Kabul/Berlin (epo.den). - Einen Monat vor den Präsidentschafts-Wahlen in Afghanistan eskaliert die Gewalt weiter. Am Dienstag griffen Taliban mehrere Regierungsgebäude und einen Militärstützpunkt im Osten des Landes an. Mehrere Menschen wurden dabei getötet. Die USA kündigten weitere Truppenverstärkungen an, während das deutsche Kontingent der internationalen Einsatztruppe erstmals Panzer einsetzte. Das offensivere Vorgehen der Bundeswehr sei ein "schrecklicher Irrweg", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Linkspartei, Paul Schäfer.
Nach einem
Bericht des britischen Senders BBC griffen am Dienstag Bewaffnete und Selbstmordattentäter das Büro des Polizeichefs, eine Polizeistation und den Gouverneurssitz in der Stadt Gardez in der östlichen Provinz Paktia an. Sechs mutmaßliche Taliban-Kämpfer und eine ungenannte Anzahl von Sicherheitskräften wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums ∞getötet. In Jalalabad an der Pakistanischen Grenze wurde mindestens ein Aufständischer bei einem Angriff auf einen Flugplatz, der auch als Truppenbasis dient, getötet.
Die vermehrten Angriffe stehen nach Ansicht von Beobachtern im Zusammenhang mit den für den 20. August geplanten Präsidentschaftswahlen.
US-Verteidigungsminister Robert Gates kündigte unterdessen die Aufstockung der US-Armee um 22.000 Soldaten auf die Rekordhöhe von 569.000 Mann an. Gates nannte die Belastungen durch die Kriege in Afghanistan und im Irak als Gründe. Die Truppenaufstockung sei für drei Jahre geplant, sagte Gates.
Im Norden Afghanistans, im Raum Kunduz, beschossen Bundeswehrsoldaten ein verdächtiges Fahrzeug, töteten einen afghanischen Jugendlichen und verletzten zwei Zivilisten schwer. "Nach derzeit vorliegenden Informationen mussten die Soldaten von einem Angriff ausgehen, so dass der Schusswaffengebrauch auf der Grundlage bestehender Einsatzregeln rechtmäßig erfolgte", heißt es in einer
Mitteilung des Einsatzführungskommandos in Geltow bei Potsdam.
In Kunduz begannen das afghanische Militär und die lokale Polizei mit Unterstützung der Bundeswehr am Sonntag eine Offensive gegen die Taliban und andere Aufständische. Ziel der Operation sei es, den Bezirk Chareh Dareh "vor der Wahl von Taliban zu reinigen",
sagte der Gouverneur von Kunduz, Mohammed Omar, SPIEGEL ONLINE. Erstmals setzte die Bundeswehr dabei auch "Marder"-Schützenpanzer ein. Nach Bundeswehr-Angaben besteht der deutsche Beitrag zu der Offensive vor allem in der weiträumigen Absicherung der Einsatzkräfte und der Luftaufklärung.
Die Bundeswehr setzte bei dem Einsatz von rund 300 deutschen und 900 afghanischen Kräften erstmals Panzer und schwere Waffen ein. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sagte am Mittwoch in Berlin, die deutsche Armee sei "jetzt besonders herausgefordert in Kundus". Die Offensive sei notwendig, weil sich die Lage durch zunehmende Angriffe und Hinterhalte von Aufständischen verschlechtert habe.
SCHRECKLICHER IRRWEG
"Wer angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer und der zunehmenden Entfremdung zwischen der Bevölkerung und den ausländischen Truppen auf ein immer offensiveres Vorgehen in Afghanistan setzt, gießt zusätzliches Öl ins Feuer und riskiert am Ende einen Großbrand", erklärte der verteidigungspolitische Sprecher der
Fraktion DIE LINKE, Paul Schäfer, zu Meldungen, denen zufolge die Zahl ziviler Opfer zwischen Januar und Mai im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 24 Prozent zugenommen hat.
Schäfer kritisierte auch den ersten Gefechtseinsatz des deutschen Schützenpanzers Marder in Afghanistan und sprach von einem "fatalen Schritt in die falsche Richtung". "Nach einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Analyse des 'Afghan Analysts Network' nähern sich schon jetzt immer mehr Afghanen den Aufständischen an, weil sie zunehmend verärgert sind über das Verhalten der ausländischen Truppen in ihrem Land."
"Todesschüsse auf Zivilisten - wie erst gestern auf einen Jugendlichen - und das immer offensivere Vorgehen der ausländischen Truppen - wie beispielsweise der Einsatz des 'Marder' - sind ein schrecklicher Irrweg", sagte Schäfer. Er forderte den Abzug der Truppen und einen Dialog zwischen den Konfliktparteien.
Foto: Schützenpanzer Marder © Wikimedia Commons