gletscher in der schweizBrüssel (epo.de). - Die Europäische Union will einen "fairen Anteil" an den notwendigen Finanzhilfen für die Entwicklungsländer zur Bekämpfung des Klimawandels bereitstellen. Die Staats- und Regierungschefs folgten beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel der Einschätzung der EU-Kommission, dass die ärmeren Länder ab 2020 rund 100 Milliarden Euro Hilfen benötigen. 22 bis 50 Millionen davon sollten aus öffentlichen Mitteln kommen, der Rest aus dem Emissionshandel und aus Eigenleistungen der Entwicklungsländer. Unklar bleibt nach wie vor der konkrete EU-Beitrag und die Lastenverteilung innerhalb der EU. Neun osteuropäische Länder verlangten Garantien, dass sie nicht über Gebühr finanziell belastet werden.

Nachdem der Rahmen stehe, solle eine Arbeitsgruppe über Details der Lastenteilung entscheiden, sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite am Freitag. Deren Ergebnisse müssten die Staats- und Regierungschefs zu einem späteren Zeitpunkt einstimmig beschließen. "Die EU ist nun in einer starken Verhandlungsposition. Es wird andere ermutigen mitzumachen", betonte Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt. Schweden hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Position vertreten, ehe die EU konkrete Angebote vorlege, müssten große Volkswirtschaften wie die USA oder China ähnliche Verpflichtungen übernehmen. Die Kanzlerin bekannte nach Abschluss des Gipfels, sie glaube nicht daran, dass es im Dezember in Kopenhagen ein umfassendes Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll geben werde: "Ich glaube es ist realistisch, dass wir sagen, Kopenhagen schließt nicht mit einem fertigen Vertrag ab, aber es ist auch wichtig, dass Kopenhagen einen politischen Rahmen setzt." Sich aber lediglich auf freiwillige Selbstverpflichtungen zu beschränken sei inakzeptabel.

Der britische Premierminister Gordon Brown sagte am Freitag in Brüssel, die EU werde alles tun, um ein Klimaabkommen in Kopenhagen zu erreichen. Dänemarks Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen erklärte, die EU sei bereit, "eine Große Summe Geld" für ein erfolgreiches Abkommen beim Klimagipfel zu zahlen, wenn auch andere reiche Länder ihre Verpflichtungen übernähmen.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Entwicklungsländer ab 2020 rund 100 Milliarden Euro jährlich benötigen, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Die Staats- und Regierungschefs stimmten auf dem Brüsseler EU-Gipfel dieser Einschätzung zu, ohne den Anteil der EU näher zu beziffern. Die Kommission rechnet für die 27 Mitgliedsstaaten der EU mit Kosten von jährlich zwei bis 15 Milliarden Euro ab dem Jahr 2020. Dabei geht sie davon aus, dass der faire EU-Anteil an den internationalen Hilfen bei 10 bis 30 Prozent der Gesamtsumme liegen würde. Die Hilfen sollen den ärmsten Ländern zugute kommen, die zwar am wenigsten zur Erderwärmung beitragen, aber am meisten unter ihr zu leiden haben werden.

"Der Rahmen für ein Abkommen in Kopenhagen ist klar", sagte Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals. Wissenschaftliche Untersuchungen legten allerdings einen deutlich höheren Betrag nahe. "Wir schätzen den Bedarf für Unterstützung auf mehr als 100 Milliarden jährlich, gut das Doppelte der oberen EU-Grenze." Die EU bekenne sich dazu, dass schon vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens eine finanzielle Unterstützung von fünf bis sieben Milliarden Euro jährlich für die Entwicklungs- und Schwellenländer notwendig ist. "Benötigt werden am Schluss etwa 10 Milliarden Euro jährlich. Doch auch hier verweigert die EU eine klare Aussage, wie viel sie davon schultern will", kommentierte Bals.

Neun osteuropäische Staaten sträubten sich gegen den Kompromiss vom Freitag, weil die "Vorschläge zur Lastenteilung nicht präzise genug" seien, wie die polnische Delegation erklärte. Sie fordern, dass die Wirtschaftskraft und nicht die Emissionen die entscheidende Größe bei der Berechnung der Beiträge zum Klimaschutz sein müsse.

"Die genannten Summen sind zwar zu niedrig, aber als erstes Verhandlungsangebot brauchbar", kommentierte Jan Kowalzig, Klima-Experte bei Oxfam Deutschland. "Allerdings fehlt die Zusage, dass es sich um zusätzliche Mittel handelt und nicht um eine Umlenkung der Entwicklungshilfe. Wenn die heute in Aussicht gestellten Gelder nicht zusätzlich fließen, ist das Angebot im Grunde genommen wertlos. Angeführt von Deutschland wollen nämlich einige EU-Länder am liebsten ihre künftigen Entwicklungszusammenarbeitsbudgets plündern, um zukünftigen Verpflichtungen aus dem Abkommen von Kopenhagen nachzukommen. Dann fehlt das Geld aber in anderen Bereichen, zum Beispiel für Schulen und Krankenhäuser."

KRITIK AN MERKEL

Die Umweltorganisation Greenpeace und das globalisierungskritische Netzwerk Attac machten Bundeskanzerlin Angela Merkel als Bremserin in Brüssel aus. "Deutschland spielt hier eine sehr unrühmliche Rolle", sagte der Berliner Greenpeace-Vertreter Stefan Krug. Der EU drohe aufgrund der Verweigerung konkreter Zusagen "ein großer Glaubwürdigkeitsverlust".

"Dass Merkel in Brüssel selbst den Vorschlag der EU-Kommission von zwei Milliarden bis 15 Milliarden Euro abgeblockt hat, macht ihre Selbstinszenierung als Klimaschützerin zur Farce", sagte Chris Methmann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. "EU-Gipfel und Koalitionsvertrag zeigen: Wenn es konkret wird, vertritt Merkel lieber die Interessen der Konzerne. Vorreiter ist die deutsche Bundesregierung nur noch im Sprücheklopfen." Attac fordert die "Rückzahlung der ökologischen Schuld des Nordens" von mindestens 100 Milliarden Euro jährlich und einen sofortigen Umstieg auf erneuerbare Energien.

Die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Eva Bulling-Schröter, kommentierte die Beratungen beim EU-Gipfel mit den Worten, Merkel habe sich in Brüssel "an die Spitze derjenigen in der EU gesetzt, die meinen, mit den Entwicklungs- und Schwellenländern Poker spielen zu können. So sollen die Preise gedrückt werden, die der Norden an den Süden - dem großen Verlierer des Klimawandels - für Technologietransfer und Anpassungsmaßnahmen zu zahlen hat. Diese arrogante Haltung droht, den Kopenhagen-Prozess zum Scheitern zu bringen."

"Klimaschutz findet bei Merkel nur auf dem Papier statt und soll die deutsche Industrie nichts kosten", kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin. Mit dieser Haltung mache sie eine Einigung in Kopenhagen unmöglich. "Die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen keine Almosen, wie die EU dies vorsieht, sondern dass die Folgen des Klimawandels von denen bezahlt werden, die den Klimawandel verursacht haben", betonte Trittin. "Die EU ist aber weder bereit ihre finanziellen Zusagen zu konkretisieren, noch zuzusagen, dass es sich um zusätzliches Geld handelt und nicht einfach die Entwicklungshilfe als Finanzierung des Klimaschutzes umgewidmet wird."

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