Agrigent/Berlin (epo.de). - Der ehemalige Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel ist von einem Gericht im italienischen Agrigent vom Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einwanderung freigesprochen worden. Bierdel, Cap-Anamur-Kapitän Stefan Schmidt und der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch hatten 37 afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht. Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) berichtete am Mittwoch, nach seinen Recherchen würden Bootsflüchtlinge nach wie vor auf hoher See zurückgewiesen.
Anklage und Prozess gegen Bierdel und die beiden Offiziere der Cap Anamur, die ebenfalls freigesprochen wurden, hatten fast fünf Jahre gedauert. Die Staatsanwaltschaft hatte mehrjährige Haftstrafen und hohe Geldstrafen gefordert. Die Cap Anamur hatte im Sommer 2004 ein in Seenot geratenes Schlauchboot mit 37 Flüchtlingen entdeckt und die Menschen an Bord genommen. Drei Wochen lang verweigerten italienische Behörden die Einfahrt in einen Hafen, während ein großes Medienaufgebot die Rettungsaktion begleitete. Nach der Landung wurden die Flüchtlinge umgehend wieder abgeschoben.
Die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) begrüßte den Freispruch: "Elias Bierdel und seine Mitstreiter hatten versucht, mit einer humanitären Aktion auf die Katastrophe der Menschen aufmerksam zu machen, die vor elenden Lebensverhältnissen fliehen. Wir dürfen vor dem Flüchtlingselend an den Toren Europas nicht die Augen verschließen."
"Menschen zu verurteilen, weil sie Flüchtlinge aus akuter Seenot gerettet haben, ist widersinnig", kommentierte der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Josef Winkler. "Wir sind erleichtert darüber, dass dies nun endlich auch vom italienischen Gericht so festgestellt wurde."
Das Urteil müsse eine Signalwirkung für den Prozess gegen sieben tunesische Fischer haben, die ebenfalls in Italien vor Gericht stehen, erklärten die Grünen. Die Fischer hatten vor zwei Jahren 45 Schiffsbrüchigen das Leben gerettet. Sie sind wegen Förderung "illegaler Einreise" angeklagt. Das Urteil wird für den 17. November erwartet.
EED KRITISIERT FRONTEX
Der
Evangelische Entwicklungsdienst (EED) kritisierte am Mittwoch das Vorgehen der europäischen Grenzschutzagentur
FRONTEX gegen afrikanische Flüchtlinge. Der EED hat im Rahmen eines neuen Projektes, das die Situation der Kleinfischer in Westafrika aufgreift und illegalen Fischfang und unfaire Fischereiabkommen der EU unterbinden will, eigene Recherchen durchgeführt.
"Statt sich zu fragen, warum Menschen aus Afrika fliehen und warum ihnen immer mehr Fischer mit ihren Booten helfen, hat Europa eine Agentur aufgebaut, die zwar Flucht letztendlich nicht verhindern kann, aber Flüchtlinge zwingt, neue weite Umwege zu nehmen, und sie damit in lebensgefährliche Situationen treibt", sagte EED-Vorstand Rudolf Ficker. "Berichte über Rückführungen, die gegen geltendes Recht verstoßen, untergraben die Glaubwürdigkeit der europäischen Politik."
"Immer wieder fragten uns Frauen und Mütter von Fischern, warum sich 'unsere Meerespolizei' so unmenschlich zu ihren Kindern und Ehemännern verhält und sie schutzlos über die offene See, ermüdet und krank wieder zurückschickt, ohne sie anzuhören", berichtet Francisco Marí, der Beauftragte des EED für die EU-Afrika-Beziehungen, von seinem letzten Besuch in senegalesischen Fischerdörfern. "Uns wurde auch berichtet, dass FRONTEX im Senegal selbst durch Mittelsmänner Boote, die angeblich zur Flucht bereitstehen, zerstören lässt. Weiter wurde berichtet, dass zur Abschreckung verletzten und unterernährten Flüchtlingen Hilfe auf hoher See verweigert wird", so Marí.
EU-Trawler und asiatische "Piratenfischer", so der EED, hätten in den vergangenen Jahren die Fischgründe vor Westafrika ausgeplündert und Armut und Hunger in die einst gut vom Fischfang lebenden Küstendörfer gebracht. "Diese hochgerüstete Polizeitruppe FRONTEX sollte lieber Jagd auf die europäischen und asiatischen Piratenfischer machen", erklärte Dao Gayé, Präsident der senegalesischen Fischervereinigung. "Dann hätten unsere Jugendlichen weniger Gründe, in Europa Arbeit zu suchen."
Der EED fordert den amtierenden Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung durch FRONTEX zu überprüfen und davon abhängig eine Kündigung der Zusammenarbeit mit FRONTEX in Betracht zu ziehen.
"Die neue Bundesregierung muss sich bei der EU um legale Einwanderungsmöglichkeiten bemühen und ihre Anstrengungen in der Entwicklungshilfe verstärken, damit Armut, Hunger und Verfolgung nicht noch weitere Menschen zwingen, in die 'Todesboote' zu springen", forderte Pfarrer Jürgen Reichel, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitischer Dialog im EED. "Vor allem aber müssen Wirtschaftspraktiken in Europa, die Menschen im Süden in Armut stürzen und ihr Recht auf Leben in Würde missachten, unverzüglich beendet werden."
Report Mainz hatte in seiner
Sendung vom 5. Oktober über die Praktiken der Grenzschutzagentur FRONTEX berichtet. Mit Unterstützung europäischer Polizeikräfte, darunter der deutschen Bundespolizei, würden Flüchtlinge, die schon tagelang auf dem Meer unterwegs sind, wieder in die Ausganghäfen zurückschickt. Sie würden abgedrängt und unter Gewaltandrohung und ohne humanitäre Hilfe zu leisten an der Weiterfahrt zu den nahen europäischen Küsten gehindert.