Berlin (epo.de). - Die
Beschlüsse des Weltfinanzgipfels der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) in London haben ein geteiltes Echo hervorgerufen. Während die Börsen weltweit mit beträchtlichen Kurssprüngen nach oben reagierten, überwiegt bei vielen nichtstaatlichen Organisationen die Skepsis, ob die Finanzzusagen für ärmere Länder eingehalten werden. Auch die zentrale Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird kritisch gesehen.
Die deutsche
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) begrüßte am Freitag, “dass der G20-Gipfel die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele und die Notwendigkeit der Steigerung der Entwicklungsausgaben betont hat. Es ist wichtig, den Entwicklungsländern in der schwierigen aktuellen Situation beizustehen.”
Wieczorek-Zeul hält es für “richtig und notwendig, die Mittel für den
IWF, die multilateralen Entwicklungsbanken und die Sonderziehungsrechte aufzustocken”. Jetzt komme es darauf an, die Beschlüsse der G20 national umzusetzen.
KRITIK ZUR ROLLE DES IWF
Uli Post, Sprecher der
Welthungerhilfe wertete positiv, “dass 50 Milliarden Dollar (37,5 Mrd. Euro) für die ärmsten Länder bereitgestellt werden, und das vor allem für die Ernährungssicherung. Damit erkennen die Staatschefs an, dass der Kampf gegen den Hunger eine oberste Priorität sein muss.”
Kritisch sieht die Welthungerhilfe allerdings die zentrale Rolle des internationaler Währungsfonds. “Seine Erfolge in der Armutsbekämpfung waren bislang zweifelhaft. Außerdem ist er gerade dabei, sich zu reformieren. Vom Erfolg dieses Reformprozesses sollte man es abhängig machen, ob ihm so viel Geld anvertraut wird.”
Die Zeiten, in der Deregulierung als Allheilmittel galt, scheinen freilich vorbei zu sein, so Post weiter. “
Schließlich darf die neue Weltwirtschaftsordnung langfristig nicht aus 20, sondern aus 193 Ländern bestehen. Diesen Prozess gilt es effektiv zu organisieren.“
Welthungerhilfe-Generalsekretär Hans-Joachim Preuß, der im Juli als Geschäftsführer zur GTZ wechselt, warnte vor einer weiter bestehenden “ globalen Schieflage”: “Die von den reichen Ländern verursachte Finanzkrise hat die Lage in den Entwicklungsländern noch verschärft. Wir brauchen dort Investitionen, die langfristig die Ernährung sichern und Export- und Handelsmöglichkeiten erschließen. Mal wieder wurden auf einem Gipfeltreffen große Summen verkündet, aber was zählt ist das ernsthafte und dauerhafte Bemühen um ein faires globales Wirtschafts- und Finanzsystem. Die globale Krise droht die Hungersituation zu verschärfen, dieses Jahr könnte die Zahl auf über eine Milliarde steigen. Nullen allein machen nicht satt!”
ARME LÄNDER DIE VERLIERER
Das
SÜDWIND-Institut in Siegburg sprach von wichtigen Entscheidungen hin zu einem multilateralen Umgang mit der gegenwärtigen Finanzkrise. Diese seien aber “insgesamt unzureichend für die Neugestaltung der Weltwirtschaft im Dienst nachhaltiger Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit”. “Die Verlierer des Tages und Hauptopfer der Krise sind die ärmsten Länder”, kommentierte SÜDWIND am Freitag. “Sie waren beim Gipfel nicht vertreten und werden von den Beschlüssen am wenigsten profitieren.” Alarmierend sei zudem die weitere Stärkung des IWF.
“Eine Abkehr von der neoliberalen Ideologie war nicht zu spüren“, erklärte Irene Knoke von SÜDWIND. Der Beschluss, große Summen zur Bewältigung der Finanzmarktkrise auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer bereit zu stellen, sei richtig. “Da diese Gelder aber größtenteils über den IWF bereit gestellt werden sollen, ist die Gefahr groß, dass hier der Bock zum Gärtner gemacht wird. Der IWF hat in der Asienkrise eine höchst unrühmliche Rolle gespielt, die zu einer Verschärfung der Armutssituation in vielen Ländern geführt hat.” Erste Auszahlungen in der gegenwärtigen Krise an Ungarn und Rumänien zeigten, “dass der IWF aus diesen Erfahrungen nicht ausreichend gelernt hat, sondern sich immer noch in der Rolle als Disziplinierungsinstrument der Entwicklungsländer sieht”.
Zudem würden die Gelder des IWF als Kredite ausgezahlt, so dass ein enormes Potential für eine neue Verschuldungsspirale bestehe. “Wenn die Riesensummen den Industrieländern nun als Vorwand dienen, ihre Zusagen in der Entwicklungshilfe nicht einzuhalten, dann sind die ärmsten Länder am Ende sogar schlechter dran als vor dem Gipfel”, so Knoke.
Absolut unzureichend ist das Bekenntnis zu grundlegenden Reformen in dieser Institution. Die empfohlenen Stimmrechtsänderungen sind eine unumgängliche Notwendigkeit, ohne die der IWF jegliche Legitimation verloren hätte. „Im Grunde wurde der Kuchen jetzt mit ein paar Schwellenländern zusätzlich geteilt, die mit am Tisch saßen“, so Dr. Pedro Morazán von SÜDWIND. „Es geht jedoch nicht nur darum, dem IWF mehr Geld zu geben. Die Institution muss im Grunde auf den Kopf gestellt werden, damit sie ihr ursprüngliches Mandat als Garant für die Stabilität des Finanzsystems und Frühwarnungsmelder vor Krisen wieder erlangt. Dies ist aber nur möglich, wenn der IWF sich weg bewegt von der neoliberalen Ideologie und sich einem Leitbild nachhaltiger Entwicklung unterordnet.“
WICHTIGE BOTSCHAFT
Die entwicklungspolitische Organisation
ONE begrüßte die Abschlusserklärung des Londoner Gipfels, warnte jedoch vor einer neuen Überschuldung der ärmsten Länder: “Die G20 haben eindrucksvolle Zahlen vorgelegt zu denen uns zwar noch Details fehlen. Aber auch, weil Deutschland bei den IWF-Goldverkäufen zu einem Kompromiss bereit war, wurden die Ärmsten bei diesem Treffen nicht vergessen”, sagte der Deutschlandchef von ONE, Tobias Kahler.
Afrika-Aktivist und ONE-Unterstützer Bob Geldof (Foto) äußerte ebenfalls vorsichtigen Optimismus: “Wir müssen abwarten ob die Beträge, die hier verhandelt wurden ausreichen, um die Weltwirtschaft zu beleben. Wir wissen auch noch nicht ob die armen Länder zusätzliches Geld, Zuschüsse oder teure Kredite bekommen. Aber die wichtigste Botschaft für die Menschen, die von weniger als zwei Euro am Tag leben ist, dass sie vom Rand stärker ins Zentrum der Geschehnisse und Entscheidungen gerückt sind.”
KLEINE OASEN, GROSSE FEHLER
Zur “schwarzen Liste” der Steueroasen kommentierte Markus Meinzer
im Blog Steuergerechtigkeit, diese weise “hanebüchene Auslassungen” auf. “So begrüßenswert es ist, dass europäische Verdunkelungsoasen wie Luxemburg, Österreich und die Schweiz auf der Liste stehen, so traurig ist es, dass China offenbar jegliche Listung von Hongkong und Macao erfolgreich abgewendet hat. Vor allem aber ist die Liste jener Staaten, die als unkooperativ gebrandmarkt werden, mit vier Staaten äußerst unglücklich geraten. Zwar sind Costa Rica, Malaysia (Labuan), Philippinen und Uruguay in unterschiedlichem Ausmaß tatsächlich im Steueroasengeschäft aktiv, aber ihre Bedeutung im Vergleich mit den anderen Verdunkelungsoasen ist verschwindend gering. Es wäre ein großer Fehler, baldige Sanktionen nur gegen diese Territorien anzuwenden.
Darüber hinaus basiere die Liste auf “fragwürdigen Kriterien der OECD”. “Das lässt sich daran erkennen, dass wichtige europäische Verdunkelungsoasen wie Jersey, Guernsey, Isle of Man, Irland, Zypern und Malta als Territorien gehandelt werden, die Steuerstandards ausreichend implementiert hätten. Die zugrundeliegenden OECD-Standards werden von Steuerfachleuten als nicht wirkungsvoll bezeichnet.”
Vor allem sei in den Beschlüssen der G20 keine Rede von automatischem Informationsaustausch. “Nur ein automatischer und multilateraler Informationsaustausch (mit entsprechenden Datenschutzklauseln und Bestimmungen für diktatorische Regime) kann das Problem endemischer Steuerhinterziehung auf Dauer beenden. (...) So lange sich das Gros der Hinterzieher hinter der fragwürdigen Zusicherung, keine 'fishing expeditions' zuzulassen, in Sicherheit wähnen kann, wird es keine gleichmäßige und gerechte Besteuerung geben.” Zudem mache das Kommuniqué keinerlei Anstalten, “die länderweise Rechnungslegung als verbindlichen Rechnungslegungsstandard für multinationale Konzerne zu vereinbaren. Die Besteuerung multinationaler Konzerne kann nur auf einer weltweit integrierten Bemessungsgrundlage wirkungsvoll erfolgen.”
Dokumentation weiterer Stimmen zum G20 Gipfel