Die EU-Kommission teilte am Freitag unter Berufung auf Zahlen der Europäischen Umweltagentur (EEA) mit, die EU-Emissionen seien 2007 zum dritten Mal in Folge zurückgegangen. Die Bilanz aller 27 EU-Staaten liegt demnach 12,5 Prozent unter dem Niveau von 1990. Bis 2020 müssen sie nach dem Kyoto-Protokoll um 20% unter dem Niveau von 1990 sein.
Aber zahlreiche EU-Staaten werden die Klimaziele dennoch verfehlen. Spaniens Ausstoß an Treibhausgasen stieg seit 1990 um 53%, Österreichs Emissionen stiegen um 11%, statt wie gefordert um 13% zu sinken. Dass die EU insgesamt gut dasteht, verdankt sie dem Rückgang (gegenüber 1990) um 22% in Deutschland, um 18% in Großbritannien und um 6% in Frankreich. Doch global gesehen wachsen die Emissionen schneller als je zuvor (epo.de berichtete).
Hinzu kommt, dass die EU seit den letzten Klimaverhandlungen im Dezember 2008 in Poznan klimapolitisch zerbröselt. Länder wie Polen wollen ihre Kohlekraftwerke, wahre CO2-Schleudern, weiterhin nutzen und sich möglichst gar nicht an der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern beteiligen. "Seit Poznan sind die Fronten verhärtet", sagt Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig.
Der BUND-Vorsitzende Prof. Hubert Weiger konstatiert: "Die EU ist selbst blockiert". Aus dem einstigen Vorreiter beim Klimaschutz ist ein Wackelkandidat geworden. Und angesichts einer Industrielobby mit direktem Zugang zum Kanzleramt droht auch Deutschland zum Problemfall beim Klimaschutz zu werden.
SCHON JETZT DRAMATISCHE FOLGEN
Dabei bedeutet die Erderwärmung laut einer Studie des vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2007 gegründeten Global Humanitarian Forum für 300.000 Menschen vor allem in den armen Ländern schon jetzt Jahr für Jahr den Tod. Der "Human Impact Report: Climate Change – The Anatomy of a Silent Crisis" kommt zu dem Ergebnis, dass 325 Millionen Menschen vom Klimawandel "ernsthaft betroffen" sind, 500 Millionen mit einem "extremen Risiko" leben und rund vier Milliarden "verletzlich" sind. Die wirtschaftlichen Verluste schätzt das GHF derzeit auf 125 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Bis 2030 könnten die Todesopfer auf eine halbe Milliarde und die Schäden auf 300 Mrd. anwachsen.
Wörtlich heißt es im Human Impact Report:
"These already alarming figures may prove too conservative. Weather-related disasters alone cause significant economic losses. Over the past five years this toll has gone as high as $230 billion, with several years around a $100 billion and single year around $50 billion. Such disasters have increased in frequency and severity over the past 30 years in part due to climate change. Over and above these cost are impacts on health, water supply and other shocks not taken into account. Some would say that the worst years are not representative and they may not be. But scientists expect that years like these will be repeated more often in the near future."ZWEI VERHANDLUNGSSTRÄNGE
Bei den Klimagesprächen in Bonn gibt es zwei Verhandlungsstränge:
- In der Ad Hoc Working Group on Further Commitments for Annex I Parties under the Kyoto Protocol (AWG-KP) diskutieren die 184 Mitgliedstaaten des Kyoto-Protokolls künftige Verpflichtungen der 37 Industriestaaten zur Reduzierung ihrer Treibhausgase, die Verbesserung des Emissionshandels, so genannte "projektbasierte Mechanismen" und die Behandlung von Landnutzung und Forstwirtschaft.
- Die Ad Hoc Working Group on Long-term Cooperative Action under the Convention (AWG-LCA), der alle 192 Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) angehören, berät im Rahmen des 2007 beschlossenen Bali-Aktionsplanes über langfristige gemeinsame Maßnahmen über die Anpassung an die Klimawandel, dessen Abmilderung, Technologie- und Wissenstransfers und die Finanzierung.
Darüber hinaus findet in Bonn auch die 30. Sitzung des UNFCCC-Nebenorgans für die wissenschaftliche und technische Beratung (Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice, SBSTA) sowie des Nebenorgans für die Umsetzung (Subsidiary Body for Implementation, SBI) statt. SBSTA und SBI beschränken sich nicht auf den Kyoto-Folgeprozess, sondern behandeln auch Maßnahmen bis 2012.
POKERN BIS ZUM SCHLUSS
Derzeit befinden sich die Klimaverhandlungen in einer schwierigen Phase. Die Industriestaaten wollen vor allem die Schwellenländer (China ist mit den USA inzwischen größter CO2-Emittent) zu Reduktionsverpflichtungen drängen. Die Entwicklungsländer fordern aber zunächst klare Aussagen der EU und der USA über Hilfen zur Anpassung in den Ländern des Südens, die an der Erderwärmung schuldlos sind, aber bereits jetzt am meisten unter den Folgen leiden.
"Die Verhandlungen stecken in einer Sackgasse. Wir brauchen jetzt in Bonn den politischen Willen, einen Schritt vorwärts zu kommen und den Klimaschutz wieder in Gang zu bringen", sagte Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid am Montag in Bonn. Greenpeace fordert, dass die reichen Industrienationen jährlich mindestens 110 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz bereitstellen. Auf Deutschland entfalle ein Anteil von sieben Milliarden Euro pro Jahr. "Das ist kein Almosen, sondern die Begleichung der historischen Klimaschuld, die mit der Industrialisierung begann", so Smid.
Keine der Parteien wird sich vor dem Ende des Gipfels in Kopenhagen zu klaren Reduktionszielen verpflichten und Zahlen über Geldtransfers nennen, sind Jan Kowalzig von Oxfam und BUND-Chef Weiger überzeugt. Weiger befürchtet, dass die globale Wirtschaftskrise den Klimaschutz in den Hintergrund drängt, obwohl "die schlimmsten Prognosen Realität zu werden scheinen".
Seit Beginn der Industrialisierung ist die globale Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad Celsius gestiegen. Auch ohne weiteren CO2-Ausstoß würde sich der Temperaturanstieg aufgrund des in der Atmosphäre befindlichen Kohlendioxids verdoppeln. Die meisten Wissenschaftler halten es für das Minimalziel, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, damit die Folgen noch einigermaßen beherrschbar bleiben.
Selbst das würde aber bedeuten, dass kleine Inselstaaten im Pazifik im Meer versinken, die Bevölkerung umgesiedelt werden müsste, ihren Status als Nation und ihre Kultur verlieren würde. Die Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) fordert daher eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 1,5%.
Das 2-Grad-Ziel erfordert, die globalen Emissionen ab 2015 zu senken und den Treibhausgasausstoß bis 2050 um 80% zu reduzieren. Dieses Ziel sei nicht heiß umstritten - weil die heutigen Politiker dann nicht mehr im Amt seien und es nicht umsetzen müssten, meint Hubert Weiger. Dennoch gibt es unterschiedliche Positionen:
- Die Inselstaaten wollen nicht mehr als 1,5°C Erderwärmung und bis 2050 mindestens 80% globale Reduktionen
- die EU vertritt den Standpunkt, +2°C sei ambitioniert genug und will eine Reduzierung um mehr als 50% bis 2050
- Länder wie Japan und Kanada sowie die G8 fordern 50% weniger Treibhausgasausstoß bis 2050.
Oxfam und BUND haben ihre Forderungen und die wesentlichen Verhandlungspositionen der Delegationen in einer Übersicht zusammengefasst (PDF, 170KB). Sie gehen davon aus, dass die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) sofort etwa 1,5 Mrd. Euro für dringende Maßnahmen zur Anpassung benötigen - eine Summe, die bereits vor acht Jahren versprochen wurde. Zusätzlich zur öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA), die 0,7% des Bruttonationaleinkommens betragen sollte, brauchen die Entwicklungsländer laut Oxfam jährlich mindestens 70 Milliarden Euro für eine klimafreundliche Entwicklung und mindestens 40 Mrd. € für die Anpassung an den Klimawandel, etwa für die Einführung trockenresistenter Getreidesorten. Ein zufriedenstellendes Kyoto-Folgeabkommen müsse darüber hinaus Lösungen für die Folgen enthalten, an die man sich nicht anpassen kann – etwa zur Umsiedlung von Inselvölkern und deren Kompensation.
ZYNISCHES KLIMA-MIKADO
"Mit dem Planeten kann man nicht verhandeln", mahnte BUND-Chef Hubert Weiger im Vorfeld der Bonner Klimagespräche. Werde jetzt nicht gehandelt, würden "die Folgekosten des Klimawandels uns arm machen". Illusionen hinsichtlich der Ergebnisse gibt man sich nicht hin. "Ohne öffentlichen Druck passiert hier gar nichts", ist Weiger überzeugt.
"Wenn die reichen Länder weiter so unbeweglich bleiben, wird die Konferenz in Bonn keine brauchbaren Ergebnisse bringen", warnt auch Oxfam-Klimareferent Jan Kowalzig. "Bei den Verhandlungen spielen die Industrieländer ein zynisches Klima-Mikado: Wenn sich keiner bewegt, gewinnt nicht nur niemand, sondern verlieren Hunderte Millionen Menschen in den Entwicklungsländern ihre Lebensgrundlagen."
"Gerade Schwellenländer wie China oder Indien signalisieren immer wieder, dass sie durchaus bereit sind, angemessen zum globalen Klimaschutz beizutragen. Aber: Es sind die Industrieländer, die ihren fairen Anteil nicht übernehmen wollen, sondern entweder das Problem klein reden oder versuchen, sich aus der Affäre bzw. die Entwicklungsländer über den Tisch zu ziehen", so Kowalzig.
Während Umweltminister Sigmar Gabriel regelmäßig die USA für deren unzureichende Klimaschutzpläne kritisiere, gehe es anderen deutschen Ministern "weiterhin weniger um den Schutz des Klimas als den Schutz der klimaschädlichen Industriebranchen", wettert Kowalzig. "Dabei sind Investitionen in erneuerbare Energien oder in Wärmedämmung wesentlich sinnvollere Konjunkturmaßnahmen für den Wirtschaftsstandort Deutschland als z.B. die Abwrackprämie. Das sind die Jobmaschinen und Innovationsmotoren der Zukunft - und sie zerstören nicht die Lebensgrundlagen der Menschen in Afrika oder Asien."
Zwei Schaubilder des GHF, die die Staaten der Welt an den CO2-Emissionen bzw. an der Zahl der Klimatoten messen, verdeutlichen die Verantwortung der Industriestaaten für ein gerechtes Klimafolgeabkommen:
An das Entwicklungsministerium, das die Gelder für die Bewältigung des Klimawandels in den armen Ländern auf das Erreichen des 0,7%-Ziels anrechnen will, appelliert Kowalzig: "Deutschland und die übrigen Industrieländer sind die Hauptverursacher des Klimawandels - insofern sind Finanzhilfen für die Anpassung an den Klimawandel keine Entwicklungshilfe, sondern ein Ausgleich für die zugefügten Schäden."
VOM VORREITER ZUM BREMSKLOTZ
"Es ist gerade an diesem Punkt der Verhandlungen entscheidend, dass die Industrienationen klar zeigen, dass sie ein großes globales Finanz- und Technologiepaket unterstützen, um die Wirtschaftkrise, die Klimakrise und die drohende Energiepreiskrise gemeinsam zu bekämpfen", erklärte Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch. "Wenn die Industrieländer sich auch bei der Bonner Verhandlungsrunde mit Zusagen zurückhalten, drohen sie damit zum Bremsklotz für die weiteren Verhandlungen zu werden. Nach unserer Einschätzung sind für die Transformation der Schwellen- und Entwicklungsländer hin zu CO2-armen Entwicklungspfaden 115 Milliarden Euro jährliche Unterstützung durch die Industrieländer notwendig", so Bals.
Der Vorstandsvorsitzende von Germanwatch, Klaus Milke, sieht die Politik der Industriestaaten bislang ebenfalls nicht auf dem richtigen Gleis. "Auch Deutschland und die EU waren bisher nicht bereit zu zeigen, in welcher Größenordnung sie die Technologie- und Finanzkooperation unterstützen wollen. "Damit droht der vermeintliche Vorreiter zu einem der Bremsklötze der Verhandlungen zu werden."
YouTube-Video der Eröffnungs-Pressekonferenz (UNFCCC)
www.bund.net
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www.greenpeace.de
www.oxfam.de
www.unfccc.int