die_150Bonn. - Die Krise in der Euro-Zone und insbesondere die Schuldenkrise Griechenlands wirft eine Frage auf, die auch im Zusammenhang mit der Verschuldung von Entwicklungsländern immer wieder gestellt wird: Brauchen wir ein Insolvenz-Verfahren für Staaten? Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern werde es mit Sicherheit wieder neue Fälle von staatlicher Überschuldung geben, warnt Dr. Kathrin Berensmann in der "aktuellen Kolumne" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), die wir nachfolgend dokumentieren. Ein permanent eingerichtetes Insolvenz-Verfahren für Staaten hält sie schon deshalb für notwendig, weil ein systematisches Verfahren zur Umstrukturierung und Reduzierung von Schulden fehlt.

Von Dr. Kathrin Berensmann, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Am kommenden Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone auf einem Sondergipfel ein weiteres Mal die Weichen für eine Lösung der Schuldenkrise der südeuropäischen Länder stellen. Zurzeit wird in Brüssel über den Rückkauf von Staatsanleihen der Krisenländer diskutiert – finanziert durch den europäischen Rettungsfonds. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Länder der Eurozone hatten erst Anfang Juli noch eine weitere Finanzspritze bereitgestellt, das Feuer konnte damit offensichtlich nicht einmal temporär gelöscht werden. Die Märkte sind hoch nervös und nehmen sogar das noch relativ stabile Italien ins Visier. Die Kernfrage ist: Haben Griechenland und die anderen Krisenländer wirklich „nur“ ein Liquiditätsproblem – wie es die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank behaupten, die einen Schuldenschnitt strikt ablehnen - oder ist Griechenland insolvent, wie es der größte Teil der Fachwelt annimmt? Und wie soll ein Staatsbankrott gelöst werden?

Ein Staat ist insolvent, wenn er fällige Forderungen nachhaltig nicht vollständig begleichen kann. Sollte Griechenland insolvent sein, dann ist eine Umschuldung verbunden mit einem Schuldenschnitt – in der Finanzwelt „Haircut“ genannt – unbedingt notwendig. Dafür gibt es in der Europäischen Währungsunion (EWU) derzeit aber kein vereinbartes Verfahren. Es sind nur Ad-hoc-Umschuldungen möglich. Das einzige Instrument zur Erleichterung der Koordinierung von Gläubigern bei Umschuldungen stellen Kollektivklauseln dar, die in Staatsanleihen eingebunden werden. Aber diese Klauseln bieten jetzt keine Lösung, weil sie derzeit nur in einigen Staatsanleihen verankert sind. Erst ab Juni 2013 werden sie in alle neuen Euro-Staatsanleihen einbezogen. Dies wird zukünftig die Gleichbehandlung aller Gläubiger erleichtern und Trittbrettfahrerverhalten einzelner Gläubiger wird schwieriger.

Ein Insolvenzverfahren – das Licht am Ende des Schuldentunnels?


Eine Alternative zur jetzt schon ein Jahr andauernden Verzögerung eines Schuldenschnitts durch immer neue Kredite wäre ein Insolvenzverfahren für Staaten gewesen, in Anlehnung an Insolvenzverfahren bei Unternehmen. Hierbei werden die Schulden eines Staates nach vorher vereinbarten und verbindlichen Regeln umstrukturiert und reduziert. Mehrheitsentscheidungen binden Gläubigerminderheiten ein.

Ein großer Vorteil von Insolvenzverfahren ist, dass die Lasten auf die öffentlichen und privaten Gläubiger gleich verteilt werden. Dies ist besonders wichtig für die Akzeptanz des Verfahrens in den Gläubigerländern. Die Gefahr einer einseitigen Rettung durch die öffentlichen Haushalte – und somit durch die Steuerzahler – ist dann nicht mehr gegeben.

Ad-hoc-Umschuldungen hingegen zögern Prozesse häufig hinaus. Gläubiger befürchten nicht nur den teilweisen Verlust ihrer Forderungen, sondern auch eine ungleiche Behandlung zwischen den Gläubigern. Schuldner zögern Umschuldungen hinaus, da diese mit Reputationsverlusten verbunden sind. Dies kann einen eingeschränkten Zugang zu den internationalen Finanzmärkten für eine lange Zeit zur Folge haben.

Die Verschleppung einer Umschuldung ist häufig mit hohen Kosten verbunden. Schuldner müssen dann strikte Sparprogramme – wie in Griechenland – umsetzen und hohe Zinsen für neue Kredite bezahlen. Hohe soziale Kosten und politische Unruhen sind die Folge. Außerdem werden die Lasten der Umstrukturierung häufig ungleich auf die Gläubiger verteilt. Im Fall Griechenlands haben viele private Gläubiger das sinkende Schiff verlassen und öffentliche Gläubiger müssen die Kosten der Umschuldung tragen. Die Mitgliedstaaten der EWU und der IWF stellen derzeit für Griechenland den Löwenanteil der neuen Finanzspritzen bereit. Außerdem sind die Marktteilnehmer infolge der fehlenden Regeln für eine Umschuldung verunsichert und es besteht Ansteckungsgefahr für andere Länder der EWU, wie das Beispiel Italien letzte Woche deutlich machte.

Ein weiteres Argument für die Einführung eines Insolvenzverfahrens in der EWU ist, dass sie dafür gute institutionelle Voraussetzungen bietet. Denn die EWU gehört der EU an. Damit gibt es bereits supranationale Institutionen mit gemeinsamen gesetzlichen Regeln, die Vorrang vor nationalen Gesetzen haben. Gleichermaßen kann die Anbindung an europäische Institutionen zu neutralen Entscheidungsstrukturen beitragen.

Probleme von Insolvenzverfahren

Wenn das so einfach ist, warum wurde ein Insolvenzverfahren für Staaten innerhalb der EWU dann nicht längst eingeführt? Der Hauptgrund, warum viele einen Schuldenerlass strikt ablehnen, ist das berühmte „moralische Risiko“: Es besteht die Gefahr, dass das Schuldnerland ein Insolvenzverfahren bewusst in Kauf nimmt, um Schulden zu reduzieren. Aus diesen Gründen muss ein Insolvenzverfahren so ausgestaltet sein, dass ein derart strategisches Verhalten verhindert wird. Damit ein Schuldner nicht ungerechtfertigt ein Insolvenzverfahren eröffnet, könnten Sanktionen eingeführt werden. Der Schuldner müsste in diesem Fall die Kosten des Verfahrens übernehmen. Zudem könnte ein Umschuldungsplan für nichtig erklärt werden und der Schuldner darf kein neues Verfahren einleiten.

Weiterhin besteht das Risiko, dass der Schuldner den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens verliert. Da aber dieser Zugang von der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Einschätzung der weiteren Entwicklung des Landes abhängt, muss ein Insolvenzverfahren mit wirtschaftspolitischen Reformen verbunden werden. Außerdem haben hoch verschuldete Länder diesen Zugang sowieso häufig bereits vor Eröffnung des Verfahrens verloren.

Für Griechenland ist der Zug „Insolvenzverfahren“ zwar schon abgefahren, da ein solches Verfahren jetzt schon in der Umsetzungsphase sein müsste. Daher kann es für Hellas nur noch eine Ad-hoc-Schuldenregelung geben, wie zum Beispiel den aktuell in Brüssel diskutierten Schuldenschnitt durch den Rückkauf griechischer Staatsanleihen. Ein Insolvenzverfahren könnte eine Lösung für zukünftige Fälle darstellen. Ein derart geregeltes und für alle Beteiligten vorhersehbares Verfahren sollte darauf abzielen, einen erneuten Flächenbrand in Euroland zu verhindern.

Insolvenzverfahren auch für Entwicklungsländer?

Wenn es gelingt, aus dem Fall Griechenland zu lernen und ein Insolvenzverfahren in der EWU zu etablieren, dann besteht mittelfristig auch die Chance, es in der internationalen Finanzarchitektur für alle Länder zu verankern. In Bezug auf Entwicklungsländer wird seit langem über die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Staaten diskutiert, da ein systematisches Verfahren zur Umstrukturierung und Reduzierung von Schulden fehlt.

Stattdessen dominieren temporäre Entschuldungsinitiativen wie die Heavily Indebted Poor Countries Initiative und die Multilateral Debt Relief Initiative. Diese Entschuldungsinitiativen haben den Schuldenberg in den meisten Entwicklungsländern zwar erheblich reduziert, aber sie sind einmalig und laufen demnächst aus. Was kommt danach? Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern wird es mit Sicherheit wieder neue Fälle von staatlicher Überschuldung geben.

Eine Lösung ist ein permanent eingerichtetes Insolvenzverfahren für Staaten. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgehalten, sich für die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Entwicklungsländer einzusetzen. Doch bisher bleibt die Regierungskoalition einen Vorschlag bzw. eine internationale Initiative diesbezüglich schuldig.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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