gazastreifen_200Berlin (epo.de). - Die bisher von Israel auf internationalen Druck hin ergriffenen Maßnahmen zur Lockerung der Blockade des Gaza-Streifens haben die Notlage der Zivilbevölkerung nur wenig verändert. Zu dieser Einschätzung kommt ein Bericht, der am Dienstag von einer europäischen Koalition aus 23 Entwicklungs-, Menschenrechts- und Friedens-Organisationen veröffentlicht wurde. Die Organisationen rufen zum internationalen Handeln auf, um Israel zu einer "sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Aufhebung der Blockade" zu bewegen.

Seit der israelischen Ankündigung von Mitte Juni, die Blockade zu lockern, habe der Druck von Seiten der internationalen Gemeinschaft auf Israel nachgelassen, obwohl die Einschränkungen im täglichen Leben der 1,5 Millionen Palästinenser in Gaza - die Hälfte von ihnen Kinder - sich nicht spürbar verringert haben, so der Bericht "Zerschlagene Hoffnungen: Fortsetzung der Gaza-Blockade" (Dashed Hopes: Continuation of the Gaza Blockade). Dem Bericht zufolge hat Israel mit den getroffenen Maßnahmen nicht nur die wesentlichen Elemente der Gaza-Blockade nicht aufgehoben, wie z.B. das Verbot von Exporten aus dem Gazastreifen, es hat zudem seine wichtigsten Versprechungen nicht eingehalten.

Israel hatte zugesagt, die Einfuhr von dringend benötigten Baumaterialien für UN- und andere internationale Projekte zu steigern und zu erleichtern, um somit den Wiederaufbau von Schulen, Gesundheitszentren, Häusern und Kläranlagen zu ermöglichen, die während der Militäroperation "Gegossenes Blei" von Dezember 2008 bis Januar 2009 zu einem großen Teil beschädigt oder zerstört wurden. Tatsächlich aber, so die Organisationen, habe es bisher nur langsame und geringe Fortschritte bei der Umsetzung der Versprechen gegeben. Bislang habe Israel lediglich Materialimporte für Bauvorhaben von Schulen und Kliniken des UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA genehmigt. Dies seien nur sieben Prozent des gesamten UN Wiederaufbauplans für Gaza. Und selbst bei diesen genehmigten Projekten seien nur für einen Bruchteil der benötigten Baumaterialien tatsächlich Einfuhrgenehmigungen nach Gaza erteilt worden.  

Nach Schätzungen der UN benötige Gaza allein für den Wiederaufbau der Häuser rund 670.000 LKW-Ladungen an Baumaterial, so der Bericht. Doch seit der Ankündigung, die Blockade lockern zu wollen, seien monatlich im Durchschnitt nur 715 LKW-Ladungen an Baumaterial im Gazastreifen eingetroffen. In diesem Tempo würde der Wiederaufbau der benötigten Häuser Jahrzehnte dauern. Angesichts der Tatsache, dass die UN das notwendige Baumaterial für den Bau neuer Schulen bisher nicht einführen konnten, konnten zu Beginn des neuen Schuljahres 40.000 Kinder im schulfähigen Alter nicht in der Schule angemeldet werden.

"Aufgrund der Blockade ist nur ein Bruchteil der benötigten Hilfe bei der Bevölkerung in Gaza angekommen", kritisierte Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland. "Es mangelt nach wie vor an sauberem Wasser, Elektrizität und Arbeitsplätzen. Da Israel seinen Zusagen nicht nachkommt und der internationale Druck für die Aufhebung der Blockade nachgelassen hat, bleibt für die Menschen in Gaza eine friedliche Zukunft in weiter Ferne."

Zudem habe die sogenannte Lockerung keine Auswirkungen auf die Exporte aus dem Gazastreifen, die fast vollständig verboten bleiben. In Gaza seien daher zwei Drittel der Industriebetriebe geschlossen, während die übrigen nur mit halber Kapazität arbeiten könnten. Zugleich werde der Markt von Importprodukten überschwemmt, so die Organisationen.

Tsafrir Cohen, Referent für den Nahen Osten der Organisation medico international, erklärte: "Die internationale Gemeinschaft hat immer wieder die Wichtigkeit ökonomischer Entwicklung für den Friedensprozess betont - doch angesichts des andauernden Exportverbots ist Gaza ökonomisch gelähmt. Wo ist da die politische Logik? Die psychologischen Auswirkungen, die aus der Abhängigkeit von Lebensmittelkarten resultierten, haben die Gesellschaft in Gaza schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Menschen möchten Arbeitsplätze, um sich ein würdiges Leben zu ermöglichen, und keine Almosen."

Wenig Verbesserung gibt es demn Bericht zufolge auch im Personenverkehr. Entgegen der Zusage der israelischen Regierung, die Ein- und Ausreise von humanitären Helfern zu verbessern, zeigt der Bericht, dass seit den israelischen Ankündigungen im Gegenteil die Genehmigungen für Ein- und Ausreisen von humanitärem Personal der lokalen UN-Organisationen sogar abgenommen haben.

Unterdessen bleibe die Bevölkerung Gazas eingeschlossen. Den Menschen werde weiterhin verweigert sich frei zu bewegen, außerhalb Gazas zu arbeiten, zu studieren oder die Familie und Freunde zu besuchen. Trotz eines begrüßenswerten Anstiegs der Reiseerlaubnisse für Geschäftsleute aus und nach Gaza sei die Gesamtzahl der israelischen Ausreisebewilligungen für die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger nicht gestiegen. Die Anzahl der Bewilligungen liege konstant bei weniger als einem Prozent der Zahlen vor der Intifada im Jahr 2000.

"Die sogenannte 'Lockerung' der Gaza-Blockade hat nichts an der Tatsache verändert, dass noch immer eine erbarmungslose und illegale Blockade existiert, die einer kollektive Bestrafung der gesamten Zivilbevölkerung gleicht", sagte Cohen. "Die einzige echte Lockerung stellt der nachlassende Druck auf die israelischen Behörden dar, die grausame und illegale Praxis zu beenden."

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