudem, die Autoren ignorierten “die zweifelsfrei notwendigen und stattfindenden Debatten um die bessere Abstimmung zwischen allen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit, die Erhöhung der Qualität der Zusammenarbeit und die Verringerung der Transaktionskosten”. Die im Aufruf geforderte inhaltliche Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit auf Bildung, Mikrokredite und Infrastruktur greife viel zu kurz, ebenso die Vorstellung, Entwicklungskooperation könne an den Staaten vorbei bevorzugt mittels Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen betrieben werden.
Weiter heißt es in der
Stellungnahme der Grünen-Politiker: “Die Kritik an der direkten Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen trägt nicht. Ohne deren Funktionsfähigkeit ist niemand gedient. Es geht eben nicht um das Versenken von Geldern in "zentralstaatliche Bürokratien", sondern die Förderung funktionsfähiger Ministerien und Institutionen. Reine Basisarbeit reicht nicht aus. Will man Strukturen verändern, muss man mit Regierungen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, mit dem Ziel demokratische Strukturen und Prozesse zu stärken.”
Auch die Kritik am Instrument der Budgetfinanzierung wollen Koczy und Hoppe nicht gelten lassen: “Sie ignorieren die Bedingungen unter denen Budgethilfe, geleistet wird. Der Aufruf zeigt null Verständnis für die Potentiale dieses relativ neuen Instruments, dessen Umsetzung immer im Verbund mit mehreren Gebern erfolgt. Im Übrigen wird dieser Prozess detailliert und zeitnah vom Parlament begleitet.”
“Nach einem halben Jahrhundert personeller und finanzieller Entwicklungshilfe für Afrika stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat”, halten die Unterzeichner des Aufrufs fest. Unter ihnen sind neben Neudeck und Pinger prominente Politiker und entwicklungspolitische Praktiker wie die früheren Parlamentarischen Staatssekretäre im Entwicklungsministerium, Volkmar Köhler und Hans-Peter Repnik (CDU), die ehemaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Grüne) und Werner Hoyer (FDP), die ehemaligen DED-Geschäftsführer Prof. Dr. Peter Molt und Willi Erl, mehrere Ex-Botschafter, GTZ-Projektleiter und Journalisten.
FDP: KONSTRUKTIVE DEBATTE NOTWENDIG
Die
FDP-Bundestagsfraktion erklärte gegenüber Entwicklungspolitik Online, sie habe den Bonner Aufruf “frühzeitig unterstützt”. Sie begrüße jetzt auch die Konkretisierung der Forderungen im “Bonner Aufruf Plus”. “Nach mehr als zehn Jahren deutscher Entwicklungspolitik unter Führung einer SPD-Ministerin brauchen wir jetzt endlich eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik”, sagte der FDP-Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Hellmut Königshaus. “Gegen alle Widerstände und Kritik vertreten wir seit Jahren, dass die bisherige Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr geeignet ist, den großen Herausforderungen unserer Zeit wie der Anstieg der an Hunger leidenden Menschen, Klimawandel, Menschenrechtsverletzungen und Migration zu begegnen.”
Königshaus wies die “scharfe Kritik” am Bonner Aufruf zurück. “In der Debatte über den Bonner Aufruf überwiegen leider pauschale und teilweise sogar beleidigende Äußerungen. In der Sache wird aber offenbar nur bemängelt, dass bestimmte Einzelthemen in dem Aufruf fehlten. Das rechtfertigt aber die scharfe Kritik in keiner Weise. Angesicht der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise mit ihren Auswirkungen auf die Entwicklungsländer brauchen wir jetzt dringend eine Debatte über die bestehenden entwicklungspolitischen Instrumente. Auch muss die Effizienz der Hilfe erheblich gesteigert werden.”
www.bonner-aufruf.eu