vertriebene_sudan_ikrk_150Genf (epo.de). – Die humanitäre Antwort auf die heutigen bewaffneten Konflikte muss den komplexen Bedürfnissen der betroffenen Menschen besser angepasst werden. Das hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Mittwoch in seinem Tätigkeitsbericht für das Jahr 2009 gefordert. In dem Überblick über ihre Tätigkeiten in 80 Ländern weist die Organisation auf die schwerwiegenden Probleme hin, die sich aus lange währenden Situationen bewaffneter Gewalt ergeben und die eine nachhaltige, flexible und vielfältige humanitäre Antwort erfordern.

"Die Folgen lang anhaltender Konflikte gehen weit über das hinaus, was wir häufig in den Schlagzeilen lesen", erklärte der Präsident des IKRK, Jakob Kellenberger, am Mittwoch in Genf. "Die Ungewissheit, die aufkommt, wenn man jahrelang nicht nachhause zurückkehren kann, oder die Eintönigkeit, die sich einstellt, wenn man tagtäglich stundenlang gehen muss, um Wasser zu holen, sind kein Thema für Sondermeldungen. Es braucht Kugeln und Blutvergiessen, um Beachtung zu erwecken. Doch die Probleme sind nicht gelöst und unsere Arbeit als humanitäre Helfer nicht beendet, wenn die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf andere Ereignisse gelenkt wird."

Der Tätigkeitsbericht unterstreicht, dass die Opfer vieler heutiger bewaffneter Konflikte komplexen Formen des Drucks und Problemen ausgesetzt seien, die mit der anhaltenden Unsicherheit zusammenhängen. Sie reichten von kurzfristigen und oft immer wiederauftauchenden Bedürfnissen wie Sicherheit, Nahrungsmittel, Wasser, Unterkunft und ärztliche Hilfe bis zu chronischen Problemen wie Armut, Mangelernährung, fehlender Schulbildung, mangelnden Arbeitsstellen und unzureichender Gesundheitsversorgung.

"Dieser Bericht ist nur eine Momentaufnahme des jahrzehntelangen Leidens der Menschen beispielsweise in Afghanistan, Irak, Israel und den besetzten Gebieten, Kolumbien, den Philippinen, Somalia und Sudan", sgte der IKRK-Präsident. "Wenn man unsere Jahresberichte liest, die vor zehn, zwanzig oder gar dreissig Jahren veröffentlicht wurden, stellt man fest, dass in manchen dieser Regionen bereits damals schon gekämpft wurde oder Kämpfe kurz vor dem Ausbruch standen. Die grösste Sorge bereiten mir die verheerenden und kumulativen Auswirkungen, die diese besonders perniziösen Konflikte für ganze Generationen haben werden."

Kellenberger führte weiter aus, dass das IKRK dank seiner langjährigen und fortdauernden Präsenz vor Ort in der Lage sei, die dringendsten und langfristigen Bedürfnisse der Menschen in konfliktbetroffenen Ländern zu verstehen und wirksamer zu decken. Er fügte hinzu, dass die "immer häufiger zu beobachtende Endlosigkeit" der Kriege und Aufstände bedeute, dass die humanitären Organisationen sich "auf längerfristige Hilfstätigkeiten verschiedenster Art vorbereiten müssen".

Angesichts dieser Entwicklungen verstärkte das IKRK im Jahre 2009 seine Zusammenarbeit mit den Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften vor Ort, die in den örtlichen Gemeinschaften verankert sind und damit eine grössere Nähe zu den Notleidenden gewährleisten können, insbesondere in schwer zugänglichen Gebieten.

Bei der Präsentation des Tätigkeitsberichts in Genf rief Jakob Kellenberger die Regierungen auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um die humanitären Folgen der bewaffneten Konflikte und anderer Gewaltsituationen für Zivilisten so weit wie möglich zu begrenzen. Er fügte hinzu, dass mehr Druck ausgeübt werden müsse, um sicherzustellen, dass die Kriegsparteien die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts einhalten.

Insgesamt beliefen sich die Kosten der IKRK-Tätigkeiten im Jahre 2009 auf 1,06 Milliarden Schweizer Franken. Damit lagen sie leicht unter den Rekordausgaben von fast 1,1 Milliarden Schweizer Franken im Jahre 2008. Die Einsätze in Afghanistan, im Irak, in Pakistan und im Sudan gehörten zu den grössten Operationen des IKRK und machten im vergangenen Jahr nahezu ein Drittel seiner Gesamtausgaben aus.

Der IKRK-Präsident sagte, die Ausgaben im Jahre 2009, die beinahe Rekordhöhe erreichten, spiegelten die lange Dauer der heutigen bewaffneten Konflikte und die wachsende Verletzlichkeit der betroffenen Zivilisten wider.

Kellenberger nannte Afghanistan und Somalia als Beispiele für "die grössten operationellen Herausforderungen des IKRK" und wies darauf hin, dass jahrelanges Kriegschaos und Unsicherheit die Aussichten auf wirtschaftlichen, sozialen und wissenschaftlichen Fortschritt, auf Bildung, politische Stabilität und Wachstum langsam untergraben hätten.

"Neben Bombardierungen und Angriffen leiden die Menschen schon seit Jahrzehnten unter Vertreibung, unzureichender oder gar gänzlich fehlender Gesundheitsversorgung, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Erniedrigung, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Trennung von Angehörigen, einer zunehmenden Abhängigkeit von Hilfe und dem Kampf um immer kargere Ressourcen", sagte Jakob Kellenberger. "Ich frage mich, wie es in Afghanistan und Somalia heute aussehen würde – wie sich ihre Wirtschaft und ihre Gesellschaft entwickelt hätten, wie viel mehr Kinder die Schule besuchen würden – wenn es in all diesen Jahren statt Blutvergiessen und Zerstörung Frieden und Entwicklung gegeben hätte."

Foto: Vertriebene im Sudan © IKRK


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