Kabul/Berlin (epo.de). - Zum zweiten Mal nach Beginn des Krieges gegen die Taliban im Jahr 2001 wird am Donnerstag in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen sind rund 17 Millionen Afghaninnen und Afghanen dazu aufgerufen, ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl und der Wahl der 34 Provinzräte des Landes abzugeben. Um die Präsidentschaft bewerben sich neben Amtsinhaber Hamid Karsai (Foto) 36 weitere Kandidaten, darunter zwei Frauen. Die radikalislamischen Taliban hatten in den vergangenen Tagen zahlreiche Anschläge verübt und potentielle Wähler bedroht. In der Hauptstadt Kabul zeichnete sich am Morgen eine geringe Wahlbeteiligung ab.
Zeitpunkt und Legitimität der Wahl werden von politischen Beobachtern in Zweifel gezogen. Krieg und terroristische Anschläge prägen das Land, das vor allem im umkämpften Süden und Osten, aber auch in Teilen West- und Nordafghanistans unter weitgehender Kontrolle von Aufständischen steht. Die Taliban riefen zum Wahlboykott auf und kündigten Strassenblockaden und Bombenanschläge an. Potentiellen Wählern wurde gedroht, die mit Tinte markierten Finger abzuhacken.
Zum Schutz von Wählern und Wahllokalen sind mehr als 200.000 afghanische Sicherheitskräfte und rund 100.000 ausländische Soldaten aus 42 Nationen im Einsatz. Trotz der Militarisierung des Landes können die nationalen und internationalen Truppen und die afghanische Polizei die Sicherheit der Wahlen nicht gewährleisten. Nach Angaben der nationalen Wahlkommission müssen mindestens 700 Wahllokale im Süden und Osten aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben. Viele Wähler werden der Wahl aus Angst vor Vergeltung fernbleiben.
Die
Neue Zürcher Zeitung berichtete, nicht nur die schwierige Sicherheitslage, sondern auch "die Tatsache, dass der Amtsinhaber Karzai Wahlbetrug im grossen Stil betreibt", dürfte viele Wähler vom Urnengang abhalten. Die meisten Afghanen seien der Ansicht, die Wahlen seien ein abgekartetes Spiel.
Amtsinhaber Hamid Karsai wird vorgeworfen, er habe sich die Unterstützung von ehemaligen Warlords und regionalen Machthabern mit Geld und Patronage erkauft. Die Stimmen der tadschikischen Volksgruppe soll Marschall Mohammed Fahim, ein Führer der Nordallianz, sichern, dem brutale Kriegsverbrechen und die Verwicklung in Entführungen vorgeworfen werden. Kurz vor Ende des Wahlkampfes ließ Karsai General Abdul Raschid Dostum aus dem türkischen Exil zurückkehren, der die usbekische Volksgruppe in Nordafghanistan um sich scharen soll. Dostum soll 2001 angeordnet haben, bis zu 1.500 gefangene Taliban in die Wüste zu bringen und in Seecontainer eingesperrt verdursten zu lassen.
"Dostum hat bei der Wahl vor fünf Jahren acht Prozent der Stimmen bekommen. Diese sichert er Karsai jetzt, und das ist für ihn enorm wichtig",
erklärte Conrad Schetter, Afghanistan-Experte beim Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. "Das Karsai-System ist Teil der gesamten Korruption im Land. Wenn Sie Gouverneur einer Provinz werden wollen, müssen Sie ca. 50.000 - 100.000 Euro an die Ministerien in Kabul zahlen. Das Geld müssen die Gouverneure natürlich wieder hereinholen. Das ganze System baut also auf, dass Posten gekauft werden. Das geht hinunter bis zum Distrikt-Gouverneur und zum Polizeichef."
Dostum und Fahim sollen nach der Wahl dem neuen Kabinett Karsais angehören. "Nach und nach sicherte sich der Präsident im Stile des afghanischen Basar-Deals mit dem Angebot von Posten an Kriminelle, Kriegsverbrecher und sogar international verpönte Drogenbarone einen wohl sicheren Vorsprung bei den Wahlen",
urteilte der Spiegel.
Zum Auftakt der Wahlen am Donnerstag schlug in einem Wahllokal in Kundus, wo die Bundeswehr stationiert ist, eine Rakete ein. Mindestens sechs Wahllokale im Distrikt Baraki Barak wurden von Extremisten attackiert. In Ghazni im Südwesten von Kabul wurden mindestens vier Kinder bei Raketenangriffen verletzt. In der Provinz Baghlan starb ein Polizeioffizier bei einem Taliban-Angriff.
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